»Doch, schon möglich. Aber woran lassen sie die arbeiten? Wir sollten uns das mal näher ansehen.« Roger tauchte hinter die Sitze zurück.
* * *
Für das Domizil eines Generals war es kein besonders aufwendiges Haus. Auf dem Dach wuchs Moos, und die Fassade war schon seit Jahren nicht gestrichen worden.
»Und was, wenn sie mich kriegen?« wollte Harry wissen.
»Wobei kriegen?« fragte Roger. »Beim Herumlaufen? Harry, das ist doch die reinste Stadt. Sieh mal, viele sind zwar in Uniform, aber es gibt auch eine ganze Menge Zivilisten. Benimm dich ganz natürlich, dann merkt kein Aas, daß du nicht hierhergehörst.« Er sah auf die Uhr. »In einer Stunde treffen wir uns wieder hier.«
»Einverstanden.«
Roger wartete, bis Harry nicht mehr zu sehen war, dann stieg er die steile Treppe zu der halbzerfallenen hölzernen Veranda hinauf und klopfte.
Die Tür ging auf. »Na so was – Roger! Was in aller Welt treibst du denn hier?«
»Ich bin Carlottas reitender Bote. Sie läßt grüßen«, sagte er. »Willst du mich etwa hier draußen stehen lassen?«
Automatisch trat sie beiseite, und Roger zog die Tür hinter sich zu. »Ist Ed da?«
»Er ist bei der Arbeit. Er arbeitet immerzu. Roger, was treibst du hier?«
»Ich spiele Postillion für Carlotta.«
»Sei nicht albern.«
»Nun, wir ziehen zu zweit durchs ganze Land und lassen uns berichten, wie die Leute leben. Es ist nicht einfach Zeitungsarbeit, manches gebe ich auch nach Colorado Springs weiter. Als ich zu Carlotta sagte, ich führe in den Nordwesten, hat sie mich gebeten, bei euch vorbeizusehen.« Obwohl ihm nicht im entferntesten danach zumute war, gab er sich Mühe, den Eindruck zu erwecken, als verschlinge er Linda mit den Augen. »Du scheinst von meiner Gegenwart ja nicht gerade begeistert zu sein.«
»Diesmal ist Ed nicht im Orbit, Roger! Und dann die Frage der Sicherheitsüberwachung. Ich habe keine Ahnung, wie streng das Haus bewacht wird, aber – wenn Ed dich erwischt, wäre es besser für dich, du spioniertest für die Rüßler!«
* * *
Um vier Uhr strömten die Menschenmengen aus den Hallen. Männer und Frauen, die meisten in Arbeitskleidung. Sie verliefen sich im Nieselregen des trüben Nachmittags. So viele Rüßlerbewacher waren nie im Leben nötig. Die Männer wirkten kräftig und sprachen laut miteinander, viele trugen noch Schutzhelme und Arbeitsanzüge. Typische Bauarbeiter. Was, zum Teufel, geht hier vor?
Etwa ein Dutzend ging auf ein kleineres Gebäude zu. Obwohl kein Schild an der Tür war, verstand Harry sofort. Irgendeine Art von Lokal.
Es gelang ihm, den Anschein zu erwecken, als gehöre er zu ihnen. Er schlenderte auf das Lokal zu und bemühte sich, seine Nervosität zu verbergen. Drinnen war es ziemlich laut. Ein Kreischen übertönte das Lärmen der Männer, dann ein Geräusch ähnlich dem Trompeten eines Elefanten, aber doch irgendwie anders. In der Nähe mußte es einen Rüßler geben. Einstweilen achtete Harry nicht darauf.
Niemand hinderte ihn am Eintreten.
An der Theke standen die Männer in mehreren Reihen. Harry schob sich dazwischen. Er nahm Geldscheine aus der Tasche. Erst trinken, dann reden, sonst wirkt es unecht.
Schutzhelme waren neben der Tür aufgestapelt. Zwar trug Harry keinen, aber seine Kleidung unterschied sich kaum von der der anderen. An den Tischen wurde bereits eifrig dem Bier zugesprochen. Aus den Augenwinkeln sah Harry jemanden einen Krug leeren, einen weiteren bestellen und einen Schluck daraus trinken, während sich der große runde Tisch um ihn füllte. Der Junge ist bestimmt schon soweit, daß er gern redet.
