Stephen Baxter - Zeitschiffe

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Eine neue Reise durch die Zeit führt den Helden aus H. G. Wells’ »Die Zeitmaschine« in Vergangenheiten und Zukünfte, die sich als alternative Zeitströme entpuppen, die er womöglich sehr erzeugt. Der Versuch, das temporale Durcheinander zu ordnen, führt ihn zum Urknall zurück und enthüllt ihm die Geheimnisse des Multiversums… Die »offizielle Fortsetzung« des SF-Klassiker ist eine sehr lange, recht zähe und wenig originelle Hetzjagd durch die Äonen, die erst in ihrem Finale einen »sense of wonder« gewinnt und ein wenig für die aufgewendete Lesezeit entschädigt.

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Und das ganze alte Theater mit der Opposition — nun! Das haben wir alles abgeschafft. Sehen Sie, Leute wie wir wissen, daß die meisten Angelegenheiten eben nicht mit der gleichen Legitimität von zwei Seiten betrachtet werden können. Es ist Unsinn, zu behaupten, daß es doch möglich sei. Es gibt nur einen richtigen Weg und unendlich viele falsche Wege, eine Sache zu tun. Entweder versucht es eine Regierung auf die richtige Art, oder sie ist kriminell. So einfach ist das. Die Opposition der Vergangenheit war überwiegend nur eine stümperhafte Sabotage, von Karrieristen durchgeführte Störmanöver. Und diese Sabotage muß aufhören. Diese ganzen verworrenen Ideen müssen ausgemerzt werden.

Und manche jüngeren Leute gehen noch viel weiter, was ihre Vorstellungen hinsichtlich der Zukunft betrifft. So behaupten sie zum Beispiel, daß die Familie sich auflöst. Sie war, wenn Sie so wollen, die gesellschaftliche Keimzelle in unserer landwirtschaftlich dominierten Vergangenheit. Aber jetzt, in unserer modernen Welt, verliert die Familie ihren besonderen Status und geht in einem größeren Beziehungssystem auf. Die Seßhaftigkeit unserer jungen Leute, einschließlich der Frauen, nimmt stark ab.«

Ich mußte an Captain Hilary Bond denken. »Aber wodurch wird die Familie ersetzt?«

»Nun, die Perspektive ist noch nicht klar, aber die Jungen reden von einer Restrukturierung der Gesellschaft um verschiedene Kerngruppen: Lehrer, Schriftsteller, Redner, die uns zu einer neuen Art des Denkens führen — und uns von diesem Tribalismus in eine bessere Zukunft geleiten.«

»In der Tat ein ›Hochland‹.« Ich bezweifelte, daß das meiste — oder überhaupt etwas! — von dieser Philosophie von Wallis selbst stammte; er war lediglich ein Spiegel seiner Zeit, die von den großmäuligen Meinungsmachern in Regierung und Gesellschaft geprägt wurde. »Und wie stehen Sie zu all dem?«

»Ich?« Er lachte verächtlich. »Oh, ich bin zu alt für solche Veränderungen — und außerdem«, seine Stimme schwankte, »würde ich es hassen, meine Töchter zu verlieren… Aber andererseits will ich sie auch nicht in einer Welt wie…« — er deutete auf die Kuppel, den toten Park und die Soldaten — »…wie dieser aufwachsen sehen! Und wenn das bedeutet, daß sich die Herzen der Menschen ändern, dann soll es eben so sein.

Sehen Sie jetzt, weshalb wir Ihre Kooperation benötigen?« fragte er mich. »Mit einer solchen Waffe wie dem ZVF — einer Zeitmaschine — rückt die Errichtung dieses Modernen Staates in greifbare Nähe. Und wenn wir es nicht schaffen…«

»Ja?«

Er hielt an; wir näherten uns jetzt der südlichen Begrenzung des Parks, und es waren nur wenige Leute zu sehen. »Uns liegen Gerüchte vor, wonach die Deutschen eine eigene Zeitmaschine bauen«, sagte er leise. »Und wenn sie vor uns damit fertigwerden — wenn das Reich in den Besitz einsatzfähiger Zeitverschiebungs-Kampfmittel gelangt…«

»Ja?«

Und dann skizzierte er für mich einen kurzen, aber furchteinflößenden Abriß des bevorstehenden Zeitkrieges, der offensichtlich jahrelanger propagandistischer Indoktrination entsprang. Die fischäugigen Stabsoffiziere des alten Kaisers überlegten, wie sie ihre halb gedopten, irren Kerls in unsere glorreiche Geschichte verpflanzen konnten — ihre Zeitsoldaten. Wallis' Schilderungen zufolge mußte es sich bei diesen Soldaten um Bomben auf zwei Beinen handeln; sie würden wie todbringende Puppen auf hunderten unserer alten Schlachtfelder auftauchen…

»Sie würden England zerstören — es quasi im Kindbett erdrosseln. Und das müssen wir verhindern«, sagte er entschlossen. »Sie begreifen das doch, nicht wahr? Sie verstehen es?«

Ich blickte in sein eingefallenes, ernstes Gesicht und konnte nicht antworten.

