Stephen Baxter - Zeitschiffe

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Eine neue Reise durch die Zeit führt den Helden aus H. G. Wells’ »Die Zeitmaschine« in Vergangenheiten und Zukünfte, die sich als alternative Zeitströme entpuppen, die er womöglich sehr erzeugt. Der Versuch, das temporale Durcheinander zu ordnen, führt ihn zum Urknall zurück und enthüllt ihm die Geheimnisse des Multiversums… Die »offizielle Fortsetzung« des SF-Klassiker ist eine sehr lange, recht zähe und wenig originelle Hetzjagd durch die Äonen, die erst in ihrem Finale einen »sense of wonder« gewinnt und ein wenig für die aufgewendete Lesezeit entschädigt.

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»Sind wir jetzt sicher?«

»Sollten wir jedenfalls sein«, erwiderte er. »So sicher wie nur irgendwo!«

Ich knöpfte meine Maske auf und zog sie mir vom Kopf; Moses entledigte sich schnell der seinen und half dann dem Morlock. Als Nebogipfels kleines Gesicht zum Vorschein kam, starrten Oldfield, Bond und Filby ganz unverhohlen hin — ich konnte ihnen keinen Vorwurf deswegen machen! —, bis Moses ihm dabei half, wieder die Kappe und die Brille aufzusetzen.

»Wo sind wir?« fragte ich Filby.

»Erkennst du es denn nicht?« Filby fuchtelte mit einer Hand in Richtung der Dunkelheit hinter dem Fenster.

»Ich…«

»Es ist Hammersmith, mein Freund. Wir haben gerade den Fluß überquert…«

»Es ist Hammersmith Gate«, erklärte mir Hilary. »Wir haben die Kuppel von London erreicht.«

London im Krieg

Die Kuppel von London! — Nichts in meiner eigenen Zeit hatte mich auf diese enorme Ingenieursleistung vorbereitet. Man stelle sich vor: eine große Schale aus Beton und Stahl mit einem Durchmesser von zwei Meilen, die sich von Hammersmith nach Stepney und von Islington nach Clapham über die Stadt wölbte… Die Straßen waren überall von Säulen, Verstrebungen und Widerlagern durchbrochen, die in den Londoner Boden gerammt worden waren und die Bevölkerung wie die Beine eines Rudels von Riesen dominierte und einengte.

Der Zug fuhr weiter, über Hammersmith und Fulham hinaus weiter in die Kuppel hinein. Als sich meine Augen an das Zwielicht anpaßten, sah ich, wie die Straßenbeleuchtung das Bild eines Londons nachzeichnete, das ich noch identifizieren konnte: »Hier ist die Kensington High Street, hinter diesem Zaun. Und ist das Holland Park?« — und so weiter. Aber trotz all der bekannten Landmarken und Straßennamen war dies doch ein neues London: ein London der permanenten Nacht, eine Stadt, die sich nie am strahlenden Junihimmel erfreuen konnte — aber ein London, das diesen Preis für das Überleben akzeptiert hatte, wie Filby mir sagte. Denn selbst die schwersten Bomben und Torpedos würden von diesem massiven Dach abprallen oder harmlos in der Luft explodieren und somit Cobbetts darunterliegenden ›Great Wen‹ unbeschädigt lassen.

Überall, so sagte Filby, waren die Städte der Menschen — die einst im Lichterglanz erstrahlten und unsere sich drehende Welt nachts in ein glühendes Juwel verwandelt hatten — von solch großen, dunklen Schalen bedeckt; jetzt gab es kaum noch Verkehr zwischen den großen Kuppelstädten, und die Menschen zogen es vor, sich in ihrer selbstgeschaffenen Dunkelheit zu verstecken.

Unsere neue Bahnlinie schien sich mitten durch die alte Straßenführung zu ziehen. Die Straßen, die wir querten, waren ziemlich belebt, aber nur mit Fußgängern oder Radfahrern; ich sah keine Wagen, weder von Pferden gezogen noch mit Motorantrieb, wie ich es eigentlich erwartet hatte. Es gab sogar Rikschas! — leichte, überdachte Karren, die von schwitzenden, hageren Cockneys im Slalom um die als Hindernis im Weg stehenden Stützpfeiler der Kuppel gezogen wurden.

Als ich die Menge durch das Fenster des langsamer werdenden Zuges beobachtete, vermittelte mir dieser Anblick trotz der allgemeinen Hektik und Geschäftigkeit den Eindruck von Verzweiflung, Verzagtheit und Desillusionierung… Ich sah gesenkte Köpfe, hängende Schultern, Falten in müden Gesichtern; es hatte für mich den Anschein, als ob das Leben der Menschen durch eine gewisse Verbissenheit charakterisiert würde; aber es schien — und das wunderte mich nicht — kaum Lebensfreude vorzuherrschen.

