Hinter der Schleuse wurden sie von mehreren Besatzungsmitgliedern erwartet. Unter ihnen war eine Frau von etwa Mitte Vierzig. Ein Beinloser trieb auf Wes zu und half ihm mit kundiger Hand, den Helm abzunehmen. Niemand sprach.
»Hallo!« sagte Wes.
»Hallo«, brummelte die Frau.
Die Schleuse öffnete sich, und der Kosmonaut kam herein. Der Beinlose half auch ihm, seinen Helm zu öffnen. Der Kosmonaut lächelte breit. »Willkommen auf Kosmograd. Ich bin Rogatschow.«
»Ah! Vielen Dank«, sagte Wes. »Ich hatte nicht damit gerechnet, daß mich der Kommandant persönlich an Bord geleiten würde…«
»Ich geh gern nach draußen«, sagte Rogatschow. »Hab sowieso viel zu selten Gelegenheit dazu.«
Die anderen wirkten jetzt freundlicher.
»Ich stelle Ihnen rasch die Genossen vor«, sagte Rogatschow. »Wenn wir die Anzüge abgelegt haben, können wir Sie richtig willkommen heißen. Die Erste Stellvertretende Kommandantin Aljana Alexandrowna Tutsikowa. Stellvertretender Kommandant Dmitri Parfenowitsch Gruschin. RaumstationsIngenieur Ustinow.«
Alle drei standen nebeneinander, die Tutsikowa war Dawson am nächsten. Für sein ungeschultes Auge sahen sie alle typisch russisch aus. Im Gang befanden sich weitere Besatzungsmitglieder, einschließlich des Beinlosen, sie aber wurden nicht vorgestellt.
Da Händeschütteln in einem schwerkraftlosen Raum schwierig sein würde, unternahm Wes gar nicht erst den Versuch dazu. Die Tür der Luftschleuse öffnete sich erneut und ließ Captain Greeley ein. Wieder half der beinlose Kosmonaut beim Abnehmen des Helms. Rogatschow führte die anderen bereits den Korridor entlang, so daß Wes gar nichts anderes übrig blieb, als ihm zu folgen.
»Dort«, sagte Rogatschow, »wird Ihnen Mitja beim Ablegen Ihrer Raumanzüge helfen und Ihnen anschließend zeigen, wo wir Sie erwarten.« Der Ton in seiner Stimme änderte sich. »Nikolai.«
»Ich komme«, sagte der Beinlose und schob sich hinter Rogatschow.
Das kleine Abteil, in das Wes geführt wurde, war geräumiger, als er erwartet hatte. Es gab darin eine gewisse Schwerkraft, kaum spürbar, aber doch genug, daß Gegenstände auf einer Fläche hafteten. Wes legte sich hin, damit ihm der Raumanzug ausgezogen werden konnte.
Mitja sah anders aus als die anderen. Er war klein, fast zwergenhaft, und sein Gesicht wirkte asiatisch, tatarisch. Er sprach unablässig, während er dem Neuankömmling aus dem Raumanzug half. Allerdings verstand Dawson kein Wort davon. Mitja schien etwas Englisch zu verstehen.
Dawson bekam eine Art dunkelblauen Mechanikeranzug. Auf der linken Brustseite stand sein Name in lateinischen und kyrillischen Buchstaben, außerdem war ein Wappen mit dem stilisierten hammerähnlichen Emblem Kosmograds aufgenäht. Es trug einen roten Stern sowie das CCCP der Sowjetunion.
Aha, also deshalb sollte ich keine eigene Kleidung mitbringen. Sie wollen, daß ich ihre Uniform trage. Lächelnd griff Wes in eine kleine Tasche seines Raumanzugs, entnahm ihr eine bunte Anstecknadel mit der Flagge der USA und befestigte sie über dem Wappen Kosmograds. Dann sah er Mitja ins Gesicht.
Der Mann lächelte breit, sagte etwas Unverständliches und wartete, bis Wes die Kombination überzog.
* * *
Sergeant Ben Mailey war es gewohnt, Besuchergruppen zu führen, und auch bedeutende Leute waren ihm nichts Neues – doch eine Gruppe wie diese hatte er noch nie gesehen. Er hörte auf das unaufhörliche Geplapper hinter sich. Drei Männer und zwei Frauen saßen in einem für eine weit größere Anzahl von Passagieren gebauten Hubschrauber. Vom Gelände in Colorado Springs zum CheyenneBerg war es nur ein LuftHüpfer. Für Mailey ergab die Hälfte dessen, was sie sagten, keinen Sinn.
