Stephen Baxter - Zeitschiffe

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Eine neue Reise durch die Zeit führt den Helden aus H. G. Wells’ »Die Zeitmaschine« in Vergangenheiten und Zukünfte, die sich als alternative Zeitströme entpuppen, die er womöglich sehr erzeugt. Der Versuch, das temporale Durcheinander zu ordnen, führt ihn zum Urknall zurück und enthüllt ihm die Geheimnisse des Multiversums… Die »offizielle Fortsetzung« des SF-Klassiker ist eine sehr lange, recht zähe und wenig originelle Hetzjagd durch die Äonen, die erst in ihrem Finale einen »sense of wonder« gewinnt und ein wenig für die aufgewendete Lesezeit entschädigt.

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»Und der junge Mann, den du besuchen willst? Wie wird er reagieren?«

Ich seufzte. »Nun, ich bin schon immer mit einem scharfen und flexiblen Verstand gesegnet gewesen. Glaube ich jedenfalls! — Vielleicht werde ich es bald herausfinden. Außerdem könnte deine Gegenwart mich — ihn — von der Richtigkeit meiner Ausführungen überzeugen.«

Und ohne mir eine weitere Verzögerung zu gestatten, zog ich an der Klingelschnur.

Im Haus hörte ich Türenschlagen und einen gereizten Ruf: »Ist ja gut, ich komme schon!« — und dann Schritte, die auf dem kurzen Flur klapperten, der das übrige Haus mit meinem Laboratorium verband.

»Das bin ich«, zischte ich Nebogipfel zu. » Er. Es muß schon spät sein — die Diener liegen bereits im Bett.«

Ein Schlüssel rasselte im Türschloß.

»Deine Brille«, zischte Nebogipfel.

Ich riß mir das auffällige Teil vom Gesicht und stopfte es in die Jackentasche — gerade in dem Moment, als die Tür aufging.

Da stand ein junger Mann, dessen Gesicht wie ein Mond im Licht der Kerze glühte, die er in der Hand hielt. Er musterte mich flüchtig, der ich unvollständig bekleidet dastand; und seine Inspektion von Nebogipfel fiel noch oberflächlicher aus. (Soviel zu meiner Beobachtungsgabe, derer ich mich immer gerühmt habe!) »Was, zum Teufel, wollen Sie? Ist Ihnen klar, daß es ein Uhr nachts ist?«

Ich öffnete den Mund und wollte etwas sagen — aber die kurze Ansage, die ich mir zurechtgelegt hatte, war mir schon wieder entfallen.

Da stand ich also meinem sechsundzwanzigjähri-gen Alter ego gegenüber!

Moses

Seit dieser Erfahrung bin ich davon überzeugt, daß wir uns alle, ohne Ausnahme, von unserem Spiegelbild täuschen lassen. Dieser Reflex ist dermaßen tief in uns verankert: Wenn auch unbewußt, orientieren wir uns an unseren besten Seiten und pressen unser Verhalten in ein Muster, das nicht einmal unser bester Freund erkennen würde. Und natürlich unterliegen wir nicht dem Zwang, uns von einer weniger vorteilhaften Seite zu zeigen: z. B. von hinten oder im Seitenprofil.

Nun, hier war eine Spiegelung, die ich nicht unter Kontrolle hatte — und die außerdem eine beunruhigende Erfahrung darstellte.

Er hatte natürlich meine Größe: wenn überhaupt eine negative Veränderung eingetreten war, dann die, daß ich in den darauffolgenden achtzehn Jahren etwas geschrumpft war. Er hatte einen merkwürdigen Kopf: ungewöhnlich breit, genauso wie viele Leute es schon bei mir festgestellt hatten, und mit dünnem braunen Haar bewachsen, das bisher weder auszufallen noch zu ergrauen begonnen hatte. Die Augen waren stahlgrau, die Nase gerade, das Kinn ausgeprägt; aber ich war eigentlich noch nie ein besonders gutaussehender Bursche gewesen: Er war von Natur aus blaß, und diese Blässe wurde noch durch die langen Stunden verstärkt, die er seit seiner Jugend in Bibliotheken, Seminarräumen, Hörsälen und Laboratorien verbracht hatte.

Ich verspürte eine vage Abscheu; ich hatte in der Tat etwas von einem Morlock an mir! Und hatte ich denn immer schon solche Segelohren gehabt?

Aber es war die Kleidung, die wirklich meine Aufmerksamkeit erregte. Die Kleidung!

Er trug das, was ich als die Kluft eines Braumeisters identifizierte: einen kurzen, hellroten Mantel über einer schwarzgelben Weste mit großen Messingknöpfen, große gelbe Stiefel und ein Blumensträußchen, das den Mantelaufschlag schmückte.

Hatte ich jemals solche Klamotten getragen? Mußte ich wohl! — obwohl ich mir das angesichts meines jetzigen nüchternen Stils nur schwer vorstellen konnte.

