Wir gingen durch Queen's Gate Terrace in Richtung des College und bogen dann in die Kensington Gore Road ab, die den Hyde Park im Süden begrenzt. Wir wurden von einem halben Dutzend Soldaten eskortiert — ziemlich diskret, denn sie folgten uns in einer kreisähnlichen Formation — aber ich wunderte mich doch wegen der Streitmacht, die auf uns losgelassen würde, wenn etwas schiefgehen sollte. Es dauerte nicht lange, und die drückende Hitze begann an meinen Kräften zu zehren — es war wie in einem großen, überhitzten Gebäude —, und ich nahm das Jackett ab und lockerte die Krawatte. Auf Wallis' Rat hin klemmte ich die Epauletten auf das Hemd und befestigte den Gasmaskenbehälter wieder am Hosengürtel.
Das Straßenbild hatte sich deutlich gewandelt, und es fiel mir auf, daß sich nicht alle Veränderungen, die seit meiner Zeit erfolgt waren, zum Schlechteren ausgewirkt hatten. Die Verbannung der unhygienischen Pferde, des Rauchs der Kaminfeuer und der Abgase der Motorwagen — alles aus Gründen der Luftreinhaltung unter der Kuppel — hatte dem Ort eine gewisse Frische beschert. Die Hauptverkehrsstraßen wiesen einen Belag aus einem neuen, robusteren glasigen Material auf, das von einer Reihe Arbeitern saubergehalten wurde, die Karren mit Besen und Gießkannen vor sich herschoben. In den Straßen drängten sich Fahrräder, Rikschas und elektrische Straßenbahnen, die zischend an Drähten liefen und blaue Funken in der Dunkelheit versprühten. Außerdem gab es neue Wege für Fußgänger, die Rows genannt wurden und die in Höhe des Erdgeschosses an den Häuserfronten verliefen — und manchmal auch entlang des ersten und sogar zweiten Stockwerks. Brücken, leicht und filigran, überspannten die Straßen und dienten in regelmäßigen Abschnitten als Anschlußstellen für diese Gehwege, wodurch sie London — selbst in dieser stygischen Dunkelheit — irgendwie ein italienisches Ambiente verliehen.
Moses bekam später etwas mehr vom Leben der Stadt mit als ich, und er berichtete über gut besuchte Geschäfte im West End — trotz der Widrigkeiten des Krieges — und über neue Theater am Leicester Square, mit Fassaden aus raffiniert verstärktem Porzellan, wobei diese Gebäude noch im Schein indirekter Beleuchtung und illuminierter Reklame erstrahlten. Aber Moses beschwerte sich, daß die aufgeführten Stücke nur langweilig oder belehrend waren, wobei sich gleich zwei Theater auf die endlose Wiederholung von Shakespeares Werken verlegt hatten.
William und ich kamen an der Royal Albert Hall vorbei, die mir immer monströs erschienen war — wie eine rosa Hutschachtel! Im Zwielicht der Kuppel wurde dieses Bauwerk von einer Reihe heller Lichtstrahlen beleuchtet (die von Aldis-Lampen projiziert wurden, wie Wallis mir erklärte) und die dieses denkwürdige Gebilde noch grotesker wirken ließen, wie es so dahockte und selbstgefällig strahlte. Dann streiften wir den Park am Alexandra Gate, gingen zurück zum Albert Memorial und bogen Richtung Norden in den Lancaster Walk ab. Vor uns sah ich die flackernd unter der Kuppel hängenden Strahlen der Schwätzmaschine und vernahm das entfernte Wummern verstärkter Stimmen.
Wallis nutzte unseren Marsch für einen Vortrag. Er war ein angenehmer Begleiter, und ich hatte immer mehr den Eindruck, daß er zu jenen Menschen gehörte, die ich — in einer anderen Zeit — möglicherweise als Freund bezeichnet hätte.
Ich erinnerte mich an den Hyde Park als einen zivilisierten Ort: attraktiv und ruhig, mit seinen breiten Wegen und Baumgruppen. Einige dieser Merkmale existierten auch jetzt noch — ich erspähte die mit Grünspan bedeckte Kupferkuppel des Orchesters, wo ich einen walisischen Bergmannschor in verzerrter Harmonie Hymnen singen hörte — aber diese Version des Parks war ein Ort des Schattens, der nur dort, wo Laternen standen, von Lichtinseln unterbrochen wurde. Das Gras war verschwunden — ohne Zweifel durch den Ausschluß der Sonne abgestorben — und ein großer Teil der blanken Erde war mit Holzplatten kaschiert worden. Ich fragte Wallis, warum sie den Park nicht einfach in eine Betonwüste verwandelt hatten; er gab mir zu verstehen, daß die Londoner dem Glauben nachhingen, die häßliche Kuppel über ihrer Stadt könne eines Tages wieder sicher entsorgt werden und ihre Heimat wieder in alter Schönheit auferstehen — einschließlich der Parks.