Er warf einen Blick auf die Liste seiner Fluggäste, zwei Paare und eine einzelne Frau. Der Große, der den Ortskundigen mimte, war Curtis aus Hollywood. Seine Stimme übertönte mühelos den Lärm des Hubschraubers. Nicht nur teilte er den anderen mit, was er über die Gegend wußte, sondern enthüllte auch zahlreiche Geheimnisse des CheyenneBergs, was Mailey gar nicht gefiel. Wie, zum Teufel, war der bloß reingekommen? Denn ›drin‹ mußte er gewesen sein.
Spielt eigentlich keine Rolle, sie sollen doch alle rein. Vielleicht ist es gar nicht so einfach, wieder rauszukommen…
Als Curtis eine Pause eintreten ließ, fragte eine dunkelhaarige, hochgewachsene Frau: »Müßten nicht eigentlich wir die Außerirdischen da oben begrüßen?«
»Wer weiß, vielleicht kommt es noch soweit. Jedenfalls ist Wes Dawson schon oben, und er ist begeisterter SFLeser. Er war genau wie Sie beim ersten Vorbeiflug am Saturn dabei, Sherry. Sagt Ihnen das nichts? Der Kongreßkandidat mit Baseballmütze.«
»Nein.«
»Nun ja, er hat sich auf den Bildschirm konzentriert, statt Volksreden zu halten. Erinnern Sie sich jetzt?«
»Ich…«
»Wenn Sie in der Regierung was zu sagen hätten – von wem würden Sie sich dann über Außerirdische informieren lassen? Von uns! Ich würde gern wissen, wer auf den Einfall gekommen ist.«
Das Lachen der grauhaarigen Frau klang angenehm und silberhell. Ihr Mann war nicht in Uniform, aber aus dem Ausweis, den er Mailey gezeigt hatte, war ersichtlich, daß er eine hätte tragen können, obwohl er damit dann wohl der älteste Marineleutnant im Lande gewesen wäre. Er hatte einen kugelrunden Kopf und einen bleistiftschmal gestutzten Schnurrbart. Maileys Liste zufolge handelte es sich bei ihnen um Robert und Virginia Anson aus Santa Cruz. Sie wirkten zu alt für – was auch immer da im Berg vor sich gehen sollte. Mit Sicherheit wußte Mailey nur eins: es gab eine unmittelbare Anweisung des Präsidenten bezüglich dieser neuen Beratergruppe, und so etwas hatte er noch nie zuvor erlebt.
Sie sollten nicht etwa General Deighton vortragen, der das nordamerikanische Luftverteidigungskommando NORAD befehligte und sich ständig im Berg aufhielt, sondern dem Nationalen Sicherheitsrat.
Anson beugte sich auf seinem Sitz vor, und Mailey bemerkte, daß die anderen aufgehört hatten zu reden und sich ihm zuwandten. »Wir werden es bald sehen«, sagte er.
»Klar«, sagte einer, »Bob, wir vertrauen Ihnen so sehr, daß wir Ihnen blind in die Hölle folgen würden, aber – was sollen wir hier eigentlich?«
»Noch zehn Minuten.« Anson sah zu Mailey. »So lange dauert es noch, bis wir drin sind.«
Mailey nickte. »Ja, Sir.« Noch einer, der in dem Loch gewesen sein mußte. Sie hatten so eine bestimmte Art, das Wort ›drin‹ auszusprechen.
»Auf jeden Fall«, fuhr Anson fort, »werden wir ebensoviel ebenso rasch erfahren wie irgend sonst jemand in den Vereinigten Staaten. Das hat mir Admiral Carrell versichert.«
»Klingt gut«, sagte jemand. »Und wir kriegen Zuhörer, die Rat suchen und die Möglichkeit haben, ihn zu befolgen! Herz, was willst du mehr?«
Virginia Anson lachte silberhell. Erneut beugte sich Robert Anson vor, und erneut verstummten alle anderen. Manchen Generälen bringt man weniger Respekt entgegen als dem da, dachte Mailey.
Der Hubschrauber setzte zur Landung an.
* * *
Jenny sah der Gruppe zu, die dem Hubschrauber entstieg, und verbarg ihr ungutes Gefühl. Sie ließ die Besucher für den kurzen Weg von der Landeplattform zum Eingang in den Kombi steigen.
Sie selbst war erst einigemal ›drin‹ gewesen, und es war jedesmal ein eindrucksvolles Erlebnis. Der Wagen fuhr durch Tore, hoch wie ein ganzes Haus, und mitten in den Berg hinein…
Immer weiter ging es. Schließlich hielten sie an und betraten einen Aufzug, der so groß war, daß auch noch der Kombi hineingepaßt hätte.
Niemand redete mehr.
Die Gebäude standen auf mannshohen Schraubenfedern. Von ihnen und den Granitwänden rundherum abgesehen, hätten die Gebäude ganz normale Kasernen und Büros der Militärverwaltung sein können.
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