»Ich auch«, sagte Ela.
»Ein Experiment«, sagte Pflanzer.
Sie nickte. »Um festzustellen, ob die Intelligenz der Pequeninos tatsächlich in der Descolada und nicht im Gehirn verankert ist.«
»Ich mache es«, sagte Pflanzer.
»Ich hätte dich niemals darum gebeten.«
»Ich weiß, daß du mich nie gebeten hättest. Ich verlange es von mir aus.«
Es überraschte Ender, daß sich Ela und Pflanzer auf ihre Art genauso nahe standen wie Ender und Valentine, daß sie die Gedanken des anderen kannten, ohne sich erklären zu müssen. Ender hatte nicht geglaubt, daß dies zwischen zwei Wesen unterschiedlicher Spezies möglich sein konnte. Andererseits jedoch – warum sollte es nicht möglich sein? Besonders, wenn sie so eng in derselben Umgebung zusammenarbeiteten.
Ender brauchte einen Augenblick, um zu begreifen, was Pflanzer und Ela untereinander vereinbart hatten; Valentine, die nicht wie Ender schon seit Jahren mit ihnen zusammenarbeitete, begriff es noch immer nicht. »Was ist los?« fragte sie. »Wovon sprechen sie?«
Ela antwortete. »Pflanzer schlägt vor, daß wir einen Pequenino von allen Descolada-Viren befreien, ihn an einen sauberen Ort bringen, wo er nicht verseucht werden kann, und feststellen, ob er dann noch einen Verstand hat.«
»Das kann keine gute Wissenschaft sein«, sagte Valentine. »Dabei treten zu viele Variable auf. Ich dachte, die Descolada spiele bei jedem Teil des Lebens eines Pequeninos eine Rolle.«
»Ohne die Descolada würde Pflanzer augenblicklich krank werden und dann schließlich sterben. Was das Vorhandensein der Descolada Quim angetan hat, wird ihr Fehlen Pflanzer antun.«
»Das heißt, wir dürfen es nicht zulassen«, sagte Valentine. »Es würde nichts beweisen. Vielleicht verliert er wegen der Krankheit den Verstand. Fieber läßt die Patienten ins Delirium stürzen.«
»Was können wir sonst tun?« fragte Pflanzer. »Abwarten, bis Ela eine Möglichkeit findet, den Virus zu zähmen, nur um dann herauszufinden, daß wir ohne seine intelligente, virulente Erscheinungsform keine Pequeninos, sondern nur Schweinchen sind? Daß wir nur die Fähigkeit der Sprache haben, wenn der Virus in uns ist, und daß wir, wenn man ihn zähmen kann, alles verlieren und nicht mehr werden können als Bruderbäume? Sollen wir das herausfinden, wenn ihr den Virustöter einsetzt?«
»Aber es ist kein ernsthaftes, kontrollierbares Experiment…«
»Doch, es ist ein ernsthaftes Experiment«, sagte Ender, »Ein Experiment, wie man es durchführt, wenn man einen Dreck um die Grundlagen gibt und sofort Ergebnisse braucht. Ein Experiment, wie man es durchführt, wenn man keine Vorstellung hat, wie das Ergebnis aussehen wird, oder auch nur, ob man es interpretieren kann. Doch ein Haufen verrückter Pequeninos haben vor, Sternenschiffe zu besteigen und eine absolut tödliche Krankheit in der ganzen Galaxis zu verbreiten. Also müssen wir etwas tun.«
»Es ist ein Experiment«, sagte Pflanzer, »wie man es durchführt, wenn ihr einen Held braucht.«
»Wenn wir einen Held brauchen?« fragte Ender. »Oder wenn du ein Held sein mußt?«
»Ich würde an deiner Stelle nicht so sprechen«, sagte Valentine trocken. »Du hast im Verlauf der Jahrhunderte selbst ein paar Auftritte als Held gehabt.«
»Es ist nicht gesagt, daß wir dabei etwas erfahren«, warf Ela ein. »Quara weiß viel mehr über die Descolada, als sie uns verrät. Vielleicht weiß sie auch schon, ob man die Intelligenzadaption der Descolada von ihren lebenserhaltenden Funktionen trennen kann. Wenn wir so einen Virus schaffen könnten, könnten wir die Auswirkung der Descolada auf die Intelligenz der Pequeninos testen, ohne das Leben des Versuchsobjekts zu gefährden.«
»Das Problem ist nur«, sagte Valentine, »daß Quara uns wohl genausowenig die Geschichte glauben wird, daß die Descolada ein künstliches Objekt ist, das von einer anderen Spezies geschaffen wurde, wie Qing-jao glauben konnte, daß die Stimme ihrer Götter nur ein genetisch verursachtes unbewußt-zwanghaftes Verhalten ist.«
»Du begreifst, daß der Versuch vielleicht sinnlos ist«, sagte Ela.