Ein Abschnitt des Parks, in der Nähe des Orchesters, war zu einer Art Feldlager mutiert. Da standen Hunderte von Zelten, die sich um schlichte Betonbauten drängten und als Gemeinschaftsküchen und Badehäuser erwiesen. Erwachsene, Kinder und Hunde schlichen auf dem trockenen, festgestampften Boden zwischen den Zelten umher und gingen ihren endlosen, freudlosen Verrichtungen nach.
»Das arme alte London hat in den letzten Jahren eine Menge Flüchtlinge aufgenommen«, erläuterte Wallis. »Die Bevölkerungsdichte ist um einiges höher als früher… und trotzdem gibt es für jeden sinnvolle Arbeit zu tun. Natürlich leiden sie in diesen Zelten — aber sie können nirgendwo sonst untergebracht werden.«
Wir verließen den Lancaster Walk und näherten uns dem Round Pond im Zentrum des Parks. Dieser Mittelpunkt war einmal ein attraktiver, freier Platz gewesen und hatte einen ungehinderten Blick auf den Kensington Palace gewährt. Der Teich existierte zwar noch, war jetzt aber eingezäunt; Wallis sagte mir, daß er als Wasserreservoir für die gewachsene Bevölkerung diente. Und der Palast war nur noch eine Ruine, offensichtlich ausgebombt und aufgegeben.
Wir hielten an einem Stand, wo wir eine ziemlich warme Limonade serviert bekamen. Die Menschen wogten vorüber, manche auf Fahrrädern. In einer Ecke des Parks wurde gerade ein Fußballspiel ausgetragen, wobei die Tore durch aufgestapelte Gasmasken improvisiert wurden; ich vernahm sogar vereinzeltes Gelächter. Wallis erzählte mir, daß die Leute sich noch immer an der Speaker's Corner versammelten, um der Heilsarmee zuzuhören, der National Secular Society, der Catholic Evidence Guild, der Liga gegen die Fünfte Kolonne (die einen Feldzug gegen Spione, Verräter und überhaupt jeden führte, der den Feind auf die eine oder andere Art unterstützte), etc.
So fröhlich hatte ich die Menschen in dieser düsteren Zeit bisher noch nicht erlebt; abgesehen von den allgegenwärtigen Epauletten und Gasmasken — und dem toten Boden und diesem schrecklichen, dräuenden Dach über unseren Köpfen — hätte es sich hier um eine Feiertagsversammlung aus einer beliebigen Epoche handeln können, und ich wurde aufs neue von der Widerstandsfähigkeit des menschlichen Geistes überwältigt.
Nördlich vom Round Pond waren einige Reihen schmutziger Klappstühle aufgestellt worden, damit die Leute sich die an das Dach über uns projizierten Nachrichten anschauen konnten. Die Stühle waren zum größten Teil besetzt; Wallis entrichtete dem Aufsichtspersonal einen Obolus — die Münzen waren Metallplättchen, viel kleiner als die Währung meiner Zeit — und wir ließen uns nieder und legten den Kopf in den Nacken.
Unsere stummen Soldaten-Gouvernanten bezogen in unserer Nähe Position und beobachteten sowohl uns als auch die Menge.
Staubige Lichtfinger stachen aus den Aldis-Lampen in Portland Place (so sagte mir Wallis) und versprühten graue und weiße Farben über die Kuppel. Verstärkte Stimmen und Musik fluteten auf die passive Menge hinab. Die Innenseite der Kuppel war getüncht worden, und daher waren die kinematographischen Abbildungen recht scharf. Die erste Sequenz zeigte einen dünnen, ziemlich martialisch aussehenden Mann, der einem anderen die Hand schüttelte und dann vor etwas posierte, das wie ein Stapel Ziegelsteine aussah; die Stimmen waren zwar nicht so richtig mit den Mund- und Körperbewegungen synchronisiert, aber die Musik ging ins Blut, und die allgemeine Botschaft kam auch rüber.
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