Stephen Baxter - Zeitschiffe

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Eine neue Reise durch die Zeit führt den Helden aus H. G. Wells’ »Die Zeitmaschine« in Vergangenheiten und Zukünfte, die sich als alternative Zeitströme entpuppen, die er womöglich sehr erzeugt. Der Versuch, das temporale Durcheinander zu ordnen, führt ihn zum Urknall zurück und enthüllt ihm die Geheimnisse des Multiversums… Die »offizielle Fortsetzung« des SF-Klassiker ist eine sehr lange, recht zähe und wenig originelle Hetzjagd durch die Äonen, die erst in ihrem Finale einen »sense of wonder« gewinnt und ein wenig für die aufgewendete Lesezeit entschädigt.

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Wallis lehnte sich zu mir herüber. »Wir haben Glück! — es ist ein Beitrag über das Imperial College. Das ist Kurt Gödel — ein junger Wissenschaftler aus Österreich. Sie werden ihm vielleicht mal begegnen. Vor kurzem ist es uns gelungen, ihn dem Reich ›abzuwerben‹; offensichtlich wollte er überlaufen, weil er der irrigen Auffassung ist, der Kaiser sei tot und durch einen Diktator ersetzt worden… Unter uns, ein ziemlich wunderlicher Bursche, aber eine Koryphäe auf seinem Gebiet.«

»Gödel?« Ich spürte Interesse aufflackern. »Der Mann mit der Unvollkommenheit der Mathematik und all dem Kram?«

»Ja, warum?« Er sah mich fragend an. »Woher wissen Sie denn davon? — es ist doch nach Ihrer Zeit gewesen. Nun«, meinte er dann, »wir brauchen ihn auch nicht wegen seiner Leistungen in der mathematischen Philosophie. Wir haben ihn in Princeton mit Einstein zusammengebracht…« — ich verkniff mir die Frage, wer dieser Einstein war —, »…und er wird eine Forschungsreihe wiederaufnehmen, mit der er im Reich begonnen hatte. Wir hoffen, daß er uns eine weitere Option der Zeitreise eröffnet. Es war ein ganz schöner Coup — ich kann mir vorstellen, daß die Mannen des Kaisers sich jetzt ordentlich in den Haaren liegen…«

»Und die Ziegelkonstruktion neben ihm? Was ist das?«

»Oh, ein Experiment.« Er blickte sich vorsichtig um. »Ich will nicht vorgreifen — die Sprechmaschine wird kurz darauf eingehen. Es hat mit Kernspaltung zu tun… Ich kann es Ihnen später erklären, wenn es Sie interessiert. Gödel betreibt diesbezüglich besonders intensive Forschungen; ich glaube sogar, daß er schon einige praktische Versuche durchgeführt hat.«

Jetzt präsentierte man uns das Bild einer Truppe ziemlich alt aussehender Männer in schlecht sitzenden Kampfanzügen, die in die Kamera grinsten. Einer von ihnen, ein dürrer Bursche mit stechendem Blick, trat vor. »Die Territorialverteidigung… Männer und Frauen, die aufgrund ihres Alters für den Kampfeinsatz nicht mehr in Frage kommen«, erklärte Wallis, »die aber trotzdem noch im paramilitärischen Einsatz sind, falls eine Invasion Englands erfolgen sollte. Das ist Orwell. George Orwell. Ein Schriftsteller — ich glaube nicht, daß Sie ihn kennen.«

Die Nachrichten schienen beendet zu sein, und eine neue Unterhaltungssendung entfaltete sich über unseren Köpfen. Es war ein Cartoon — eine Art belebter Zeichnung mit ausgeprägtem musikalischen Hintergrund. Soviel ich mitbekam, gab es einen Helden namens Desperate Dan, der in einem oberflächlich hingepinselten Texas lebte. Nachdem er ein großes Steak verzehrt hatte, versuchte dieser Dan, sich einen Anzug aus Draht zu stricken, wobei er Telegraphenmasten als Nadeln verwendete. Unfreiwillig kreierte er jedoch eine Kette; als er sie dann ins Meer warf, versank sie. Dan fischte die Kette wieder heraus — und stellte fest, daß er nicht weniger als drei riesige deutsche Unterseeboote am Haken hatte. Ein Marineoffizier, der das beobachtet hatte, gab Dan zur Belohnung fünfzig Dollar… und so ging das weiter.

Ich hatte eigentlich erwartet, daß diese Art der Unterhaltung nur etwas für Kinder sei, aber ich sah, daß auch die Erwachsenen sich köstlich amüsierten. Für mich jedoch war das alles nur primitive und billige Propaganda, und ich kam zu dem Schluß, daß der Begriff ›Schwätzmaschine‹, den der Volksmund für diese kinematographische Vorstellung geprägt hatte, durchaus angemessen war.

Nach dieser Unterhaltungseinlage wurden uns weitere Kurznachrichten präsentiert. Ich sah eine brennende Stadt — es könnte Glasgow oder Liverpool gewesen sein —, wo ein von gigantischen Flammen unterlegtes Glühen den nächtlichen Himmel erhellte. Dann kamen Bilder von Kindern, die aus einer kollabierten Kuppel in den Midlands evakuiert wurden.

