Der Herr der Herde wartete auf die Bestätigungen seiner Befehle und gebot dann: »UmerzieherZwei.«
* * *
UmerzieherZwei Takpassih hatte seinen Beruf bisher ohne festes Ziel ausgeübt. Man hatte ihn in jungen Jahren dazu ausersehen. Ließ man die Jahrzehnte unberücksichtigt, die er im Kälteschlaf verbracht hatte, wie auch die Schädigungen, die das hervorgerufen hatte, trat er erst in seine mittleren Jahre ein. Schon vor dem Aufbruch des Raumschiffs aus der Heimatwelt hatte er die Ausbildung für den Umgang mit anderen Wesen bekommen, doch war sie nahezu ausschließlich theoretischer Art gewesen.
Nahezu. Es hatte in der Heimatwelt eine weitere intelligente Gattung gegeben. Die Vorlinge waren schon ausgestorben, bevor Takpassihs Gattung ihr GreifAnhängsel und ein Großhirn entwickelt hatte. Sie gehörten nicht zu Takpassihs Aufgabengebiet, sondern zu dem Fistartihthaktans, Priester und Kenner der Geschichte.
Fistartihthaktan war ein Schläfer. Seit seinem Erwachen war er noch steifer und förmlicher geworden als zuvor, zog sich noch mehr in sich zurück. Seine im Weltraum geborenen Gehilfen sprachen mit niemandem außer ihm. Seine Kenntnis des Thaktanthp würde hier von Wert sein. Vielleicht konnte ihn UmerzieherEins Rästapispmins – mit der Autorität eines Raumgeborenen und dem ihm eigenen Takt – aus der Reserve locken…
Die Schläfer kannten das Leben auf Planeten mit ihrem Stammhirn, ihrem Rückenmark und bis in die Körperzellen hinein. Sie wußten, wie Planeten beschaffen waren. Die Raumgeborenen konnten nur Vermutungen anstellen. Und dennoch – es ging um mehr als diese künstliche Teilung in der Ziehenden Herde. Die Schläfer würden einer nach dem anderen sterben, die Ziehende Herde würde wieder eine Fithp sein. Dazu brauchte sie das von Fistartihthaktan angehäufte Wissen, das Wissen jener älteren und ihnen fremd gewordenen Gattung.
Vor dem Empfang der ersten von den Beutewesen ausgeschickten Bilder hatten sie endlos über die Frage debattiert. Würden die Eingeborenen von Winterheim den Vorlingen ähneln? Oder der Fithp?
Wohl keins von beiden.
UmerzieherZwei beobachtete die gefangenen Erdlinge durch eine nur in einer Richtung durchsichtige Scheibe, während sich sein Helfer und zwei Soldaten an den ihnen abgenommenen Gegenständen zu schaffen machten. »Sie sehen nicht besonders widerstandsfähig aus«, sagte er.
Das Schiff erbebte.
»Schon wieder ein Treffer«, sagte einer der Soldaten. »Möglich, daß sie nicht viel vertragen, aber sie wehren sich.«
»Ja, sie kämpfen. Einige waren schon tot, und andere haben sich ergeben«, sagte der Achtschaftführer. »Doch obwohl ihre Lage unhaltbar war, hat eins eine Waffe durch sein Lebensbewahrungssystem hindurch abgefeuert und zwei meiner Krieger getötet! Es hat sich selbst getötet, um töten zu können…«
»Eure Erklärung?«
»Vergißt du deine Stellung?«
»Verzeiht. Soll ich darum bitten, daß Eure Vorgesetzten Euch danach fragen? Soll ich den Herrn der Herde rufen und ihn bitten, daß er Euch den Auftrag gibt, meine Fragen zu beantworten?«
»Ich… ich habe keine Erklärung, Umerzieher. Das ist dein Thaktan, deine Aufgabe. Jedenfalls wäre sich ergeben einfach gewesen.«
»Habt ihr eine Theorie, Achtschaftführer?«
»Vielleicht hat es sich im Kampfrausch befunden. Oder war es krank? Lag ohnehin im Sterben? So etwas kommt vor.« Seine Grifflinge verschlangen sich ineinander öffneten sich, immer wieder, ein Zeichen der Ratlosigkeit.
