Es war niemand zu sehen. Der Verkehr ruhte; Unkraut war durch Risse in den Fahrbahnen gebrochen. Ich hörte keine Stimmen — kein Lachen oder Rufen, keine spielenden Kinder — keine Tiere, keine Pferde, keine singenden Vögel.
Von der Lebendigkeit, die diesen Ort früher an einem Nachmittag im Juni erfüllt hatte — das Blitzen von Rudern, das Lachen der Ausflügler, die flußaufwärts fuhren — war nichts mehr geblieben. Angesichts dieses desolaten Zustandes mußte ich an die Regatten und Sommerfeste denken, für die diese Gegend zu meiner Zeit so bekannt gewesen war. Ich erinnerte mich an Feuerwerke, an Hunderte von beleuchteten Booten, die den Strom herunterkamen, und an die in vollem Lichterglanz erstrahlenden Häuser am Ufer…
All das war verschwunden, in diesem düsteren Jahr; und vielleicht für immer. Dies war ein verlassenes Richmond, ein Friedhof. Das erinnerte mich an die herrschaftlichen Ruinen in der Gartenwelt von 802701. Ich wähnte das alles weit weg von mir; niemals hätte ich mir vorstellen können, einmal mein eigenes heimatliches England in einem solchen Zustand zu sehen!
»Großer Gott«, sagte Moses. »Was für eine Katastrophe — welch eine Zerstörung! Ist England aufgegeben worden?«
»O nein«, dementierte der Soldat energisch. »Aber Orte wie dieser sind einfach nicht mehr sicher. Das Gas und die Lufttorpedos — die meisten Menschen sind geflüchtet, in die Kuppeln, müssen Sie wissen!«
»Aber es ist alles so heruntergekommen, Filby«, wandte ich ein. »Was ist aus dem Kampfgeist unserer Leute geworden? Wo ist der Wille, sich an die Arbeit zu machen und alles wieder aufzubauen? Es wäre nämlich zu schaffen, wißt ihr…«
Filby legte eine behandschuhte Hand auf meinen Arm. »Eines Tages — wenn dieser verdammte Krieg vorbei ist — werden wir alles wieder aufbauen. Nicht wahr? Und es wird genauso werden wie zuvor. Aber jetzt…« Seine Stimme brach ab, und ich hätte mir gewünscht, seinen Gesichtsausdruck sehen zu können. »Kommt weiter«, sagte er. »Wir verschwinden besser aus dem offenen Gelände.«
Wir ließen den Raglan zurück und eilten die Straße entlang zum Stadtzentrum: Moses, Nebogipfel und ich, zusammen mit Filby und den beiden Soldaten. Unsere Begleiter aus dem Jahre 1938 liefen irgendwie geduckt, mit ständigen, nervösen Blicken zum Himmel. Ich registrierte erneut, daß Bond auf dem linken Bein stark hinkte.
Sehnsüchtig blickte ich zum Juggernaut zurück, denn in seinem Innern war meine Zeitmaschine — meine einzige Möglichkeit zur Heimkehr, weg von diesem beginnenden Alptraum aus Multiplen Historien — aber ich wußte, daß ich jetzt keine Chance mehr hatte, an die Maschine zu kommen; ich konnte einfach nur die weitere Entwicklung abwarten.
Wir gingen die Hill Street entlang und bogen dann in die George Street ein. Hier war nichts von der Geschäftigkeit und Eleganz zu sehen, durch die sich diese Einkaufsstraße zu meiner Zeit ausgezeichnet hatte. Die Kaufhäuser, wie z. B. Gosling's & Wright's, waren mit Brettern zugenagelt, und sogar die Planken, welche die Fenster bedeckten, waren im Lauf der Jahre durch das Sonnenlicht ausgebleicht worden. Ich sah, daß eine Ecke des Schaufensters von Gosling's aufgebrochen worden war, vermutlich von Plünderern; das dadurch entstandene Loch sah aus, als ob es von einer menschlichen Ratte genagt worden wäre. Wir passierten einen niedrigen Unterstand mit einer dunklen Abdeckung, daneben einen Pfosten mit Karomarkierungen und eine Glasscheibe, die jetzt aber zerbrochen war. Dieser Unterstand wirkte auch verlassen, und der kräftige gelbschwarze Anstrich der Säule blätterte schon ab.