Wallis begleitete mich zu dem Haus in Queen's Garden Terrace zurück. »Ich möchte Sie nicht zu der Entscheidung drängen, mit mir zusammenzuarbeiten, alter Mann — ich weiß, wie schwierig das alles für Sie sein muß; schließlich ist es nicht Ihr Krieg — wir haben jedoch nicht viel Zeit. Aber andererseits, was bedeutet unter diesen Umständen schon ›Zeit‹, nicht wahr?«

Ich schloß mich wieder meinen Kameraden im Raucherzimmer an. Ich ließ mir von Filby einen mit Wasser verdünnten Whisky geben und setzte mich in einen Sessel. »Es ist alles so eng dort draußen«, stellte ich fest. »Wie in Burma! — diese verdammte Kuppel. Und ist es nicht komisch? Pechschwarz draußen, und wir haben erst Mittag.«

Moses blickte von dem Folianten auf, in dem er gerade las.

»Erfahrung bemißt sich nach ihrer Intensität und nicht nach ihrer Zeitdauer‹«, zitierte er. Er grinste mich an. »Wäre das nicht eine perfekte Inschrift für den Grabstein eines Zeitreisenden? Intensität — das ist es, was zählt.«

»Wer ist der Autor?«

»Thomas Hardy. Könnte fast dein Zeitgenosse gewesen sein, stimmt's?«

»Ich habe nichts von ihm gelesen.«

Moses überflog das Vorwort. »Nun, er ist auch schon gestorben… 1928.« Er schloß das Buch. »Was hast du von Wallis erfahren?«

Ich gab ihnen eine Zusammenfassung der Gespräche. »Ich war froh, als ich ihn endlich vom Hals hatte«, meinte ich dann. »Was für ein Gewirr aus Propaganda und halbgarer Politik… ganz zu schweigen von dem hochgestochenen Geschwätz über Kausalität und all das.«

Wallis' Ausführungen hatten meine depressive Grundstimmung, in der ich mich schon seit meinem Eintreffen im Jahre 1938 befand, noch verstärkt. Ich hatte den Eindruck, daß in den Herzen der Menschen ein fundamentaler Konflikt tobte. Er wurde von den Kräften seiner eigenen Natur fortgerissen — mehr als die sonstige Menschheit, die ich im Verlauf der evolutionären Strömungen gesehen habe, welche seit der Ära der Urmeere die Menschheitsgeschichte durchziehen —, und doch gab es hier diese brillanten jungen Briten und Amerikaner, im Krieg gestählt und entschlossen, die Natur zu planen, zu kontrollieren und zu bekämpfen sowie sich selbst und ihre Mitmenschen in einen Zustand der Stasis, ein gefrorenes Utopia, zu versetzen!

Ich wußte, daß ich als Bürger dieses sogenannten Modernen Staates bald zu einem dieser protestierenden Geister geworden wäre, die sich in seinem gnadenlos gütigen Griff wanden.

Doch selbst als mir diese Gedanken kamen, fragte ich mich im tiefsten Herzen, wie weit ich mich wohl Wallis' Ansichten angeschlossen hätte — über diesen Modernen Staat, mit seinen Kontrollen und Planungen —, bevor meine Zeitreisen mir die Augen für die Grenzen der Menschheit geöffnet hatten. »Übrigens, Nebogipfel«, sagte ich, »ich bin auf einen alten Freund von dir gestoßen — Kurt Gödel…«

Und der Morlock stieß ein seltsames, gurgelndes Wort in seiner Muttersprache aus; er wirbelte auf seinem Stuhl herum und erhob sich in einer schnellen, fließenden Bewegung, die ihm eher einen animalischen als menschlichen Charakter verlieh. Filby wurde blaß, und Moses verstärkte den Griff um das Buch, das er in der Hand hatte.

»Gödel — ist er hier?«

»Ja, er ist in der Kuppel. Er ist nicht einmal eine Viertelmeile von hier entfernt — im Imperial College.« Ich beschrieb ihnen die Nachrichtensendung, die ich gesehen hatte.

»Ein Kernreaktor. Das ist es«, zischte Nebogipfel. »Jetzt verstehe ich. Er ist der Schlüssel — Gödel ist der Schlüssel zu allem. Ich muß ihn treffen, mit seinen Erkenntnissen über rotierende Universen…«

»Ich weiß nicht, wovon du sprichst.«

»Schau: willst du dieser fürchterlichen Historie entkommen?«

Das wollte ich — natürlich wollte ich das! — gleich aus tausend Gründen: um diesem schrecklichen Konflikt zu entfliehen, zu versuchen, nach Hause zu kommen und der Zeitreise einen Riegel vorschieben, bevor der Wahnsinn des Zeitkrieges sich etablieren konnte… »Natürlich will ich das. Aber dazu brauchen wir eine Zeitmaschine.«

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