Stephen Baxter - Zeitschiffe

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Eine neue Reise durch die Zeit führt den Helden aus H. G. Wells’ »Die Zeitmaschine« in Vergangenheiten und Zukünfte, die sich als alternative Zeitströme entpuppen, die er womöglich sehr erzeugt. Der Versuch, das temporale Durcheinander zu ordnen, führt ihn zum Urknall zurück und enthüllt ihm die Geheimnisse des Multiversums… Die »offizielle Fortsetzung« des SF-Klassiker ist eine sehr lange, recht zähe und wenig originelle Hetzjagd durch die Äonen, die erst in ihrem Finale einen »sense of wonder« gewinnt und ein wenig für die aufgewendete Lesezeit entschädigt.

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Wir kamen an eine Tür, an der ein Messingschild mit Gödels Namen angebracht war — es war so neu, daß ich auf dem Teppich noch die Holzspäne sah, die der Bohrer hinterlassen hatte.

Wallis machte mich darauf aufmerksam, daß ich vielleicht nur ein paar Minuten für meinen Besuch haben würde. Er klopfte an die Tür.

»Herein!« rief eine dünne, hohe Stimme.

Wir betraten ein geräumiges Büro mit einer hohen Decke, das mit einem edlen Teppich und schöner Tapete sowie einem Schreibtisch mit grüner Ledereinlage ausgestattet war. Dieser Raum mußte einmal viel Sonne gehabt haben, realisierte ich, denn die großen Fenster — die jetzt mit Vorhängen verhängt waren — gingen nach Westen: in Richtung der Terrasse, wo ich logierte.

Der Mann am Schreibtisch unterbrach seine Schreibarbeiten nicht, als wir eintraten; er hatte einen Arm um das Blatt gelegt, offenkundig in der Absicht, uns einen Blick darauf zu verwehren. Er war ein kleiner, dünner und kränklich wirkender Mann mit einer hohen, fragilen Stirn; sein Anzug war aus Wolle und ziemlich zerknittert. Nach meiner Schätzung war er in den Dreißigern.

Wallis sah mich an und hob eine Augenbraue. »Er ist zwar ein verschrobener Kerl«, flüsterte er, »aber eine echte Kapazität.«

Die Wände des Raumes waren umlaufend mit Bücherregalen verdeckt, die im Moment jedoch fast leer waren; dafür war der Teppich mit aufeinandergestapelten Kisten zugestellt, und Bücher und Journale — überwiegend in Deutsch — waren in unregelmäßigen Haufen herausgeglitten. In einer Kiste sah ich eine wissenschaftliche Ausrüstung und diverse Flaschen für Präparate — und in einer davon sah ich etwas, das mein Herz vor Aufregung klopfen ließ!

Ruckartig wandte ich mich von der Kiste ab und versuchte meine Erregung zu verbergen.

Schließlich warf der Mann am Schreibtisch mit einem verzweifelten Keuchen den Stift weg — er klapperte gegen die Wand — und zerknüllte mit beiden Fäusten die beschriebenen Seiten, bevor er den ganzen Kram — seine ganzen Aufzeichnungen — in den Papierkorb warf!

Jetzt blickte er auf, als ob er unsere Anwesenheit erst jetzt registriert hätte. »Ah«, meinte er. »Wallis.« Er verstaute die Hände hinter dem Schreibtisch und schien in sich zu versinken.

»Professor Gödel, wir danken Ihnen, daß Sie uns empfangen haben. Das ist…« Er stellte mich vor.

»Ah«, wiederholte Gödel und grinste, wobei ein unregelmäßiges Gebiß zum Vorschein kam. »Natürlich.« Jetzt stand er mit eckigen Bewegungen auf, ging um den Schreibtisch herum und streckte mir die Hand entgegen. Ich ergriff sie; sie war klein, knochig und kalt. »Das Vergnügen ist ganz auf meiner Seite. Ich nehme an, daß wir viele erquickliche Gespräche führen werden.« Sein Englisch war gut, mit leichtem österreichischen Akzent.

Wallis ergriff die Initiative und winkte uns zu einer aus Armstühlen bestehenden Sitzgruppe am Fenster.

»Ich hoffe, daß Sie sich in diesem Neuen Zeitalter selbst einen Platz aussuchen können«, sagte Gödel ernsthaft. »Es könnte etwas wilder sein als die Welt, an die Sie sich erinnern. Aber vielleicht werden Sie, genauso wie ich, als nützlicher Exzentriker geduldet. Ja?«

»Oh, kommen Sie, Professor…«, meinte Wallis.