»Das ist ein Bunker zum Schutz vor Luftangriffen«, erklärte mir Filby in Beantwortung meiner entsprechenden Frage. »Eine der früheren Ausführungen. Ziemlich unzureichend — wenn jemals ein Volltreffer eingeschlagen wäre… nun! Und die Markierungen an dem Pfosten weisen auf ein Depot hin, das mit Atemgeräten und Gasmasken ausgerüstet ist. Sie wurden kaum gebraucht, bevor der allgemeine Rückzug in die Kuppeln begann.«
»Luftangriffe… Das ist keine schöne Welt, Filby.«
Er seufzte. »Sie haben Lufttorpedos, weißt du. Die Deutschen, meine ich. Fliegende Maschinen, die einen einhundertneunzig Meilen entfernten Ort ansteuern, eine Bombe abwerfen und zurückkehren können! — alles mechanisch, ohne menschliche Eingriffe. Es ist eine Welt der Wunder, denn der Krieg ist eine enorme Motivation für den Erfindungsgeist. Es wird dir hier gefallen!«
»Die Deutschen…«, sagte Moses. »Seit Bismarck hatten wir nichts als Ärger mit den Deutschen. Ist dieser alte Schuft denn immer noch am Leben?«
»Nein, aber er hat würdige Nachfolger gefunden«, meinte Filby grimmig.
»Bismarck«, fuhr Moses fort: »Sicher der ordinärste und primitivste Mann, der jemals groß geworden ist, mit einer ausgeprägten Bauernschläue. Ihn interessierte nichts außer Deutschland — ein größeres, mächtigeres Deutschland; darüber hinaus hatte er keine Ideen oder Vorstellungen. Und dennoch war er der einflußreichste Mann der Welt…«
»Und ganz Europa«, sagte Nebogipfel in monotonem und emotionslosem Tonfall, »hat ihm seine Kinder geopfert.«
Darauf wußte ich nichts zu sagen. Aus meiner Perspektive, die jetzt von Moses abgekoppelt war, schien selbst ein solcher Rohling wie Bismarck kaum den Verlust eines einzigen Menschenlebens zu rechtfertigen.
In atemlosen Bruchstücken erzählte mir Filby von weiteren erstaunlichen Errungenschaften der Kriegsführung dieses düsteren Zeitalters: von Jagdunterseebooten zur Durchführung des Gaskrieges mit praktisch unbegrenzter Reichweite und einem Bestand von einem halben Dutzend Raketen, die einen formidablen Vorrat an Gasgranaten trugen; von einer Flut von eisernen Kampffahrzeugen, von denen ich mir vorstellte, wie sie durch das zerschlagene Europa pflügten; von anderen ›Juggernauts‹, die unter Wasser fahren, schwimmen oder sich unterirdisch fortbewegen konnten; und all dem stand ein gleichermaßen gigantisches Arsenal an Fallen, Giftgasgürteln, Minen und Geschützen aller Kaliber gegenüber.
Ich wich Nebogipfels Blick aus; ich konnte sein Urteil nicht ertragen! Denn dies war kein Fleck in einer Himmelssphäre, die von weit entfernten, abhumanen Nachkommen der Menschheit bevölkert wurde: dies war meine Welt, meine Rasse, die in einen Kriegstaumel verfallen war! Was mich betraf, so verfügte ich noch immer über einen Teil der übergeordneten Perspektive, die ich mir im Innern dieser großen Konstruktion angeeignet hatte. Ich konnte den Anblick kaum ertragen, wie sich meine eigene Nation einem solchen Wahnsinn hingab, und es schmerzte mich, Moses' Beiträge zu hören, die naturgemäß die Vorstellungen seiner Zeit widerspiegelten. Ihm konnte ich kaum etwas vorwerfen! — aber die Erkenntnis deprimierte mich, daß meine eigene Vorstellung auch einmal so begrenzt, so formbar gewesen war.
Eine Reise mit der Eisenbahn
Wir erreichten einen schlichten Bahnhof. Aber das war nicht der Bahnhof, den ich 1891 aufgesucht hatte, um von Richmond über Barnes nach Waterloo zu fahren; diese neue Einrichtung befand sich nicht mehr im Stadtzentrum, sondern gleich an der Kew Road. Und es war ein merkwürdiger Bahnhof: es gab nichts derartiges wie Fahrkartenschalter oder Tafeln mit Fahrplänen, und der Bahnsteig war ein nackter Betonstreifen. Die neue Linie war ziemlich nachlässig verlegt. Ein Zug wartete auf uns: die Lokomotive war ein unansehnliches, dunkles Gerät, das traurige Dampfwolken über den rußverschmierten Kessel blies, und sie zog nur einen Waggon. Die Lokomotive wies weder eine Beleuchtung noch die Aufschrift der staatlichen Eisenbahngesellschaft auf.
Soldat Oldfield schob die Waggontür auf; sie war schwer, mit einer umlaufenden Gummidichtung an der Kante. Oldfields Augen hinter der Maske überflogen das Innere. Richmond, an einem sonnigen Nachmittag im Jahre 1938, war kein sicherer Ort!
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