Nebogipfel lehnte sich dicht herüber, wobei sich das Natriumlicht in seiner Brille spiegelte.
Moses straffte sich. »Diese Interferenz ist ein bekannter Effekt. Mit einem solchen Versuch wird normalerweise die Wellenlänge von Natriumlicht bestimmt — sie beträgt den fünfzigtausendsten Teil eines Zolls, wenn es Sie interessiert.«
»Und das Plattnerit?« fragte Nebogipfel.
Als Moses den fließenden Tonfall des Morlocks vernahm, zuckte er zusammen, machte dann aber weiter, als ob nichts geschehen wäre. Von einem anderen Abschnitt der Bank brachte er eine Glasscheibe mit einer Kantenlänge von vielleicht sechs Zoll zum Vorschein, die senkrecht in einer Halterung steckte. Das Glas wies grüne Flecken auf. »Hier habe ich etwas Plattnerit — diese Scheibe ist eigentlich eine Doppelscheibe, zwischen der das Plattnerit eingestreut ist —, sehen Sie? Nun passen Sie auf, was geschieht, wenn ich das Plattnerit zwischen Pappe und Leinwand bringe…«
Er mußte noch einiges nachjustieren, aber dann hatte er es so hinbekommen, daß einer der Schlitze im Karton frei blieb und der andere von dem Dia mit dem Plattnerit bedeckt wurde. Daher mußte also einer der beiden interferierenden Strahlengänge durch das Plattnerit hindurchgehen, bevor er auf dem Schirm auftraf.
Die Abbildung der Interferenzbänder auf dem Schirm schwächte sich ab — sie hatte jetzt einen Grünstich — und das Muster verschob und verzerrte sich.
»Die Strahlen werden jetzt natürlich nicht mehr so klar abgebildet«, erklärte Moses, »ein Teil des Natriumlichts wird vom Plattnerit gestreut, und deshalb verschieben sich die Wellenlängen etwas zum grüneren Teil des Spektrums — aber trotzdem dringt noch immer so viel ungefiltertes Natriumlicht durch das Plattnerit, um das Interferenzphänomen aufrechtzuerhalten. Aber können Sie auch die Veränderungen erkennen, die dadurch hervorgerufen werden?«
Nebogipfel kam noch näher heran; seine Brille reflektierte das Natriumlicht noch intensiver.
»Die Verschiebung einiger Lichtflecke auf einem Karton mag dem Laien vielleicht nicht so wichtig erscheinen«, sprach Moses weiter, »aber der Effekt ist von großer Bedeutung, wenn er erst gründlich analysiert wird. Denn — und ich kann Ihnen auch den mathematischen Beweis dafür erbringen«, versprach er und wedelte wenig überzeugend in Richtung eines Stapels Aufzeichnungen auf dem Boden, »daß die durch das Plattnerit hindurchgehenden Lichtstrahlen eine temporale Verzerrung erfahren. Es ist zwar nur ein winziger Effekt, aber dennoch meßbar — er manifestiert sich in einer Verzerrung des Interferenzmusters, wissen Sie.«
»Eine ›temporale Verzerrung‹?« warf Nebogipfel ein und schaute hoch. »Du meinst…«
»Ja.« Moses' Haut wurde vom kalten Natriumlicht erhellt. »Ich glaube, daß die Lichtstrahlen — bei ihrem Durchgang durch das Plattnerit — durch die Zeit transferiert werden.«
Mit einer gewissen Verzückung blickte ich auf diese rustikale Versuchsanordnung aus Lampe und Pappe und Ständern. Denn dies war der Anfang — es war dieser naive Anfang, von dem aus der lange, schwierige experimentelle und theoretische Weg schließlich zur Konstruktion der Zeitmaschine selbst führen würde!
Ich konnte natürlich nicht preisgeben, wieviel ich wirklich wußte, und bemühte mich nach Kräften, auf seine Verkündung hin Überraschung und Schock zu simulieren. »Nun«, sagte ich vage, »nun — gütiger Gott…«
Er schaute mich unzufrieden an. Er gelangte offensichtlich zu der Ansicht, daß ich ein dummer Tölpel war. Er wandte sich ab und fummelte an seinen Apparaten herum.
