»Wir hätten es sowieso getan, ganz gleich, was Kriegmacher gesagt oder getan hat«, erwiderte Pflanzen. »Seht uns an. Kriegmachers Gruppe schickte sich an, sich auszubreiten und auf anderen Welten neue Wälder zu pflanzen. Doch als sie Vater Quim getötet haben, entstand im Rest von uns eine solche Wut, daß wir losziehen und sie bestrafen wollten. Ein großes Gemetzel, und wieder würden neue Bäume wachsen. Wieder hätten wir getan, was die Descolada verlangt. Und nun, da die Menschen unseren Wald abgebrannt haben, wird Kriegmachers Volk doch noch den Sieg davontragen. So oder so, wir müssen uns ausbreiten und vermehren. Wir greifen nach jeder Entschuldigung, die wir finden können. Die Descolada wird über uns siegen. Wir sind Werkzeuge, die versuchen, sich irgendwie zu überzeugen, unsere Taten wären unsere eigene Idee.«
Er klang so hoffnungslos. Ender fiel nichts mehr ein, was er oder Valentine nicht schon gesagt hatte, um ihn von seiner Schlußfolgerung abzubringen, das Leben der Pequeninos sei unfrei und bedeutungslos.
Also war es Ela, die als nächste sprach, in einem Tonfall der ruhigen Überlegung, der irgendwie zusammenhanglos wirkte, als habe sie die schreckliche Besorgnis vergessen, die Pflanzer überkommen hatte. »Man kann nicht wissen, auf welcher Seite die Descolada stünde, wenn sie von alledem wüßte«, sagte sie.
»Auf welcher Seite wovon?« fragte Valentine.
»Will sie nun eine globale Abkühlung hervorrufen, indem sie hier mehr Wälder pflanzen läßt, oder treibt ihr Instinkt sie zur Ausbreitung, so daß sie sich von den Pequeninos auf andere Welten tragen läßt? Ich meine, was wäre den Virenschöpfern lieber? Den Virus zu verbreiten oder den Planeten zu regulieren?«
»Der Virus will wahrscheinlich beides, und er wird wahrscheinlich auch beides bekommen«, sagte Pflanzer. »Kriegmachers Gruppe wird zweifellos die Kontrolle über die Schiffe bekommen. Doch entweder vorher oder nachher wird es einen Krieg geben, bei dem die Hälfte der Brüder sterben. Nach allem, was wir wissen, veranlaßt die Descolada beides.«
»Nach allem, was wir wissen«, sagte Ender.
»Nach allem, was wir wissen«, sagte Pflanzer, » sind wir vielleicht die Descolada.«
Also, dachte Ender, sind sie sich doch dieser Möglichkeit bewußt, trotz unseres Entschlusses, sie den Pequeninos noch nicht beizubringen.
»Hast du mit Quara gesprochen?« fragte Ela.
»Ich spreche jeden Tag mit ihr«, sagte Pflanzer. »Aber was hat sie damit zu tun?«
»Sie ist derselben Auffassung. Daß die Intelligenz der Pequeninos vielleicht von der Descolada kommt.«
»Glaubt ihr, nach all euren Gesprächen darüber, die Descolada sei vielleicht intelligent, wäre uns das noch nicht in den Sinn gekommen?« sagte Pflanzer. »Und was werdet ihr tun, wenn es stimmt? Eure gesamte Spezies sterben lassen, damit wir unsere kleinen zweitklassigen Gehirne behalten können?«
Ender protestierte sofort. »Wir haben eure Gehirne nie für…«
»Ach nein?« sagte Pflanzer. »Warum glaubt ihr denn, wir würden diese Möglichkeit erst in Betracht ziehen, wenn ihr Menschen uns mit der Nase darauf stoßt?«
Ender hatte keine gute Antwort. Er mußte sich eingestehen, daß er die Pequeninos in mancher Hinsicht für Kinder hielt, die beschützt werden mußten. Probleme mußte man ihnen verheimlichen. Ihm war nicht in den Sinn gekommen, daß sie durchaus imstande waren, die schrecklichsten Tatbestände selbst herauszufinden.
»Und wenn unsere Intelligenz von der Descolada kommt, und wenn ihr eine Möglichkeit findet, sie zu vernichten… was wird dann aus uns?« Pflanzer sah sie an, triumphierend in seinem bitteren Sieg. »Baumratten«, sagte er.
»Das ist das zweite Mal, daß du diesen Ausdruck benutzt hast«, sagte Ender. »Was sind Baumratten?«
»Das haben einige der Männer gerufen, die den Mutterbaum getötet haben«, sagte Pflanzer.
