Jetzt ist die ganze Welt eigentümlich.
Trotz des eiskalten Windes schwitzte Carter unter seiner schweren Last. Sie zogen vorsichtig in kleinen Gruppen dahin und nutzten jede Deckung. Mwubi und seine ZuluKundschafter waren weiter vorn fast nicht zu sehen. Gleichmäßiges Rauschen in Carters linkem Ohr zeigte ihm, daß sein Funkgerät auf Empfang geschaltet war. Senden würde Mwubi nur im äußersten Notfall. Zwar würden die Rüßler eine kurze, mit geringer Senderenergie abgesetzte Mitteilung nicht mitgekommen – doch warum unnötige Risiken eingehen?
»Es ist nicht mehr weit«, sagte Van Der Stel. »Dahinten von den Bäumen aus kannst du den Raumflughafen sehen. Von da läßt sich die Rakete abfeuern.«
»Gott sei Dank«, murmelte Sergeant Harrison, und Leutnant Iwan Semejusow sah ihn mißbilligend an. Russische Unteroffiziere sprachen nicht unaufgefordert ihre Vorgesetzten an, und ein guter Kommunist führte den Namen Gottes nicht im Munde. Colonel Carter verkniff sich ein Grinsen. »Gönnen Sie den Männern zehn Minuten Pause, Sarge.«
»Zu Befehl, Sir.« Harrison pfiff leise; er wußte, daß Mwubis Leute ihn hören würden. Dann begab er sich zur Kolonne zurück, um Amerikaner und Russen zu informieren.
Carter suchte sich den bestmöglichen Schutz. Könnte er doch wenigstens eine Pfeife rauchen. Wie gut wohl ihr Geruchsempfinden entwickelt ist? Der Wind wehte unausgesetzt. Vorsichtig sah er sich in der unwirtlichen Landschaft um. Nach all den Monaten hing immer noch der Geruch des Todes in der Luft. »Zumindest regnet es nicht mehr«, sagte er.
»Es ist kalt für November«, sagte Van Der Stel. »Der Sommer wird auf sich warten lassen.«
Wenn es überhaupt einen gibt, dachte Carter. Eigentlich müßte dort um die Zeit etwa das gleiche Wetter herrschen wie im Mai in Südkalifornien, warm und trocken, nicht kalt und böig. Der russische Offizier holte ein Päckchen Zigaretten hervor. »Nein«, sagte Carter.
Der Mann steckte das Päckchen wieder weg.
»Ein Wahnsinnsplan«, sagte Van Der Stel.
»Ach ja? Und warum machen Sie dann mit?« fragte Leutnant Semejusow. Sein Mund verzog sich zu einem breiten Grinsen.
Jedenfalls lernt er sich langsam zu benehmen, dachte Carter.
»Es hat sich ja wohl herumgesprochen, daß ich verrückt bin«, sagte Van Der Stel. »Die Engländer haben längst gemerkt, daß wir hier in Südafrika allesamt dazu neigen. Jetzt müssen wir es den Olifanten zeigen. Sagen Sie mir, Leutnant, was veranlaßt Sie, mich so weit von Ihrer Heimat entfernt bei meinen Wahnsinnstaten zu unterstützen?«
Semejusow dachte nicht daran, darauf einzugehen. »Sind Sie sicher, daß heute ein großes Schiff startet?« fragte er statt dessen.
»Sicher kann man bei so etwas nie sein, aber unsere Freunde am Raumflughafen, die die Schiffe beladen, glauben, daß heute abend oder morgen früh eins startet. Mehr habe ich nicht gesagt. Habt ihr Sorge, ich leg euch rein?«
»Nee«, sagte Lieutenant Carruthers. »Das nicht, Mijnheer. Der Iwan ist nur nervös wie wir auch.«
Dazu hat er allen Grund. Carter warf einen Blick zur Sonne. »Da wir nicht wissen, wann sie starten, dürfte es sich empfehlen, die Stellung möglichst früh zu erreichen, Also los!«
»Es sieht aus, als würden sie den Laderaum schließen«, berichtete Carruthers. Er gab das Fernglas an Carter zurück. »Laden in letzter Minute?«
Julius Carter lag im Gras und richtete das Glas auf das, was früher ein Flughafen gewesen war. Es lag acht Kilometer entfernt.
Sein erstes ›Raketenschiff‹. Anders als die Raumfähren, die er kannte: Rumpf war flach, und das gesamte Ding war so groß wie eine Lagerhalle – neben ihm sah das C-47Frachtflugzeug aus wie ein Spielzeug. Ohne den riesigen Kegel hinten hätte es am ehesten noch einem Flugzeug geähnelt, aber nur eben geähnelt. Zu kurz, zu breit, zu kleine Tragflächen. Die einzigen Fenster lagen in einer Kanzel von der Größe des Rumpfes einer Boeing 727 und befand sich unterhalb der Nase. An ihrer Spitze glänzte etwas wie Brillenglas, aber zu sehen gab es nichts. Womöglich eine Laserkanone?