»Verdammt«, entfuhr es mir, »Sie sehen aus wie ein Zirkusclown!«

Er wirkte irritiert — offensichtlich schien ihm mein Gesicht ansatzweise bekannt vorzukommen —, aber er blieb mir nichts schuldig: »Vielleicht sollte ich ihnen diese Tür ins Gesicht schlagen, Sir. Sind Sie extra den Hügel heraufgekommen, nur um meine Kleidung zu beanstanden?«

Ich bemerkte, daß sein Blumenstrauß schon reichlich verwelkt war, und glaubte außerdem, eine leichte Schnapsfahne zu riechen. »Sagen Sie mir, ist heute Donnerstag?«

»Was ist denn das für eine schwachsinnige Frage? Ich sollte wohl…« »Ja?«

Er hielt die Kerze hoch und starrte mir ins Gesicht. Er war derart fasziniert von mir — von seinem eigenen, dicht unterhalb der Schwelle der Erkenntnis verborgenen Ich —, daß er den Morlock völlig ignorierte: ein Humanoider aus der entfernten Zukunft, der keine sechs Fuß von ihm entfernt stand! Ich fragte mich, ob dieser kleinen Szene vielleicht etwas Metaphorisches innewohnte: hatte ich die Zeitreise nur deshalb unternommen, um mich schließlich selbst zu finden?

Aber ich habe für Ironie nichts übrig, und außerdem war ich ziemlich verärgert, weil ich mich überhaupt solchen schöngeistigen Erwägungen hingegeben hatte!

»Es ist zufällig Donnerstag. Nein, es war Donnerstag — wir haben bereits Freitag. Aber was soll das überhaupt? Wissen Sie das denn nicht selbst? Wer sind Sie, Sir?«

»Ich werde Ihnen sagen, wer ich bin«, versprach ich. »Und…« — ich zeigte auf den Morlock, woraufhin unser unfreiwilliger Gastgeber große Augen machte — »…wer das ist. Und weshalb ich nicht genau weiß, wie spät es ist und welchen Wochentag wir haben. Aber zunächst — dürfen wir eintreten? Ich würde nämlich gerne einen Schluck von Ihrem Brandy probieren.«

Er stand vielleicht eine halbe Minute da. Am Kerzenhalter erstarrten Wachsperlen, und in der Nähe rauschte die Themse, während sie träge unter den Brücken von Richmond hindurchfloß. Dann meinte er schließlich: »Ich sollte euch auf die Straße setzen! —, aber…«

»Ich weiß«, sagte ich verständnisvoll. Ich betrachtete meine jüngere Ausgabe mit Wohlgefallen; ich hatte schon immer einen Hang zu gewagten Spekulationen und konnte mir durchaus vorstellen, welche wilden Hypothesen bereits in diesem agilen, undisziplinierten Geist wucherten!

Er hatte eine Entscheidung getroffen. Er trat von der Tür zurück.

Ich bedeutete Nebogipfel, mir zu folgen. Die bis auf eine Haarschicht nackten Füße des Morlocks patschten über den Parkettfußboden des Foyers. Mein jüngeres Ich machte erneut große Augen — Nebogipfel erwiderte den Blick interessiert — und sagte: »Es ist… äh… es ist spät. Ich will die Diener nicht aufwecken. Kommt mit ins Eßzimmer; dort ist es wahrscheinlich am wärmsten.« Der Flur war dunkel, mit einem angestrichenen Sockel und einer Reihe Kleiderhaken; die Konturen des breiten Schädels unseres Gastgebers wider Willen hoben sich gegen das Licht der einen Kerze ab, als er uns an der Tür zum Raucherzimmer vorbeiführte. Im Eßzimmer glühten die Kohlen noch im Kamin. Unser Gastgeber zündete mit der Kerze, die er trug, weitere Lichter an, und dann erstrahlte der Raum in hellem Schein, denn es gab hier ein gutes Dutzend Kerzen: zwei in Messinghaltern auf dem Kaminsims, die eine klotzige und protzige Tabakdose flankierten, und die restlichen in Wandhaltern.

Ich sah mich in diesem warmen und behaglichen Raum um — so vertraut, und doch so anders wegen der subtilen Neuanordnung der Einrichtung und Dekoration! Da stand der kleine Tisch bei der Tür, mit seinem Stapel Zeitungen — sicher angefüllt mit düsteren Analysen von Mr. Disraelis jüngsten Verlautbarungen oder einigen todlangweiligen Berichten über die politische Situation in Osteuropa — und dort, dicht am Kamin, war mein niedriger und bequemer Stuhl. Aber von dem Arrangement kleiner achteckiger Tische und den Glühlampen fehlte jede Spur.

Unser Gastgeber trat auf den Morlock zu. Er beugte sich vor und stützte die Hände auf die Knie. »Was ist das? Es sieht aus wie ein Affe — oder ein mißgebildetes Kind. Ist das Ihre Jacke, die es trägt?«

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