»Das Plattnerit ist natürlich am wichtigsten«, fuhr Wallis fort, »aber wir glauben nicht, daß es erforderlich ist, Komponenten des Fahrzeugs mit dem Zeug anzureichern, wie Sie es getan hatten. Statt dessen sollte es genügen, diese Behälter mit dem kostbaren Stoff zu füllen.« Zur Demonstration schraubte er von einer der Eckeinheiten den Verschluß ab. »Sehen Sie? Und dann kann das Ding von der Kabine aus durch die Zeit gesteuert werden, falls steuern hier überhaupt das richtige Wort ist.«
»Und haben Sie es schon ausprobiert?«
Er fuhr sich mit den Fingern durch die Haare, wodurch sich ein großer Teil aufrichtete. »Natürlich nicht! — wir haben nämlich kein Plattnerit.« Er klopfte mir auf die Schulter. »Deswegen sind Sie ja hier…«
Wallis brachte mich zu einem anderen Abschnitt des Komplexes. Nach weiteren Sicherheitsüberprüfungen betraten wir eine lange, schmale Kammer, die wie ein Flur aussah. Eine Wand dieser Kammer bestand ausschließlich aus Glas, und hinter dem Glas konnte ich in einen größeren Raum erkennen, der ungefähr die Fläche eines Tennisplatzes hatte. Dieser größere Raum war leer. Im kleineren Nebenraum saßen sechs oder sieben Wissenschaftler an Schreibtischen; jeder von ihnen trug den charakteristischen verschmutzten, weißen Kittel, mit dem offenbar jeder Forscher schon auf die Welt kommt, und hingen über Skalen und Schaltern. Die Wissenschaftler drehten sich bei unserem Eintreten um — es waren drei Frauen darunter —, und ich erschrak beim Anblick ihrer eingefallenen Gesichter; trotz ihrer augenscheinlichen Jugend strahlten sie eine nervöse Erschöpfung aus. Während der ganzen Zeit, die wir uns in diesem Raum aufhielten, gab eine bestimmte Sorte von Instrumenten ein leises Klicken von sich; Wallis erklärte mir, daß es sich dabei um die Geräusche von ›Geigerzählern‹ handelte.
Die größere Kammer hinter dem Glas war ein schlichter Betonbehälter mit ungetünchten Wänden. Sie war leer, abgesehen von einem vielleicht zehn Fuß hohen und sechs Fuß breiten Ziegelsteinmonolithen, der plump im Mittelpunkt der Kammer hockte. Die Ziegelsteine bestanden aus zwei Sorten, hell- und dunkelgrau, die sich in regelmäßigen Mustern abwechselten. Dieser Monolith war durch eine Lage dickerer Steine vom Boden isoliert, und Drähte verliefen von ihm zu abgedichteten Öffnungen in den Wänden des Raums.
Wallis starrte durch das Glas. »Bemerkenswert — nicht wahr? — daß etwas derart Häßliches und Simples solch nachhaltige Auswirkungen haben kann. Wir sind hier sicher — das Glas ist verbleit — und außerdem ist der Reaktor im Moment heruntergefahren…«
Ich hatte den Steinklotz schon bei der Schwätzmaschinen-Show gesehen. »Ist das eure Spalt-Maschine?«
»Es ist der zweite Graphit-Reaktor der Welt«, sagte Wallis. »Er ist im Grunde eine Kopie des ersten, den Fermi in der Universität von Chicago gebaut hat.« Er lächelte. »Soviel ich weiß, hat er ihn auf einem Squash-Spielfeld errichtet. Es ist eine bemerkenswerte Geschichte.«
»Ja«, stimmte ich mit steigender Ungeduld zu, »aber was reagiert da miteinander?«
»Ah«, sagte er, nahm die Brille ab und putzte sie mit dem Ende seiner Krawatte. »Ich will versuchen, es Ihnen zu erklären…«
Es erübrigt sich zu sagen, daß er dazu einige Zeit benötigte, aber es gelang mir, die Quintessenz seiner Ausführungen zu verinnerlichen.
Ich wußte bereits, daß es innerhalb des Atoms noch eine Sub-Struktur gibt — und daß Thomson der Wegbereiter dieser Erkenntnis gewesen war. Jetzt erfuhr ich, daß diese Sub-Struktur verändert werden kann. Dies kann entweder durch die Verschmelzung eines Atomkerns mit einem anderen erreicht werden oder auch durch den spontanen Zerfall eines massiven Atoms; und diese Auflösung wurde als Atomspaltung bezeichnet.
