»Man muß jeden Fall individuell berechnen.«
»Probleme, Probleme, Probleme.«
Blaine sagte: »Ich dachte, daß das Verfahren voll ausgereift wäre. Ich habe gehört, daß es unfehlbar wäre.«
»Klar, das erzählen sie den Kunden immer«, sagte einer der Techniker abfällig.
»Alles Werbequatsch.«
»Hier geht dauernd was schief. Wir müssen noch viel lernen.«
Blaine fragte: »Aber können Sie mir denn auch sagen, ob die Behandlung gewirkt hat?«
»Klar. Wenn sie gewirkt hat, dann bleiben Sie am Leben.«
»Wenn nicht, kommen Sie hier zu Fuß nicht mehr raus.«
»Normalerweise klappt es ja auch«, beruhigte ihn einer der Techniker. »Bei jedem, außer K3ern.«
»Dieser verdammte K3-Faktor legt uns immer aufs Kreuz. Nun sag schon, Jamiesen, ist er ein K3er oder nicht?«
»Bin mir nicht sicher«, sagte Jamiesen, über ein blitzendes Instrument gebeugt. »Die Testmaschine ist schon wieder im Arsch.«
Blaine fragte: »Was ist denn ein K3er?«
»Das wüßten wir auch gern«, sagte Jamiesen schlechtgelaunt. »Alles, was wir wirklich wissen, ist, daß Typen mit einem K3-Faktor den Tod nicht überleben können.«
»Unter keinen Umständen.«
»Der alte Fitzroy meint ja, daß das ein eingebauter Begrenzungsfaktor ist, den die Natur eingesetzt hat, damit die Spezies nicht außer Kontrolle gerät.«
»Aber die K3er vererben den Faktor nicht an ihre Kinder.«
»Es besteht immer noch die Möglichkeit, daß er latent bleibt und ein paar Generationen überspringt.«
»Bin ich ein K3er?« fragte Blaine und versuchte, seine Stimme vom Zittern abzuhalten.
»Wahrscheinlich nicht«, sagte Jamiesen wie beiläufig. »Ist ziemlich selten. Ich werd’s mal überprüfen.«
Blaine wartete, während die Techniker ihre Daten durchgingen und Jamiesen versuchte, an seiner defekten Maschine abzulesen, ob Blaine nun einen K3-Faktor hatte oder nicht.
Eine Weile später blickte Jamiesen hoch. »Na ja, schätze, daß er kein K3er ist. Aber wer weiß das schon wirklich? Na ja, machen wir doch einfach weiter.«
»Was kommt denn als nächstes?« fragte Blaine.
Man verabreichte ihm eine tiefe Injektion.
»Keine Bange«, sagte ein Techniker. »Wird schon schiefgehen.«
»Sind Sie sicher, daß ich kein K3er bin?« fragte Blaine. Der Techniker nickte gelangweilt. Blaine wollte noch weitere Fragen stellen, aber ein Schwindelgefühl überfiel ihn. Die Techniker hoben ihn gerade hoch und legten ihn auf einen weißen Operationstisch.
*
Als er sein Bewußtsein wiedererlangte, lag er auf einer bequemen Couch und hörte beruhigende Musik. Eine Krankenschwester reichte ihm ein Glas Sherry, und Mr. Farrell stand strahlend dabei.
»Fühlen Sie sich O.K.?« fragte Farrell. »Müßten Sie wohl. Hat ja alles wunderbar geklappt.«
»Tatsächlich?«
»Ohne jeden Zweifel. Mr. Blaine, das Jenseits gehört Ihnen.«
Blaine trank seinen Sherry aus und stand auf, ein bißchen schwankend. »Das Leben nach dem Tode gehört mir? Wann immer ich sterben mag? Woran ich auch sterben mag?«
»Genau. Egal wie oder warum sie sterben mögen, Ihr Geist wird nach dem Tode überleben. Wie fühlen Sie sich?«
»Ich weiß nicht«, sagte Blaine.
Erst eine halbe Stunde später, als er in sein Apartment zurückkehrte, kam die Reaktion.
Das Jenseits gehörte ihm!
Plötzlich fühlte er sich wild und ekstatisch. Nichts war jetzt noch wichtig, überhaupt nichts! Er war unsterblich! Man könnte ihn auf der Stelle töten und er würde dennoch weiterleben!
Er fühlte sich wunderbar trunken. Fröhlich überlegte er, ob er sich nicht unter die Räder eines vorüberfahrenden Lasters stürzen sollte. Was machte das schon? Nichts konnte ihn wirklich mehr verwunden! Er konnte nun amoklaufen und fröhlich die Menge niedermetzeln. Warum nicht? Das einzige, was die Bullen töten konnten, war sein Körper!
