Stephen Baxter - Zeitschiffe

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Eine neue Reise durch die Zeit führt den Helden aus H. G. Wells’ »Die Zeitmaschine« in Vergangenheiten und Zukünfte, die sich als alternative Zeitströme entpuppen, die er womöglich sehr erzeugt. Der Versuch, das temporale Durcheinander zu ordnen, führt ihn zum Urknall zurück und enthüllt ihm die Geheimnisse des Multiversums… Die »offizielle Fortsetzung« des SF-Klassiker ist eine sehr lange, recht zähe und wenig originelle Hetzjagd durch die Äonen, die erst in ihrem Finale einen »sense of wonder« gewinnt und ein wenig für die aufgewendete Lesezeit entschädigt.

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Mein Blick traf sich mit dem von Moses, und ich erkannte dort einen gewissen heiligen Zorn, eine Wut auf die Dummheit der Menschheit, die auf meiner eigenen, jüngeren Seele lastete. Ich hatte der planlosen Weiterentwicklung der Zivilisation schon immer skeptisch gegenübergestanden, denn ich hatte den Eindruck, daß dieser ganze fragile Überbau eines Tages über seinen hirnlosen Erbauern einstürzen würde. Und diese Sache mit dem Modernen Staat hielt ich für eine extreme Dummheit, die nach dem, was ich gehört hatte, wohl nur in einem Krieg enden konnte! Es war, als ob ich Moses' Gedanken von seinen Augen ablesen könnte — er hatte seine Freak-Klamotten abgelegt und sich in eine jüngere Version von mir verwandelt, die mir jetzt auch äußerlich eher entsprach — und ich hatte mich ihm nie näher gefühlt, seit wir uns begegnet waren.

»Nun gut«, meinte ich dann, »die Sache ist entschieden. Ich glaube, daß niemand von uns eine solche Zukunft tolerieren könnte.« Die anderen schüttelten den Kopf, und ich erneuerte meine Entschlossenheit, diesen Zeitreisen ein für allemal ein Ende zu bereiten. »Wir müssen fliehen. Aber wie…«

Und dann, noch bevor ich die Frage ausformuliert hatte, erbebte das Haus.

Ich wurde zu Boden geschleudert und knallte fast mit dem Kopf gegen den Tisch. Es rumpelte — ein tiefes Knallen, wie eine zugeschlagene Tür, tief im Innern der Erde. Die Lampen flackerten, erloschen aber nicht. Überall um mich herum ertönten Schreie — der arme Filby wimmerte — und ich hörte das Klirren von Glas und das Klappern umstürzender Möbel.

Das Gebäude schien sich wieder zu beruhigen. Hustend, denn eine außerordentliche Staubwolke war aufgewirbelt worden, mühte ich mich auf die Füße. »Seid ihr alle in Ordnung? Moses? Morlock?«

Moses kümmerte sich bereits um Nebogipfel. Der Morlock schien unverletzt, aber er war unter einem umgekippten Bücherschrank eingeklemmt.

Ich überließ sie sich selbst und sah nach Filby. Der alte Bursche hatte Glück gehabt; es hatte ihn nicht einmal aus seinem Sessel gehauen. Aber jetzt war er aufgestanden und ging zum Fenster, durch das ein Sprung verlief.

Ich erreichte ihn und legte den Arm um seine gebeugten Schultern. »Filby, mein guter Freund — komm mit.«

Aber er ignorierte mich. Er deutete mit einem gekrümmten Finger auf das Fenster, wobei Tränen durch die Staubschicht auf seinem Gesicht strömten. » Schau.«

Ich beugte mich näher zum Fenster und blendete mit den Händen den Schein der elektrischen Lampen aus. Die Aldis-Lampen der Schwätzmaschine waren erloschen, wie auch viele Straßenlampen. Ich sah viele Leute in Panik umherrennen — ein umgestürztes Fahrrad — einen Soldaten mit angelegter Gasmaske, der Schüsse in die Luft feuerte… und dort, etwas weiter entfernt, stand eine Säule gleißenden Lichts; es erleuchtete einen Ausschnitt der Straßen, Häuser, eine Ecke des Hyde Park; Leute standen in seinem Schein, blinzelten wie Eulen und hielten sich die Hände vor das Gesicht. Über ihnen setzte sich das Licht in der Luft fort, eine vertikaler Zylinder herumwirbelnden Staubs.

Diese strahlende Säule war Tageslicht. Die Kuppel hatte einen Riß bekommen.

Der deutsche Angriff auf London

Die Haustür hing in den Angeln, offensichtlich durch die Erschütterung aufgestoßen. Von den Soldaten, die uns bewacht hatten, war keine Spur zu sehen — nicht einmal der treue Puttick. Draußen auf der Terrace hörten wir klappernde Schritte, Schreie und zornige Rufe, gellendes Pfeifen, und ein Geruch nach Staub, Rauch und Kordit lag in der Luft. Dieses Fragment von Juni-Tageslicht hing hell und klar über allem; die verwirrte und bestürzte Bevölkerung des konservierten London blinzelte wie aufgeschreckte Eulen.