»Dann wäre es wirklich ein Opfer«, sagte Pflanzer.
»Wenn du anfängst, den Verstand auf eine Art und Weise zu verlieren, die eindeutig in keinem Zusammenhang mit der Krankheit deines Körpers steht, werden wir das Experiment abbrechen, weil wir die Antwort haben.«
»Vielleicht«, sagte Pflanzer.
»Es ist möglich, daß du dich dann wieder erholst.«
»Mir ist es gleichgültig, ob ich mich erhole oder nicht.«
»Wir werden es auch abbrechen«, sagte Ender, »wenn du den Verstand auf eine Art und Weise verlierst, die im Zusammenhang mit der Krankheit deines Körpers steht, denn dann werden wir wissen, daß das Experiment sinnlos ist und wir nichts aus ihm erfahren werden.«
»Wenn ich ein Feigling bin, muß ich nur vorgeben, den Verstand zu verlieren, und mein Leben wird gerettet«, sagte Pflanzer. »Nein, ganz gleich, was geschieht, ich verbiete euch, das Experiment abzubrechen. Und falls ich bei Verstand bleibe, müßt ihr mich bis zum Tod weitermachen lassen, denn nur wenn ich bis zum Ende bei Verstand bleibe, werden wir wissen, daß unsere Seele nicht nur ein Kunstprodukt der Descolada ist. Versprecht es mir!«
»Ist das Wissenschaft oder ein Abkommen zum Selbstmord?« fragte Ender. »Bist du so versessen darauf, die wahrscheinliche Rolle der Descolada in der Geschichte der Pequeninos herauszufinden, daß du unbedingt sterben willst?«
Pflanzer stürmte zu Ender, kletterte an seinem Körper hoch und drückte die Nase gegen die Enders. »Du Lügner!« schrie er.
»Ich habe nur eine Frage gestellt«, flüsterte Ender.
»Ich will frei sein!« rief Pflanzer. »Ich will, daß die Descolada aus meinem Körper verschwindet und nie mehr zurückkehrt! Ich will helfen, alle Schweinchen zu befreien, damit wir in Wirklichkeit und nicht nur dem Namen nach Pequeninos sein können!«
Ender schob ihn sanft zurück. Seine Nase schmerzte von Pflanzers Druck.
»Ich will ein Opfer machen, das beweist, daß ich frei bin«, sagte Pflanzer, »und nicht nur handeln, wie meine Gene es vorschreiben. Nicht nur ins dritte Leben gehen.«
»Selbst die Märtyrer des Christentums und Islams waren bereit, im Himmel für ihre Opfer eine Belohnung anzunehmen«, sagte Valentine.
»Dann waren sie alle selbstsüchtige Schweine«, sagte Pflanzer. »Das sagt ihr doch über Schweine, nicht wahr? Selbstsüchtige Schweine. Das ist der richtige Name für uns Schweinchen, nicht wahr? Unsere Helden haben alle versucht, Vaterbäume zu werden. Unsere Bruderbäume waren von Anfang an Versager. Außer uns selbst dienen wir nur der Descolada. Nach allem, was wir wissen, sind wir vielleicht sogar die Descolada. Aber ich werde frei sein. Ich werde wissen, was ich bin, ohne die Descolada oder meine Gene oder irgend etwas außer mir.«
»Du wirst tot sein«, sagte Ender.
»Aber zuerst frei«, sagte Pflanzer. »Und der erste meines Volkes, der frei sein wird.«
Nachdem Wang-mu und Jane Meister Han alles berichtet hatten, was sich an diesem Tag zugetragen hatte, nachdem das Haus in der Dunkelheit der Nacht still geworden war, lag Wang-mu auf ihrer Matte in der Ecke von Meister Hans Zimmer noch wach, lauschte seinem leisen, aber beharrlichen Schnarchen und dachte über alles nach, was an diesem Tag gesagt worden war.
Sie hatten so viele Ideen hervorgebracht, und die meisten davon standen so hoch über ihr, daß sie daran verzweifelte, sie wirklich zu verstehen. Besonders, was Wiggin über Sinn und Absicht gesagt hatte. Sie sprachen ihr den Ruhm zu, auf eine Lösung für das Problem des Descolada-Virus gekommen zu sein, und doch konnte sie den Ruhm nicht akzeptieren, weil sie es nicht gewollt hatte; sie hatte gedacht, sie würde lediglich Qing-jaos Fragen wiederholen. Konnte sie den Ruhm für etwas akzeptieren, das sie völlig zufällig getan hatte?
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