Van Der Stel hatte wie gewöhnlich recht gehabt; der Platz eignete sich ausgezeichnet zur Beobachtung des Raumflughafens. Er lag hoch genug, um ihnen eine gute Aussicht zu gewähren, aber nicht auffällig hoch.
Vielleicht maß Carruthers dem, was er sah, zuviel Gewicht bei, vielleicht aber auch nicht. Im Verlauf der letzten Stunde hatten die Außerirdischen zwei Luken an dem großen Schiff geschlossen, zwei Ladekräne weggefahren und die Mehrzahl der anderen Gepäckwagen auf die gegenüberliegende Seite des Flugfelds gebracht. »Auf jeden Fall sieht es aus, als ob sich irgend etwas tun würde. Wie steht es mit den Rußkis?«
»Mit uns steht es ziemlich gut, Colonel«, sagte eine Stimme hinter ihm.
Peinlich! »Danke. Leutnant. Haben Sie Ihre Rakete in Stellung gebracht?«
»Ist gleich soweit.«
»Gut. Sieht aus, als hätten wir noch eine halbe Stunde Zeit.«
»Ich werde den Leuten sagen, sie sollen sich beeilen.«
Carter saß im hohen Gras und nahm seine Pfeife heraus.
»Das Gute an einer Pfeife«, sagte Carruthers, »ist, daß man sie auch kalt rauchen kann. Colonel.«
»Raus mit der Sprache!«
»Wird es klappen, Sir? Ich meine, sie mußten das Ding weit schleppen und…«
»Haben Sie einen besseren Plan?«
»Nein, Sir.«
»Auf jeden Fall ist es den Versuch wert.«
»Ja, Sir.«
Nein, ich hab deine Frage nicht beantwortet, mein Junge. Wie könnte ich auch ? Carter grinste. Bisher hat es uns außer etwas Schweiß nichts gekostet. Mal sehen, wie es weitergeht. Sobald sie die russische Rakete abgeschossen hatten, würde es richtig losgehen. Sie würden um ihr Leben rennen und sich im Gelände verteilen müssen. Dann konnten sie nur hoffen, daß alle den vereinbarten Treffpunkt erreichten. Carter warf einen Blick auf die Uhr, dann nach hinten, wo die sowjetischen Soldaten ein niedriges Gerüst errichtet hatten. »In Ordnung, Sergeant. Die Leute sollen sich verteilen.«
»Zu Befehl, Sir.«
Auf dem Raumflughafen herrschte geschäftiges Treiben. Alle Hilfs- und Versorgungsfahrzeuge waren abgezogen. Der gewaltige Rumpf des Raumschiffs stand verlassen da.
Ein turmhoher Betonbau in der Nähe öffnete sich.
»Der Laser«, sagte Carter. »Wenn Sie den treffen, fliegt der ganze Flughafen in die Luft.« Er gab Carruthers das Glas und wandte sich dem sowjetischen Offizier zu. »Alles in Ordnung?«
»Ja.« Erwartungsvoll blitzten Semejusows Augen. »Es ist eine gute Rakete. Wirklich gut.«
»Das will ich hoffen.«
»Colonel!«
»Ja, Carruthers?«
»Sie haben einen Hangar geöffnet. Etwas kommt raus – er kommt direkt auf uns zu. Scheiße!«
Carter griff nach dem Fernglas.
Mehr als ein Dutzend der leichten Bodenfahrzeuge, die Carter bei sich als ›Gleiter‹ bezeichnete, schwebten schnell über das Flugfeld. Sie setzten sich über den Zaun hinweg und fächerten dann über das Veldt aus. Eins kam genau auf ihren Hügel zu.
Den Gleitern folgten acht Schwebepanzer.
Leutnant Semejusows Stimme blieb ausdrucksvoll. »Ihre Befehle, Genosse Colonel?«
»Abwarten, ob sie uns sehen.«
Ein Gleiter kam gefährlich nah an die Stelle heran, wo sich Mwubis Kundschafter versteckt hielten.
»Sie kommen noch näher«, sagte Carruthers. »Wenn sie Mwubis Leute nicht gesehen haben, bemerken sie uns auch nicht.«
»Aber wenn sie direkt an uns vorbeifahren, entdecken sie die verdammte Rakete«, sagte Carter. Sie können jeden Augenblick hier sein. Sobald sie vorbei sind, müssen sie die Rakete sehen. Er drückte den Kanalwähler an seinem HelmFunkgerät. »Sergeant Harrison. Wenn das Ding auf fünfzig Meter rankommt, feuern!«
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