»Exzentrisch«, beharrte er nachdrücklich. » Ekkentros — außerhalb des Zentrums.« Sein Blick schweifte zu mir. »Das ist es wohl, was wir beide sind — etwas außerhalb des Mittelpunkts der Dinge. Kommen Sie, Wallis, ich weiß doch, daß ihr gesetzten Briten mich für etwas wunderlich haltet.« »Nun…«, sagte Wallis gequält. »Der arme Wallis kommt einfach nicht mit meiner Angewohnheit zurecht, daß ich meine Korrespondenz ständig neu abfasse«, offenbarte mir Gödel. »Manchmal erstelle ich ein Dutzend Entwürfe oder noch mehr — und werfe sie dann trotzdem weg —, wie Sie eben gesehen haben! Ist das etwa schrullig? Nun gut. Sei's drum!«

»Es ist Ihnen sicher nicht leicht gefallen, Ihre Heimat zu verlassen, Professor.«

»Nein. Überhaupt nicht. Ich mußte weg aus Europa«, erklärte er mir mit leiser Stimme, wie ein Verschwörer. »Warum?«

»Wegen des Kaisers natürlich.« Barnes Wallis warf mir warnende Blicke zu. »Ich habe Beweise, müssen Sie wissen«, behauptete Gödel mit Nachdruck. »Vergleichen Sie zwei Photographien — z. B. eine von 1915 und eine aus diesem Jahr, die den Mann zeigt, der sich als Kaiser Wilhelm ausgibt. Wenn Sie die Länge der Nase nachmessen und das Ergebnis mit der Strecke von der Nasenspitze bis zum Kinn ins Verhältnis setzen — Sie werden unterschiedliche Ergebnisse erhalten!« »Ich… ah… großer Gott!«

»In der Tat. Und mit einem solchen Federbusch am Helm — wer weiß, wohin Deutschland geht, nicht wahr?« »Ist schon recht«, fuhr Wallis hastig dazwischen. »Unabhängig von Ihren Motiven sind wir froh, daß sie unser Angebot einer Professur an diesem Institut akzeptiert haben — daß Sie England als Heimat gewählt haben.«

»Ja«, meinte ich. »Hätten Sie nicht auch nach Amerika gehen können? Vielleicht nach Princeton oder…« Er schaute schockiert drein. »Ich bin mir sicher, daß ich das hätte tun können. Aber es wäre trotzdem unmöglich. Ganz unmöglich.«

»Weshalb?«

»Natürlich wegen der Verfassung!« Und jetzt eröffnete dieser außergewöhnliche Mensch in einem langen und weitschweifigen Diskurs, wie er in der amerikanischen Verfassung ein logisches Schlupfloch entdeckt hatte, das die legale Errichtung einer Diktatur ermöglichte!

Wallis und ich ließen das geduldig über uns ergehen.

»Nun«, meinte Gödel, als er seinen Sermon beendet hatte, »was halten Sie davon?«

Ich erntete weitere strenge Blicke von Wallis, aber ich beschloß, aufrichtig zu sein. »Ich kann Ihre Logik zwar nicht widerlegen«, konzedierte ich, »aber ihre Implikationen erscheinen mir dennoch in höchstem Maße abwegig.«

Er schnaufte. »Nun — vielleicht! — aber Logik ist alles. Meinen Sie nicht? Der axiomatische Ansatz ist sehr überzeugend.« Er lächelte. »Ich habe also einen ontologischen Beweis für die Existenz Gottes — völlig eindeutig, soweit ich es erkennen kann — und mit respektablen Vorgängern, die über achthundert Jahre bis zu Erzbischof Anselm zurückreichen. Sie sehen also…«

»Vielleicht ein andermal, Professor«, ging Wallis dazwischen.

»Ah — ja. Sehr gut.« Er schaute uns der Reihe nach an — sein Blick war stechend, ziemlich unangenehm. »So. Zeitreise. Ich beneide Sie wirklich, wissen Sie.«

»Wegen meiner Zeitreisen?«

»Ja. Aber nicht wegen dieses unproduktiven Herumhüpfens durch die Geschichte.« Seine Augen waren wäßrig; sie schimmerten im hellen elektrischen Licht.

»Weswegen dann?«

»Nun, weil Sie andere Welten als diese hier gesehen haben — andere Potentiale — verstehen Sie?«

Mich fröstelte; seine Auffassungsgabe war wirklich außergewöhnlich — fast telepathisch. »Sagen Sie mir, was Sie meinen.«

»Die Möglichkeit anderer Welten, die eine über unsere kurze Existenz hinausgehende Bedeutung haben, scheint mir evident zu sein. Jeder, der das Wunder einer mathematischen Entdeckung erlebt hat, muß einfach wissen, daß mathematische Wahrheiten unabhängig von dem Geist existieren, in dem sie residieren — daß diese Wahrheiten Gedankensplitter eines höheren Verstandes sind…

Sehen Sie: unser Leben, hier auf Erden, hat bestenfalls eine unklare Bedeutung. Also muß ihre wirkliche Bedeutung außerhalb dieser Welt liegen. Verstehen Sie? Die Vorstellung, daß alles in der Welt eine Letztendliche Bedeutung hat, ist ein exaktes Analogon zu dem Prinzip, daß alles eine Ursache hat — ein Prinzip, auf dem die gesamte Wissenschaft basiert.

Daraus ergibt sich zwangsläufig, daß es irgendwo jenseits unserer Zeit die Finale Welt gibt — die Welt, in der alle Bedeutung aufgelöst wird.

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