Ich nutzte die Gelegenheit, um Nebogipfel zur Seite zu nehmen. »Nun, Nebogipfel. Was hältst du denn davon? Eine beeindruckende Vorstellung.«
»Ja«, pflichtete er mir bei, »aber ich wundere mich nur, daß ihm die Radioaktivität deiner mysteriösen Substanz, dieses Plattnerits, noch nicht aufgefallen ist. Die Brille zeigt ganz klar…«
»Radioaktivität?«
Er sah mich an. »Ist das dir etwa ein unbekannter Begriff?« Er gab mir einen kurzen Abriß dieses Phänomens, bei dem Elemente zu zerbrechen und in Stücke zu fallen schienen. Das gilt — laut Nebogipfel — mehr oder weniger für alle Elemente; manche, wie Radium, tun es auf eine derart spektakuläre Art, daß man den Vorgang messen kann — wenn man weiß, wonach man suchen muß!
All das weckte Erinnerungen. »Ich erinnere mich an ein Spielzeug namens Spinthariskop«, erzählte ich Nebogipfel, »in dem sich Radium dicht vor einem mit Zinksulfid beschichteten Schirm befand…«
»Und der Schirm fluoreszierte. Ja. Es war der Zerfall der Kerne der Radiumatome, der das verursachte«, meinte er.
»Aber ein Atom ist doch unteilbar — oder so heißt es zumindest…«
»Nur wenige Jahre nach deiner Abreise in die Zeit — soweit ich mich erinnere — wird Thomson in Cambridge das Phänomen der subatomaren Struktur demonstrieren…«
»Subatomare Struktur — Thomson! Ich habe Joseph Thomson selbst schon mehrmals getroffen — ich hatte ihn immer für einen ziemlich affektierten Schnösel gehalten — und gerade ein paar Jahre jünger als ich…«
Nicht zum erstenmal verspürte ich ein tiefes Bedauern wegen meines überhasteten Abtauchens in die Zeit! Wenn ich doch nur geblieben wäre, um an solchen intellektuellen Sternstunden teilzuhaben — ich hätte mittendrin sein können, auch ohne meine Experimente mit der Zeitreise — das wäre sicher Abenteuer genug gewesen für ein Leben.
Jetzt schien Moses seinen Vortrag beendet zu haben, und er streckte die Hand aus, um die Natriumlampe zu löschen — aber dann riß er die Hand mit einem Aufschrei zurück.
Nebogipfel hatte Moses' Finger mit seiner unbehaarten Handfläche berührt. »Es tut mir leid.«
Moses rieb sich die Hand, als ob er sie abwischen wollte. »Ihre Berührung«, sagte er. »Sie ist so — kalt.« Er starrte Nebogipfel an, als ob er ihn jetzt zum erstenmal in seiner ganzen Fremdheit sehen würde.
Nebogipfel entschuldigte sich erneut. »Ich wollte dich nicht erschrecken. Aber…«
»Ja?« sagte ich.
Der Morlock streckte einen wurmartigen Finger aus und deutete auf das Plattnerit. » Schau.«
Ich bückte mich gleichzeitig mit Moses und schielte auf die erhellte Materie.
Zuerst konnte ich nichts erkennen außer der fleckigen Reflexion der Natriumlampe, ein feiner Staubschleier auf der Oberfläche der Glasscheiben… und dann registrierte ich ein stärker werdendes Licht, ein Glühen aus den Tiefen des Plattnerits selbst: ein derart intensives grünes Leuchten, als ob das Glas ein winziges Fenster zu einer anderen Welt wäre.
Das Glühen wurde noch intensiver und ließ glitzernde Reflexe über die Reagenzgläser, Glasscheiben und anderen Utensilien des Laboratoriums wandern.
Wir suchten wieder das Eßzimmer auf. Das Kaminfeuer war nun schon seit Stunden erloschen, und es wurde kühl im Raum, aber Moses schien mein Unbehagen nicht zur Kenntnis zu nehmen. Er goß mir noch einen Brandy ein und bot mir eine Zigarre an, die ich auch annahm; Nebogipfel bat um etwas Wasser. Mit einem Seufzer zündete ich die Zigarre an, während Nebogipfel mich mit einem Ausdruck blanken Erstaunens musterte; er schien alle angelernten menschlichen Umgangsformen vergessen zu haben!
»Nun, Sir«, sagte ich, »wann gedenken Sie diese bemerkenswerten Ergebnisse zu veröffentlichen?«
Moses kratzte sich am Kopf und lockerte seine schrille Krawatte. »Ich bin mir nicht sicher«, antwortete er frei heraus. »Ich habe doch kaum mehr als einen Beobachtungskatalog von Anomalien einer Substanz vorzuweisen, deren Herkunft noch ungewiß ist. Aber vielleicht gibt es irgendwo noch klügere Kollegen als mich, die damit etwas anfangen können — die z. B. imstande sind, herauszufinden, wie man noch mehr Plattnerit herstellt…«
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