Moses klopfte mir auf die Schulter. »Dieses Chaos wird nicht lange anhalten; jetzt ist unsere Chance.«

»Sehr richtig. Ich hole Nebogipfel und Filby; du suchst im Haus ein paar Vorräte zusammen…«

»Vorräte? Welche Vorräte?«

Ich verspürte Ungeduld und Gereiztheit: welcher Narr würde nur mit einem Morgenrock und Hausschlappen ausgerüstet eine Zeitreise antreten? »Oh — Kerzen. Und Streichhölzer! So viele, wie du finden kannst. Etwas, das sich als Waffe verwenden läßt — wenn du nichts Besseres findest, tut es auch ein Küchenmesser.« Was noch — was noch? » Kampfer, wenn wir welchen haben. Unterwäsche! — Stopf dir die Taschen mit dem Zeug voll…«

Er nickte. »Ich verstehe. Ich werde ein Bündel schnüren.« Er wandte sich von der Tür ab und lief in die Küche.

Ich eilte zurück ins Raucherzimmer. Nebogipfel hatte die Schuljungen-Kappe aufgesetzt; er hatte seine Notizen zusammengesucht und verstaute sie in einer Pappschachtel. Filby — der arme alte Teufelskerl! — kniete unter dem Fenster; er hatte die Knie an seine Hühnerbrust gezogen und hielt die Hände vor das Gesicht, wie ein Boxer, der eine Deckung aufgebaut hatte.

Ich kniete mich vor ihm hin. »Filby. Filby, alter Freund…« Ich streckte die Hand aus, aber er zuckte vor mir zurück. »Du mußt mit uns kommen. Es ist hier nicht sicher.«

»Sicher? Und bei dir ist es sicherer? Eh? Du… Verschwörer. Du Quatschkopf.« Seine vom Staub tränenden Augen waren klar, wie Fenster, und er schleuderte mir diese Worte entgegen, als wären sie die schlimmsten nur vorstellbaren Beleidigungen. »Ich will dich nur daran erinnern, wie du uns mal zu Weihnachten mit deinem verdammten Geistertrick zu Tode erschreckt hast. Nun, ich werde nicht noch mal darauf hereinfallen!«

Ich mußte mich dazu zwingen, ihn nicht zu schütteln. »Oh, rede keinen Unsinn, Mann! Die Zeitreise ist kein Trick — und dieser verdammte Krieg sicher auch nicht!«

Jemand berührte meine Schulter. Es war Nebogipfel; seine bleichen Finger schienen in den durchs Fenster fallenden Fragmenten des Tageslichts zu glühen. »Wir können ihm nicht helfen«, sagte er sanft.

Filby legte den Kopf zwischen seine zitternden, leberfleckigen Hände, und ich war überzeugt, daß er mich jetzt nicht mehr hören konnte.

»Aber wir können ihn doch nicht einfach so zurücklassen!«

»Was willst du denn machen — ihn vielleicht nach 1891 zurückschicken? Das 1891, das du kanntest, existiert aber nicht mehr — höchstens in irgendeiner unerreichbaren Dimension.«

Jetzt kam Moses mit einem kleinen, prallvollen Rucksack in der Hand ins Raucherzimmer gestürmt; er hatte die Epauletten angelegt und die Gasmaske an der Hüfte befestigt. »Ich bin fertig«, japste er. Nebogipfel und ich reagierten nicht sofort, und Moses schaute uns der Reihe nach an. »Was ist denn? Worauf wartet ihr noch?«

Ich streckte die Hand aus und drückte Filbys Schulter. Immerhin sträubte er sich nicht, und ich interpretierte das als letzten Rest freundschaftlicher Verbundenheit zwischen uns.

Ich habe ihn nie wieder gesehen.

Wir schauten auf die Straße hinaus. Ich erinnnerte mich, daß dies einmal ein vergleichsweise ruhiges Viertel von London gewesen war; aber jetzt strömten die Menschen durch Queen's Garden Terrace, rannten, stolperten und rempelten sich gegenseitig an. Männer und Frauen hatten ihre Wohnungen und Arbeitsplätze einfach verlassen. Die Köpfe der meisten waren unter Gasmasken verborgen, aber wo ich die Gesichter sehen konnte, las ich nur Schmerz, Elend und Furcht.

Überall schienen Kinder zu sein, überwiegend in dunklen Schuluniformen und mit ihren kleinen Gasmasken; die Schulen schienen offensichtlich geschlossen zu sein. Die Kinder streiften auf der Straße umher und riefen nach ihren Eltern; ich stellte mir die Qualen einer Mutter vor, die in dem riesigen, wimmelnden Ameisenhaufen, zu dem London geworden war, nach ihrem Kind suchte, und ich brach diese Überlegungen ab.

Manche Leute hatten ihre Werktagsutensilien bei sich — Aktentaschen und Handtaschen, vertraut und nutzlos — und andere hatten bereits ihren Hausrat zusammengepackt und in ausgebeulten Koffern verstaut oder in Vorhänge und Bettlaken eingewickelt. Wir sahen einen dünnen, verbissen wirkenden Mann, der stolpernd eine große Kiste auf einem Fahrrad balancierte, die ohne Zweifel mit Wertgegenständen angefüllt war. Die Last kippte ihm ständig gegen seine magere Hüfte, und er mühte sich, das Gleichgewicht zu halten.

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