»Ich glaube, Sie haben das verdeutlicht«, meinte Blaine.
»Es ist wichtig, daß ich das gleich am Anfang tue. Also will ich noch etwas klar machen: Begehen Sie nicht den Fehler zu glauben, daß wir den Himmel anbieten würden.«
»Nicht?«
»Überhaupt nicht! Das Himmelreich ist ein religiöses Konzept, und wir haben nichts mit Religion zu tun. Unser Jenseits ist ein Überleben des Geistes nach dem Tod des Körpers. Das ist alles. Wir behaupten genausowenig, daß das Jenseits das Himmelreich wäre, wie die frühen Wissenschaftler behauptet haben, daß die Knochen der ersten Steinzeitmenschen die Überbleibsel von Adam und Eva wären.«
»Vorhin war eine alte Frau hier«, sagte Blaine. »Sie hat mir gesagt, daß das Jenseits die Hölle sei.«
»Das ist eine Fanatikerin«, sagte Farrell grinsend. »Sie rennt mir nach. Und soweit ich das beurteilen kann, hat sie vielleicht vollkommen recht.«
»Was wissen Sie denn nun über das Jenseits?«
»Nicht allzu viel«, sagte Farrell. »Alles, was wir wirklich wissen ist Folgendes: Nach dem Tod des Körpers begibt sich der Geist in eine Region, die wir die Schwelle nennen und die zwischen der Erde und dem Jenseits ist. Wir glauben, daß das eine Art Vorbereitungsstadium für das Jenseits ist. Wenn der Geist erst einmal dort ist, kann er ins Jenseits eintreten, wann es ihm beliebt.«
»Aber wie ist denn das Jenseits beschaffen?«
»Das wissen wir nicht. Wir sind uns ziemlich sicher, daß es nicht körperlich ist. Manche meinen, daß der Geist die Essenz des Körpers ist und daß sich deshalb auch die Essenz weltlicher Güter ins Jenseits bringen läßt. Es könnte so sein. Es gibt Leute, die stimmen dem nicht zu. Manche haben das Gefühl, daß das Jenseits ein Ort ist, an dem die Seelen darauf warten, wiedergeboren zu werden, auf anderen Planeten, als Teil eines riesigen Wiedergeburtszyklus. Vielleicht stimmt auch das ja. Andere glauben, daß das Jenseits nur die erste Stufe postirdischer Existenz darstellt und daß es sechs weitere gibt, die immer schwieriger zu erlangen sind, bis alles schließlich in einer Art Nirwana endet. Könnte sein. Es ist behauptet worden, daß das Jenseits eine riesige, neblige Region ist, in der man allein herumwandert, immer suchend, niemals findend. Ich habe Theorien gelesen, die nachwiesen, daß die Leute im Jenseits nach Familienzugehörigkeit gruppiert würden; andere wiederum behaupten, daß man dort nach Rasse, Religion, Hautfarbe oder gesellschaftlicher Stellung gruppiert wird. Manche Leute behaupten, wie Sie selbst haben feststellen können, daß man da in die Hölle selbst eintritt. Es gibt Vertreter einer Illusionstheorie, die konstatieren, daß der Geist sich völlig auflöst, nachdem er die Schwelle verlassen hat. Und dann gibt es noch welche, die behaupten, daß unsere Firma ihre ganzen Effekte überhaupt nur gefälscht hätte. Ein gelehrtes Werk, das vor kurzem erschienen ist, stellt fest, daß man im Jenseits all das findet, was man finden will – das Himmelreich, das Paradies, Walhalla, grüne Weiden, suchen Sie’s sich aus. Es wird gesagt, daß die alten Götter das Jenseits regieren – die Götter Haitis, Skandinaviens, des Belgischen Kongo, je nachdem, an welche Theorie man sich hält. Natürlich gibt es eine Gegentheorie, die beweist, daß es überhaupt keine Götter geben kann. Ich habe ein englisches Buch gelesen, demzufolge im Jenseits englische Geister herrschen sollen, und ein russisches, das behauptet, daß dort Russen regieren und mehrere amerikanische, die nachweisen, daß dort die Amerikaner herrschen. Letztes Jahr ist ein Buch erschienen, das behauptete, daß die Regierungsform im Jenseits die Anarchie sei. Ein führender Philosoph beharrt darauf, daß der Geist des Wettbewerbs ein Naturgesetz sei und folglich auch im Jenseits vorherrschen müsse. Und so weiter. Sie können sich jede beliebige Theorie aussuchen, Mr. Blaine, oder Sie können auch eine eigene aufstellen.«
»Was meinen Sie denn?« fragte Blaine.