Es fiel auf, daß nirgendwo Kinder zu sehen waren. Bond erklärte mir, daß die Schulen jetzt alle unter die Erde verlagert worden waren, um sie besser vor Bombenangriffen zu schützen, während die Eltern in den Munitionsfabriken bzw. den großen Flugzeugwerken arbeiteten, die an der Peripherie von London in Balham, Hackney und Wembley errichtet worden waren. Nun, vielleicht dienten diese Vorkehrungen wirklich der Sicherheit — aber welch ein öder Ort war die City ohne das Lachen spielender Kinder! — was sogar ich, ein überzeugter Junggeselle, bereitwillig eingestand. Und auf welche Art wurden diese armen unterirdischen Würmchen wohl auf das Leben vorbereitet?

Erneut, so überlegte ich, hatte meine Reise in einer Welt der völligen Dunkelheit geendet — einer Welt, die den Morlocks sicher zugesagt hätte. Aber die Wesen, die dieses große Bauwerk errichtet hatten, waren keine Morlocks: sie gehörten meiner eigenen Rasse an und waren durch den Krieg dazu gezwungen worden, aus dem ihnen als Geburtsrecht zustehenden Licht zu flüchten! Ich wurde von einer tiefen und langanhaltenden Depression befallen, eine Stimmung, die meinen Aufenthalt im Jahre 1938 zum größten Teil prägen sollte.

Hier und da sah ich deutlichere Hinweise auf den Schrecken des Krieges. In der Kensington High Street sah ich, wie ein Mann die Straße entlangging — er mußte von einer dünnen jungen Frau an seiner Seite geführt werden — seine Lippen waren schmal und langgezogen, die Augen lagen wie Perlen in geschrumpften Höhlen. Die Gesichtshaut war ein Mosaik aus Purpur und Weiß auf grauem Grund.

Filby schnaufte nur, als ich ihm das erzählte. » Der Krieg verbrennt«, konstatierte er. »Sie sehen alle gleich aus… Ein Luftkämpfer vielleicht — ein junger Gladiator, dessen Leistungen wir alle loben, wenn die Sprech-Maschinen sie herausschreien! — aber was bleibt ihnen denn sonst noch?« Er sah mich an und legte eine faltige Hand auf meinen Arm. »Ich wollte nicht herzlos klingen, alter Freund. Es ist nur — mein Gott! — es ist nur so, daß man einfach abstumpfen muß.«

»Ihr habt einen Panzer um eure Herzen gelegt«, stellte Nebogipfel in einem fließenden Tonfall fest, der uns alle überraschte. »Genauso, wie ihr einen Schild über eurer Stadt errichtet habt.«

Filby musterte ihn. »Du wirst es auch noch lernen«, prophezeite er düster.

Die meisten alten Londoner Bauwerke schienen überlebt zu haben, obwohl ich sah, daß einige der größeren Bauten abgerissen worden waren, um Platz für den Betonpanzer zu schaffen — ich fragte mich, ob die Nelson-Statue noch stand —, und die Neubauten waren klein, häßlich und düster. Aber auch die Anfangsphase des Krieges hatte vor der Konstruktion der Kuppel einige Narben hinterlassen: große Bombenkrater wie leere Augenhöhlen und Schutthalden, für deren Beseitigung man bisher weder die Notwendigkeit erkannt noch die Energie aufgebracht hatte.

Die Kuppel erreichte ihre Scheitelhöhe von etwa sechshundert Fuß direkt über Westminster im Herzen von London. Als wir uns dem Stadtzentrum näherten, sah ich, wie in den Hauptstraßen strahlendes Licht aufflackerte, das dieses gigantische Dach vollständig ausleuchtete. Und überall waren diese Säulen, die aus den Straßen Londons und von riesigen Pontonbrücken auf dem Fluß emporstiegen: grob behauen, dicht gedrängt, mit sich verbreiternden und abgestützten Grundflächen — zehntausend Betonpfeiler, die diesen riesigen Panzer trugen, Säulen, die London in einen immensen maurischen Tempel verwandelt hatten.

Ich fragte mich, wie der aus Kreide und Ton bestehende Untergrund, auf dem London errichtet war, dieses riesige Gewicht überhaupt verkraften konnte! Was, wenn die ganze Konstruktion im Schlick versank und seine wertvolle Fracht von Millionen Leben mit sich hinunterzog? Mit Sehnsucht dachte ich an das zukünftige Zeitalter der Architektur, in dem die Beherrschung der Gravitation eine Konstruktion wie diese Kuppel zu einer Banalität machen würde…

Und dennoch, trotz des fehlenden Feinschliffs, ihrer offensichtlich überstürzten Errichtung und der Profanität ihres Zwecks war ich von der Kuppel beeindruckt. Weil sie zur Gänze aus simplem Stein gehauen und mit wenig mehr als der Expertise meines eigenen Jahrhunderts auf dem Londoner Lehmboden gestellt worden war, wirkte dieses dräuende Bauwerk mehr auf mich als all die Wunder, die ich im Jahre 657208 gesehen hatte!

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