Sie machten auf mich den Eindruck von typischen Stadtkindern mit ihren schlecht sitzenden Stiefeln und schmutziger Haut und grinsten in die Kamera — von der Flut des Krieges mitgerissen, hilflos und ohne Heimat.

Jetzt trat die Show in einen Abschnitt ein, der den Untertitel ›Postscript‹ trug. Zunächst erschien ein Portrait des Königs; er war, was mich irritierte, ein knochiger Bursche namens Egbert, der sich als entfernter Verwandter der alten Königin herausstellte, die ich seinerzeit gekannt hatte. Dieser Egbert war einer der wenigen Angehörigen der königlichen Familie, welche die heftigen deutschen Angriffe in der Anfangszeit des Krieges überlebt hatten. Und nun rezitierte ein Schauspieler mit affektierter Stimme ein Gedicht:

»…Möge es allen Menschen Wohlergehen
Möge es allen Dingen Wohlergehen
Wenn die Flammenzungen sich zusammenrollen
Zu dem gekrönten Feuerknoten
Und Feuer und Rose eins sind…«

Und so weiter! Soweit ich mir einen Reim darauf machen konnte, sollte diese Elaborat die Auswirkungen des Krieges als Fegefeuer darstellen, das schließlich die Seelen der Menschheit läutern würde. Früher hätte ich mich dieser Betrachtungsweise vielleicht angeschlossen, überlegte ich; aber seit meinem Aufenthalt im Innern der Sphäre war der Krieg für mich nicht mehr und nicht weniger als ein dunkler Auswuchs, eine Verwerfung der menschlichen Seele; und jede Begründung dafür war genau dies — die Tatsache an sich als Begründung.

Ich vermutete, daß Wallis mit diesem Kram nicht viel anfangen konnte. Er zuckte die Achseln. »Eliot«, meinte er, als ob damit alles gesagt wäre.

Jetzt erschien das Bild eines Mannes: ein ziemlich hagergesichtiger alter Bursche mit einem ausgeprägten Bart, müden Augen, häßlichen Ohren und einer verbissenen, frustrierten Ausstrahlung. Er saß mit einer Pfeife in der Hand an einem Kamin — die Pfeife war augenscheinlich kalt — und begann mit brüchiger Stimme die Ereignisse des Tages zu kommentieren. Der Bursche kam mir irgendwie bekannt vor, aber zunächst konnte ich ihn nicht einordnen. Wie es schien, war er von den Anstrengungen des Reiches nicht übermäßig beeindruckt — »Ihrer riesigen Maschinerie gelingt es nicht, auch nur einen Funken dieser poetischen Aktionen zu erzeugen, die den Unterschied zwischen Krieg und Massenmord darstellen. Sie sind Maschinen — und haben daher keine Seele.«

Er hielt uns alle zu noch höheren Leistungen an. Er beschwor die Mythen des alten England — »die runden, grünen Hügel, die sich im dunstigen Blau des Himmels auflösen« — und bemühte unsere Vorstellung dieser Szenerie, die umgepflügt war »wie die alte Front in Flandern, Schützengräben und Bombenkrater, zerstörte Städte, umgepflügte Landschaften, ein todspeiender Himmel und die Gesichter ermordeter Kinder« — all das verkündet mit einer verstohlenen apokalyptischen Vorfreude, wie es mir schien.

Die Wucht der Erkenntnis traf mich, denn ich wußte plötzlich, wer er war. Es war mein alter Freund, der Schriftsteller, der zu einem alten Mann verwelkt war! »Wie, ist das nicht dieser Mr…?« fragte ich Wallis und beantwortete die Frage gleich selbst.

»Ja«, bestätigte er. »Kannten Sie ihn? Wäre wohl möglich gewesen… Natürlich kennen Sie ihn! Denn er hat die Geschichten Ihrer Zeitreisen herausgegeben. Ich weiß noch, daß sie als Serie im The New Review erschienen und dann auch in Buchform veröffentlicht wurden. Wissen Sie, es war ein drastischer Wendepunkt für mich, damit konfrontiert zu werden… der arme Kerl kommt natürlich auch jetzt noch zurecht — ich glaube, daß er nie bei bester Gesundheit gewesen ist — und seine Romane sind in meinen Augen auch nicht mehr das, was sie einmal waren.«

»Nein?«

»Zuviel Räsonnement und zu wenig Action — Sie kennen den Stil! Seine populärwissenschaftlichen und historischen Werke kommen aber immer noch gut an. Er ist ein guter Freund von Churchill — ich meine den Ersten Lord der Admiralität —, und ich vermute, daß Ihr Kumpel großen Einfluß auf die offizielle Vorstellung zu künftigen Entwicklungen nach Kriegsende nimmt — wenn wir das ›Hochland der Zukunft‹ erreichen«, zitierte Wallis einen anderen Ausspruch meines früheren Freundes. »Aber er ist kein so guter Redner. In dieser Hinsicht favorisiere ich Priestley.

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