»Ich? Ich versuche, offen zu bleiben«, sagte Farrell. »Wenn die Zeit kommt, dann werde ich hingehen und es selbst rausfinden.«
»Hm, das ist auch meine Einstellung«, sagte Blaine. »Unglücklicherweise habe ich keine Chance. Ich habe nicht das Geld, das Sie dafür verlangen.«
»Ich weiß«, sagte Farrell. »Ich habe Ihre Finanzen überprüft, bevor ich kam.«
»Aber warum sind Sie dann -«
»Jedes Jahr«, sagte Farrell, »werden ein paar kostenlose Jenseitsstipendien vergeben, einige von Philanthropen, ein paar von Firmen und Trusts, einige auf Lotteriebasis. Ich bin in der glücklichen Lage, Ihnen mitzuteilen, Mr. Blaine, daß Sie für einen dieser Zuschüsse ausgewählt worden sind.«
»Ich?«
»Ich möchte Ihnen gratulieren«, sagte Farrell. »Sie sind ein sehr großer Glückspilz.«
»Aber wer hat mir denn den Zuschuß gewährt?«
»Die Main-Farbenger Textilien Corporation.«
»Ich habe noch nie von denen gehört.«
»Nun, sie haben aber von Ihnen gehört. Das Stipendium ist eine Anerkennung für Ihre Reise hierher aus dem Jahre 1958. Nehmen Sie es an?«
Blaine starrte den Jenseitsvertreter an. Farrell schien schon echt zu sein, außerdem ließ sich seine Geschichte auch im Jenseits-Gebäude überprüfen. Blaine traute dem Geschenk nicht, das ihm da so völlig unerwartet in die Hand gedrückt wurde. Aber der Gedanke an ein sicheres Leben nach dem Tode wog jeden erdenklichen Zweifel auf, schob alle möglichen Ängste und Befürchtungen beiseite. Vorsicht war ja ganz in Ordnung, aber nicht, wenn sich einem die Tore des Jenseits öffneten.
»Was muß ich tun?«
»Einfach mich ins Jenseits-Gebäude begleiten«, sagte Farrell. »Wir können das nötige Verfahren in wenigen Stunden durchführen lassen.«
Überleben! Leben nach dem Tode!
»Also gut«, sagte Blaine. »Ich nehme das Stipendium an. Gehen wir.«
Sie verließen sofort Blaines Apartment.
Ein Helitaxi brachte sie direkt zum Jenseits-Gebäude. Farrell führte Blaine ins Empfangsbüro und händigte der Frau dort eine Fotokopie von Blaines Stipendiumsbewilligung aus. Blaine ließ seine Fingerabdrücke abnehmen und zeigte seine Jägerlizenz als Ausweis vor. Die Frau überprüfte alle Angaben auf einer Personenliste. Schließlich hatte sie sich von der Richtigkeit seiner Identifikation überzeugt und unterschrieb die Empfangspapiere.
Danach brachte Farrell Blaine in den Testraum, wünschte ihm viel Glück und verschwand.
Im Testraum übernahm eine Gruppe junger Techniker das Kommando und unterzog Blaine einer ganzen Reihe von Untersuchungen. Rechenmaschinen klapperten und spuckten yardweise Papier und ganze Fontänen Lochkarten aus. Ominöse Maschinen blubberten und quiekten ihn an, starrten mit riesigen roten Augen, zwinkerten und wurden bernsteinfarben. Automatische Schreiber kratzten über Skalenpapier. Und die ganze Zeit über fachsimpelten die Techniker sehr lebhaft miteinander.
»Interessante Beta-Reaktion. Können wir die Kurve angleichen?«
»Klaro, wir müssen lediglich seinen Schubkoeffizienten verringern.«
»Das möchte ich nicht so gern. Schwächt das Gewebe.«
»So weit braucht man es auch nicht zu schwächen. Das Trauma wird er trotzdem überstehen.«
»Vielleicht … Was ist denn mit diesem Henlinger-Faktor? Ist ja gar keiner!«
»Weil er in einem Wirtskörper ist. Wird schon kommen.«
»Letzte Woche der hat’s auch nicht geschafft. Der Typ ging doch hoch wie eine Rakete.«
»Der war doch schon von Anfang an ein bißchen labil.«
Blaine sagte: »He! Gibt es da etwa die Möglichkeit, daß die Sache doch nicht funktionieren könnte?«
Die Techniker wandten sich um, als erblickten sie ihn zum ersten Mal.
»Mann, jeder Fall ist anders«, sagte einer von ihnen.
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