So etwas kommt vor. Unsinn! Die Raumgeborenen wissen nur, was sie gelesen und studiert haben, und trotzdem – Diese Gedanken führten zu nichts. »Du warst an Bord des zerstörten RaumHabitats «, wandte sich Takpassih an ihn. »Ich möchte dir Fragen stellen.«
»Fragt, Umerzieher.«
Takpassih wußte noch nicht, wie man geschickt fragt. »Was haben wir genommen, Achtschaftführer… Prethitih?«
»Prethitihdämb… Herr. Wir haben ziemlich viel herausgeholt, hier war nicht genug Platz für alles.«
Die Stimmen der Fremden aus dem Arrestraum bildeten einen gedämpften Hintergrund. Takpassih hörte mit halbem Ohr zu, während er die Beute durchging, die Prethitihdämbs Leute an den Wänden gestapelt hatten. Fünfzehn Jahre lang hatte er die Sprache der Fremden gelernt, die mit Radiowellen den Weg von Winterheim zum vom Ringen umgebenen Riesen überbrückten. Bisweilen hatte es auch Bilder gegeben. Merkwürdige Bilder von einer Herde, die es eigentlich gar nicht geben konnte. Kisten, die auf zwei Beinen tanzten. Zweibeinige Lebewesen, deren Gestalt sich änderte. Ströme sehr ähnlicher Bilder folgten in Abständen von Sekundenbruchteilen aufeinander. Gegensätze: Städte mit hohen Gebäuden und Maschinen, Städte aus strohgedeckten Lehmhütten.
Der Empfang war scheußlich schlecht, und manches von dem, was sich auflösen ließ, ergab keinen Sinn. Solche Informationen waren verdächtig, waren womöglich gefälscht. Man verließ sich besser auf das, was man aus erster Hand erfuhr.
Eins aber hob sich deutlich ab. Die meisten Sendungen waren in einer bestimmten Sprache abgefaßt. Takpassih hörte diese Sprache jetzt, aber noch eine andere.
Die Gefangenen gehörten zwei oder mehr Herden an. Im Augenblick spielte das kaum eine Rolle, aber später würde es wichtig werden. Es würde die Aufgabe noch wichtiger machen, die schon jetzt die Aufnahmefähigkeit eines Fi’ stark beanspruchte.
Große Metallbehälter waren mit kleinen Päckchen angefüllt, von denen jedes die krakelige Aufschrift trug: IN GEFRORENEM ZUSTAND AUFGEFUNDEN. Stapel von Kleidungsstükken, die zu dünn waren, um als Rüstung zu dienen: Kälteschutz? Merkwürdig aussehende Maschinen hatte man mit Aufschriften versehen:
AUS DEM LEBENSMITTELZUBEREITUNGS BEREICH (?)
RECHENGERÄT(?)
TEIL DES ABFALLAUFBEREITUNGS SYSTEMS.
PROJEKTILE ABFEUERNDE WAFFE.
Vom Unterdruck aufgeblähte Leichen waren in eine große Druckhülle gezwängt worden, auf dem Weg zum Schiff waren sie halb gefroren und klebten jetzt aneinander. UmerzieherZwei Takpassih riß die Hülle auf und ließ, indem er ein Unwohlsein in seinem Verdauungstrakt unterdrückte, seine Augen auf einem fremdartigen Kopf ruhen. Den zugehörigen Rumpf hatten Geschosse halb zerfetzt. Takpassih bemerkte um einen mit abscheulich aussehenden Zähnen gefüllten Mund und eine aus ihm heraushängende, von Muskeln bewegte Klappe angeordnete Sinnesorgane. Zwei vorstehende, verletzbar wirkende Augen. Die Nase war ein völlig nutzloser Höcker, die nebeneinander angeordneten Nüstern hätten ebensogut flach auf dem Gesicht liegen können. Aber das Bild war vertraut, so ungewöhnlich waren sie nicht. Beidseitige Symmetrie… Er griff nach einem angetauten Vorderlauf und fand fünf mit Knochen verstärkte Greifglieder. Die Fremden benutzten diese weiterentwickelten Vorderläufe zur Herstellung und zum Gebrauch von Werkzeugen. Und dieser löchrige Höcker diente ihnen sicher zu nichts anderem als zum Riechen. All das war den Fithp von Bildern her bekannt – aber hier in der Wirklichkeit war es anders.
Die Waffe: winzig, ein kleiner, gebogener Griff. Konnte dieser stark zweckentfremdete Fuß sie tatsächlich ruhig halten und damit zielen?
»Ist das die Waffe, die es benutzt hat?«
»Ja, UmerzieherZwei. Sie hat Krieger getötet.«
»Danke.« Takpassih bewegte die Grifflinge an einem der fremdartigen Vorderläufe und überlegte, wieso sich der eine quer über die ebene Fläche hinter die anderen vier legen ließ. Und sie alle bogen sich nach innen…
Er vergeudete seine Zeit. »Als erstes müssen wir feststellen, wovon sie sich ernähren. Bestimmt brauchen sie Wasser, denn innen sind sie ziemlich naß. Dann Autopsien. Sehen wir mal nach, was in ihnen drin ist. Prethitihdämb, hast du die Dinger in Druckbehälter getan, nachdem sie dem Unterdruck ausgesetzt waren?«
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