»So ein Tier gibt es nicht«, sagte Valentine.
»Ich weiß«, erwiderte Pflanzer. »Grego hat es mir erklärt. ›Baumratte‹ ist ein Ausdruck für Eichhörnchen. Im Gefängnis zeigte er mir auf seinem Computer ein Holo von einem.«
»Du hast Grego besucht?« Ela war schlichtweg entsetzt.
»Ich mußte ihn fragen, warum er versucht hat, uns erst zu töten und dann zu retten«, sagte Pflanzer.
»Na also!« rief Valentine triumphierend. »Du mußt doch einsehen, daß das, was Grego und Miro an diesem Abend getan haben… zu verhindern, daß der Mob Wühler und Mensch verbrennt… du mußt doch einsehen, daß sie dabei nicht einfach ihren genetischen Triebfedern gefolgt sind!«
»Ich habe niemals gesagt, das menschliche Verhalten sei bedeutungslos«, erwiderte Pflanzer. » Ihr habt versucht, mich mit dieser Vorstellung zu trösten. Wir wissen, daß ihr Menschen eure Helden habt. Wir Pequeninos hingegen sind nur Werkzeuge gaialogischer Viren.«
»Nein«, sagte Ender. »Es gibt auch Helden unter den Pequeninos. Wühler und Mensch zum Beispiel.«
»Helden?« sagte Pflanzer. »Sie haben getan, was sie getan haben, um zu bekommen, was sie bekommen haben – ihren Status als Vaterbäume. Vielleicht haben sie auf euch Menschen, die nur einmal sterben, wie Helden gewirkt, doch der Tod, den sie erlitten haben, war in Wirklichkeit eine Geburt. Sie haben sich nicht geopfert.«
»Dann hat sich euer ganzer Wald heldenhaft benommen«, sagte Ela. »Ihr habt euch von den alten Wegen gelöst und einen Vertrag mit uns geschlossen, der von euch verlangte, mit einigen eurer am tiefsten verwurzelten Bräuche zu brechen.«
»Wir wollen das Wissen, die Maschinen und die Macht, die ihr Menschen hattet. Was ist heldenhaft an einem Vertrag, der nur von uns verlangt, daß wir euch nicht mehr töten, und uns dafür einen Sprung von tausend Jahren in unserer technologischen Entwicklung gibt?«
»Du willst einfach keinen positiven Schluß gelten lassen, nicht wahr?« sagte Valentine.
Pflanzer ignorierte sie. »Die einzigen Helden in dieser Geschichte«, fuhr er fort, »waren Pipo und Libo, die Menschen, die so tapfer handelten, obwohl sie wußten, daß sie sterben würden. Sie hatten die Freiheit von ihrer genetischen Abstammung gewonnen. Welches Schweinchen hat das jemals geschafft?«
Es machte Ender sehr betroffen, daß Pflanzer für sich und sein Volk den Begriff Schweinchen benutzte. In den letzten Jahren war dieses Wort nicht mehr so freundschaftlich benutzt worden wie zu der Zeit, als Ender auf Lusitania eingetroffen war; es galt nun als verächtlich, und die Menschen, die mit den Bewohnern des Planeten zusammenarbeiteten, benutzten nun den Begriff Pequenino. Was für ein Haß auf sich selbst trieb Pflanzer dazu, und stellte er eine Reaktion auf das dar, was er heute erfahren hatte?
»Die Bruderbäume geben ihr Leben«, warf Ela hilfreich ein.
Doch Pflanzer antwortete voller Verachtung. »Die Bruderbäume leben nicht so wie die Vaterbäume. Sie können nicht sprechen. Sie können nur gehorchen. Wir sagen ihnen, was sie tun sollen, und sie haben keine Wahl. Werkzeuge, keine Helden.«
»Mit der richtigen Geschichte kannst du alles verdrehen«, sagte Valentine. »Du kannst jedes Opfer abstreiten, indem du sagst, derjenige, der sich geopfert hat, habe sich so gut dabei gefühlt, daß es eigentlich gar kein Opfer war, sondern nur ein selbstsüchtiger Akt.«
Plötzlich sprang Pflanzer von dem Stuhl auf. Ender rechnete damit, daß er sich wie vorhin verhielt, doch er lief nicht durch den Raum. Statt dessen ging er zu Ela, die auf ihrem Stuhl saß, und legte beide Hände auf ihre Knie.
»Ich weiß, wie ich ein echter Held sein kann«, sagte er. »Ich weiß, wie ich gegen die Descolada vorgehen kann. Wie ich sie zurückweisen und bekämpfen und hassen und dazu beitragen kann, sie zu vernichten.«
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