»Ja.« Er nickte. »Tun wir.« Und dann blickte er auf und sagte: »Wie haben Sie das herausgefunden?«
Hank sagte: »Durch einen Eliminationsprozeß. Ich weiß, wer Sie nicht sind, und die Zahl der Verdächtigen in dieser Gruppe ist nicht unendlich groß – tatsächlich handelt es sich ja sogar um eine sehr kleine Gruppe. Wir dachten, wir würden auf dem Weg über diesen Personenkreis weiter nach oben vorstoßen, und vielleicht gelingt uns das ja tatsächlich – durch Barris. Sie und ich haben eine Menge Zeit damit verbracht, miteinander zu plaudern. Ich hab’s schon vor langer Zeit rausgeknobelt. Daß Sie Arctor sind.«
»Ich bin wer?« sagte er und starrte auf Hank, den Jedermann-Anzug, der ihm gegenübersaß. »Ich bin Bob Arctor?« Er konnte es nicht glauben. Es ergab keinen Sinn für ihn. Es paßte mit nichts von dem zusammen, was er getan oder gedacht hatte; es war grotesk.
»Machen Sie sich nichts draus«, sagte Hank. »Wie ist Donnas Telefonnummer?«
»Sie ist vielleicht gerade auf der Arbeit.« Seine Stimme zitterte. »In der Parfumerie. Die Nummer ist –« Er konnte seine Stimme nicht mehr unter Kontrolle halten, und er konnte sich nicht an die Nummer erinnern. Wer, zum Teufel, soll ich sein? sagte er zu sich selbst. Ich bin nicht Bob Arctor. Aber wer bin ich dann? Vielleicht bin ich –
»Geben Sie mir die Telefonnummer von Donna Hawthornes Arbeitsstelle«, sagte Hank gerade rasch in die Sprechmuschel des Telefons. »Hier«, sagte er und hielt Fred den Hörer hin. »Sprechen Sie selbst mit ihr. Nein, vielleicht besser doch nicht. Ich werde ihr sagen, sie soll Sie abholen … wo? Wir werden Sie hinfahren und dort absetzen; Sie können sie schließlich nicht hier treffen. Wüßten Sie einen guten Ort? Wo treffen Sie sich für gewöhnlich?«
»Bringen Sie mich zu ihrer Wohnung«, sagte er. »Ich weiß, wie man reinkommt. «
»Ich werde ihr sagen, daß Sie hier neben mir sitzen und auf Entzug sind. Ich werde einfach sagen, ich sei ein Bekannter von Ihnen und daß Sie mich gebeten haben, anzurufen.«
»Spitze«, sagte Fred. »Find’ ich ja echt dufte. Danke, Mann.«
Hank nickte und wählte erneut, diesmal eine Nummer im öffentlichen Netz. Fred kam es so vor, als wähle er von Ziffer zu Ziffer langsamer, als dauere der Wählvorgang ewig, und er schloß die Augen, atmete schwer vor sich hin und dachte: Wow. Ich bin echt hinüber.
Da haste recht mit, stimmte er zu. Ausgeklinkt, ausgeflippt, ausgebrannt und abgenibbelt. Und angeschissen. Total im Arsch. Er hatte das unwiderstehliche Bedürfnis, laut zu lachen.
»Wir werden Sie zu ihr rüberbringen –«, begann Hank, unterbrach sich dann aber und wandte seine Aufmerksamkeit dem Telefon zu. Er sagte: »Hey, Donna, hier is’ ‘n Kumpel von Bob, hörste? Hey, Mann, ihm geht’s unheimlich beschissen, nein, echt, ich will dich nich’ verarschen. Hey, er –«
So was von dufte, dachten zwei Stimmen unisono in seinem Geist, als er hörte, wie sein Kumpel Donna die Sache verklickerte. Und vergiß nicht, ihr zu sagen, daß sie mir was mitbringen soll; ich geh’ echt aufm Zahnfleisch! Kann sie für mich Nachschub besorgen oder so? Mich vielleicht aufladen, wie sie’s sonst immer tut? Er streckte seine Hand aus, um Hank zu berühren, schaffte es aber nicht; seine Hand griff zu kurz.
»Du, ich mach’ das bestimmt auch mal für dich«, versprach er, als Hank auflegte.
»Bleiben Sie nur ganz ruhig da sitzen, bis der Wagen draußensteht. Ich werde jetzt einen bestellen.« Wieder telefonierte Hank; dieses Mal sagte er: »Wagenpark? Ich brauche einen nicht als Polizeifahrzeug kenntlichen Wagen und einen Beamten in Zivil. Was ist derzeit verfügbar?«
Im Innern des Jedermann-Anzugs, des vagen Flecks, schlossen sie die Augen, um zu warten.