Und da die Sub-Struktur die Identität eines Atoms bestimmt, besteht das Resultat solcher Veränderungen natürlich in nichts weniger als der Umwandlung eines Elements in ein anderes — der uralte Traum der Alchimisten!
»Nun«, meinte Wallis, »werden Sie nicht überrascht sein zu hören, daß bei jedem atomaren Zerfall eine gewisse Energie freigesetzt wird — denn die Atome streben immer einen stabileren, niederenergetischen Zustand an. Können Sie noch folgen?«
»Selbstverständlich.«
»Wir haben also in diesem Reaktor sechs Tonnen Carolinum, fünfzig Tonnen Uranoxid und vierhundert Tonnen Graphitblöcke… und selbst in diesem Moment produziert er eine Flut unsichtbarer Energie.«
»Carolinum? Davon habe ich noch nie gehört.«
»Es ist ein neues, künstliches Element, das durch Partikelbombardement gewonnen wird… Seine Halbwertszeit beträgt siebzehn Tage — das heißt, in dieser Zeit gibt es die Hälfte seiner gespeicherten Energie ab…«
Ich schaute erneut auf diesen unscheinbaren Haufen aus Ziegelsteinen: er wirkte so schlicht, so nichtssagend! — und doch, so dachte ich, wenn das, was Wallis über die Energie des Atomkerns gesagt hatte, stimmte…
»Welche Anwendungsmöglichkeiten bietet diese Energie?«
Er setzte sich wieder die Brille auf die Nase. »Wir sehen drei breite Felder. Zunächst die Bereitstellung von Energie aus einer kompakten Quelle: mit einem solchen Reaktor an Bord könnten Riesen-Unterseeboote monatelang unter Wasser bleiben, ohne Treibstoff bunkern zu müssen; oder wir könnten Höhenbomber entwickeln, welche die Erde mehrere dutzendmal umkreisen können, bis sie wieder landen müßten — und so weiter.
Des weiteren nutzen wir den Reaktor zur Bestrahlung von Materialien. Wir können die Nebenprodukte der Uranspaltung für die Umwandlung anderer Stoffe verwenden — genau in diesem Moment werden dort drinnen eine Anzahl Proben für Professor Gödel behandelt, um irgendein obskures Experiment zu unterstützen. Sie können sie natürlich nicht sehen — die Behälter mit den Proben befinden sich nämlich im Reaktor…«
»Und die dritte Anwendung?«
»Ah«, meinte er nur, und erneut bekamen seine Augen diesen entrückten, berechnenden Ausdruck.
»Ich sehe schon«, sagte ich grimmig. »Diese atomare Energie würde eine feine Bombe abgeben.«
»Natürlich müssen dabei noch einige praktische Probleme gelöst werden«, wußte er. »Die Produktion der richtigen Isotope in ausreichender Menge… der richtige Zeitpunkt der Zündexplosionen… aber, ja; es scheint, als ob man damit eine Bombe bauen könnte, die so stark ist, eine Stadt zu vernichten — die Kuppel und alles darunter — eine Bombe, die so klein ist, daß sie in einen Koffer paßt.«
Wir durchwanderten weitere dieser engen Betonkorridore und tauchten schließlich im Hauptbürotrakt des College auf. Nach kurzer Zeit gelangten wir in einen mit edlen Kacheln ausgekleideten Korridor, an dessen Wänden die Konterfeis berühmter Männer der Vergangenheit prangten — Sie kennen diese Orte: ein nobles Mausoleum für verblichene Wissenschaftler! Überall waren Soldaten, aber ihre Präsenz war unauffällig.
Hier hatte man Kurt Gödel also ein Büro eingerichtet.
Kurz und bündig skizzierte Wallis mir Gödels Lebenslauf. Er war in Österreich geboren und hatte in Wien sein Mathematikdiplom gemacht. Beeinflußt von der Schule des Logischen Positivismus, die damals dort tonangebend war (ich selbst hatte nie viel Zeit fürs Philosophieren gehabt), verlagerten sich Gödels Interessen zur Logik und mathematischen Philosophie.
1931 — er war gerade fünfundzwanzig — hatte Gödel seine aufrüttelnde These zur ewigen Unvollständigkeit der Mathematik veröffentlicht.
Später interessierte er sich für die in der Physik erstmals aufkommenden Untersuchungen zu Raum und Zeit, und er erarbeitete spekulative Beiträge zur Möglichkeit von Zeitreisen. (Das mußten die veröffentlichen Studien gewesen sein, auf die sich Nebogipfel bezogen hatte, überlegte ich.) Bald wechselte er unter dem Druck der Reichsregierung nach Berlin, wo er sich mit Arbeiten zur militärischen Anwendung von Zeitreisen befaßte.
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