Das Gefühl war unbeschreiblich. Nun wurde Blaine zum erstenmal klar womit die Menschheit hatte leben müssen, bevor das wissenschaftliche Jenseits entdeckt worden war. Er erinnerte sich an die schwermütige, triste, ständige, unbewußte Angst vor dem Tode, die sich wie ein schauriger Bandwurm durch die Windungen des menschlichen Geistes gezogen hatte, ein Gespenst, das Tag und Nacht umherspukte, der Lauerer hinter der Ecke, der Schatten hinter der Tür, der ungesehene Gast bei jedem Bankett, die undefinierbare Gestalt in jeder Landschaft, immer präsent, immer wartend -
Nie wieder.
Denn nun war seinem Geist eine gewaltige Last abgenommen worden. Die Furcht vor dem Tode war vorüber, betäubend vorüber und er fühlte sich leicht wie Luft. Der Tod, dieser Erzfeind, war besiegt worden!
Er kehrte euphorisch gestimmt in sein Apartment zurück. Als er die Tür aufschloß, klingelte das Telefon.
*
»Blaine.«
»Tom!« Es war Marie Thorne. »Wo bist du gewesen? Ich habe den ganzen Nachmittag versucht, dich zu erreichen.«
»Ich bin ausgegangen, Liebling«, sagte Blaine. »Wo zum Teufel warst du denn?«
»Bei Rex«, sagte sie. »Ich habe versucht, rauszukriegen, was sie vorhaben. Jetzt hör gut zu, ich habe ein paar wichtige Neuigkeiten für dich.«
»Ich habe ein paar Neuigkeiten für dich, meine Liebe«, sagte Blaine.
»Hör mir zu! Heute wird ein Mann dein Apartment aufsuchen. Es wird ein Vertreter der Jenseits, Inc. sein, und er wird dir eine kostenlose Jenseitsversicherung anbieten. Nimm sie nicht an.«
»Warum nicht? Ist er nicht echt?«
»Doch, er ist völlig echt und das Angebot auch. Aber du darfst es nicht annehmen.«
»Das habe ich schon«, sagte Blaine.
»Du hast was?«
»Er war vor ein paar Stunden hier. Ich habe es angenommen.«
»Haben sie dich schon behandelt?«
»Ja. War das unecht?«
»Nein«, sagte Marie, »natürlich nicht. Ach, Tom, wann wirst du endlich einmal lernen, keine Geschenke von Fremden anzunehmen? Es gab doch noch genug Zeit für eine spätere Jenseitsversicherung … Oh, Tom!«
»Was ist los?« fragte Blaine. »Es war ein Stipendium von der Main-Farbenger Textilien Corporation.«
»Die gehört zu hundert Prozent der Rex Corporation«, sagte Marie ihm.
»Oh … Na ja, und?«
»Tom, die Direktoren haben dir dieses Stipendium bewilligt, sie haben Main-Farbenger als Tarnung genommen, aber das Stipendium hat dir Rex gegeben! Siehst du denn nicht, was das heißt?«
»Nein. Würdest du bitte aufhören zu schreien, und es mir erklären?«
»Tom, es geht um den Paragraphen über Genehmigten Mord im Selbstmordgesetz. Sie werden seine Anwendung erzwingen.«
»Wovon redest du?«
»Ich rede von dem Teil des Selbstmordgesetzes, der die Annahme von Wirtskörpern für legal erklärt. Rex hat das Überleben deines Geistes nach dem Tode garantiert, und du hast es angenommen. Jetzt können Sie dir ganz legal deinen Körper wieder abnehmen und verwenden, wie sie wollen. Er gehört ihnen. Sie können deinen Körper töten, Tom!«
»Mich töten?«
»Ja. Und natürlich werden sie das auch tun. Die Regierung plant rechtliche Schritte gegen sie zu unternehmen, weil sie dich illegal aus der Vergangenheit geholt haben. Wenn du nicht da bist, dann wird es auch keine Anklage geben. Jetzt hör zu. Du mußt New York verlassen und dann das Land. Vielleicht lassen sie dich dann in Ruhe. Ich werde dir helfen. Ich meine, du solltest -«
Das Telefon war tot.
Blaine drückte ein paarmal auf die Gabel, doch es kam kein Freizeichen. Offenbar war die Leitung unterbrochen worden.
Die ekstatische Fröhlichkeit, die ihn noch vor wenigen Sekunden erfüllt hatte, verließ ihn. Das berauschende Gefühl der Befreiung vom Tode verschwand. Wie hatte er nur an Amoklaufen denken können? Er wollte leben. Er wollte im Fleische leben, auf der Erde, die er kannte und liebte. Geistige Existenz war prima, aber jetzt wollte er sie noch nicht. Noch lange nicht. Er wollte unter festen Gegenständen leben, Luft atmen, Brot essen und Wasser trinken, Fleisch um sich herum fühlen, fremdes Fleisch berühren.
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