»Vielleicht sollte ich doch lieber veranlassen, daß Sie in ein Krankenhaus gebracht werden«, sagte Hank. »Ihnen geht’s ja wirklich unheimlich dreckig; vielleicht hat Jim Barris Sie vergiftet. In Wirklichkeit waren und sind wir an Barris interessiert, nicht an Ihnen; die Installation der Kameras im Haus sollte in erster Linie dazu dienen, Barris unter Überwachung zu halten. Wir hofften, ihn auf diese Weise hierherlocken zu können … und das haben wir ja auch geschafft.« Hank schwieg. »Eben aus diesem Grunde bin ich mir ziemlich sicher, daß seine Bänder und die anderen Beweisstücke gefälscht sind. Das Labor wird das bestätigen. Aber Barris ist in eine ganz große Sache verwickelt. Eine ganz üble Geschichte. Es hat was mit Waffen zu tun.«
»Ich war dann also ein Was?« sagte er plötzlich sehr laut.
»Wir mußten an Barris rankommen und ihn reif schießen.«
»Ihr Arschficker«, sagte er.
»Auf die Art, wie wir es arrangiert haben, mußte Barris – wenn das überhaupt sein richtiger Name ist – im Laufe der Zeit immer deutlicher gewahr werden, daß Sie ein geheimer Polizeiagent waren, der kurz davorstand, ihn festzunageln oder aber ihn dazu zu benutzen, über ihn an seine Hintermänner heranzukommen. Und darum –«
Das Telefon klingelte.
»All right«, sagte Hank später. »Bleiben Sie nur ganz ruhig da sitzen, Bob, Fred, was auch immer. Beruhigen Sie sich – wir haben den Mistkerl ja geschnappt, und er ist wirklich ein – na, was Sie uns jetzt gerade genannt haben. Dafür hat es sich doch gelohnt, meinen Sie nicht auch? Um ihn zu fangen. Ein solches Etwas, egal, in was er nun eigentlich verwickelt ist?«
»Sicher, gelohnt.« Er konnte kaum noch sprechen; seine Stimme war ein mechanisches Knirschen.
Zusammen saßen sie da.
*
Auf der Fahrt zum Neuen Pfad hielt Donna am Straßenrand an, an einer Stelle, wo sie unter sich zu allen Seiten die Lichter sehen konnten. Aber inzwischen hatten die Qualen für ihn begonnen; sie konnte das deutlich erkennen, und es blieb ihnen nicht mehr viel Zeit. Sie hatte sich so sehr gewünscht, noch einmal mit ihm zusammenzusein. Tja, sie hatte wohl zu lange gewartet. Tränen rannen ihr über die Wangen, und er hatte jetzt begonnen zu würgen und sich zu übergeben.
»Wir bleiben ein paar Minuten hier sitzen«, erklärte sie ihm, während sie ihn durch die Büsche und das Unkraut führte, über den sandigen Boden, zwischen weggeworfenen Bierdosen und allerlei anderem Müll hindurch. »Ich –«
»Hast du deine Hasch-Pfeife dabei?« brachte er mühsam heraus.
»Ja«, sagte sie. Sie mußten sich weit genug von der Straße entfernen, um nicht von der Polizei bemerkt zu werden. Oder wenigstens weit genug, damit sie die Hasch-Pfeife verschwinden lassen konnten, wenn ein Polizist vorbeikam. Sie würde den Polizeiwagen anhalten sehen, mit ausgeschalteten Scheinwerfern, ein Stück entfernt in sicherer Deckung, und die Beamten, die sich zu Fuß näherten. Es würde genügend Zeit sein.
Sie dachte: Dafür jedenfalls. Zeit genug, um sicher vor dem Gesetz zu sein. Aber Bob Arctor hatte keine Zeit mehr. Jedenfalls keine Zeit nach menschlichen Maßstäben mehr – die war abgelaufen. Es war eine andere Art von Zeit, in die er jetzt eingetreten war. Ähnlich der Zeit, dachte sie, die eine Ratte hat: nämlich Zeit, hin und her zu rennen, nutzlos zu sein. Sich ziellos zu bewegen, hin und her, her und hin. Aber wenigstens kann er noch die Lichter unter uns sehen. Obwohl ihm das vielleicht nichts mehr bedeutet.
Sie fanden einen geschützten Platz, und sie holte den in Alufolie gewickelten Klumpen Hasch hervor und zündete die Hasch-Pfeife an. Bob Arctor, der neben ihr hockte, schien es nicht einmal zu bemerken. Er hatte sich beschmutzt, aber sie wußte, daß er nichts dafür konnte. Tatsächlich war er sich dessen vielleicht nicht einmal bewußt. Während des Entzugs wurden sie alle so.
»Hier.« Sie beugte sich zu ihm hinüber, um ihn aufzuladen. Aber er bemerkte auch sie nicht. Er saß einfach nur da, völlig weggetreten, von Magenkrämpfen geschüttelt, kotzte und beschmutzte sich, zitterte und wimmerte wie wahnsinnig vor sich hin. Es klang fast wie eine Art Lied.
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