Auch Harry bestellte einen Krug. Der Mann hinter der Theke sah neugierig auf sein Geld. »Wohl neu hier, was?« fragte er.
»Ja.«
Die mattblauen Scheine, die er herausbekam, trugen den Aufdruck »Ersatzgeld NordwestGetreide Projekt «.
Harry ging mit seinem Krug an den großen Tisch. »Stört es, wenn ich mich dazu setze?«
»Nur zu!« Der Mann mit dem kurzgeschnittenen weißblonden Haar war größer und breiter als Harry und hatte Hände von eindrucksvoller Größe.
Dem Tonfall nach kam er aus dem Süden. Viele hier reden so. Sind alle nicht aus der Gegend. Warum nicht? Harry setzte sich neben ihn und steckte seine Banknoten aus Colorado Springs erst ein, nachdem der andere sie gesehen hatte. Damit er merkt, daß ich neu hier hin.
»Whitey Lowenstein«, stellte sich der andere vor. »Und du?«
»Man nennt mich den Roten Harry.«
Lowenstein lachte. »Kann ich mir denken. Zu welcher Gruppe gehörst du?«
»Nun…«, druckste Harry herum.
»Ich verstehe«, sagte Lowenstein und lächelte. »Das gibt sich nach einer Weile. Die ganze Geheimnistuerei ist maßlos albern. Ich bin Schweißer.« Er musterte Harry aufmerksam. »Ich wette um ‘nen Krug, daß ich rauskrieg, was du machst.«
»Ist gebongt.« Harry tat demonstrativ einen tiefen Zug.
Lowenstein klopfte Harry auf die Brusttasche. »Hmm. Kein Dosimeter. Vielleicht hast du’s auch weggesteckt. Saubere Kleidung. Kräftiger Bursche. Bist du gebildet?«
Harry lachte. »Ja, in der Schule des Lebens.«
»Nun, ich hab so ein Gefühl. Alle Neulinge kriegen eingetrichtert, ›Feind hört mit‹, aber du hast überhaupt nichts gesagt. Bestimmt bist du ein Atomheini, Harry.«
In einem Rüßlergefängnis? »Ich zahl dir den Krug, und wir vergessen die Sache.« Was, zum Henker, mag das sein, ein Atomheini?
Eine Stunde später wußte er es. Es war nicht schwer zu erfahren – alle im Lokal waren im Bilde.
Irgendwo in Bellingham – niemand schien genau zu wissen oder auch nur genau wissen zu wollen wo – lagerten über tausend Atombomben. Die Atomheinis kümmerten sich um sie. Tausend Atombomben! Ach du große Scheiße! Was tu ich hier bloß?
* * *
»Du mußt von hier verschwinden, Roger.«
»Linda, was wird hier gespielt?«
»Glaub mir, es geht dir besser, wenn du es nicht weißt.«
Ein eiskaltes Weib. Mein Gott – »Linda, du machst mir richtig angst!«
»Das will ich hoffen.«
Noch nie hatte er sie so sprechen hören. »Was, glaubst du eigentlich, habe ich vor? Das finstere Geheimnis der gefangenen Außerirdischen enthüllen? Meinst du wirklich, ich wüßte nicht, was hier gespielt wird?«
Sie sah nachdenklich drein. »Ich habe dich nie für dumm gehalten, Roger.«
»Sieh mal, Linda, ich könnte doch einfach warten. Und wenn Ed zurückkommt…«
»… bist du nicht mehr hier.«
»Linda, ich gebe auf. Was soll ich tun?«
»Verschwinden, und dich nie wieder hier sehen lassen!«
»Das war deutlich!«
»Und warum bist du dann noch da?«
»Linda, ich bin Tausende von Kilometern gekommen, um dich zu sehen!«
»Ich habe dich nicht darum gebeten.«
»Schon, aber sonst war ich immer willkommen. Ich weiß, daß du mich nicht gerade liebst, aber zumindest könntest du nett sein.«
»Das ist alles vorbei, Roger.«
»Das meinte ich nicht mit ›nett‹.« Roger seufzte. Schlagartig wurde ihm klar: Es ist aus.
Da ist noch was anderes – »Sieh mal, ich wollte dich wiedersehen. Aber ich hab eine Freundin in Colorado Springs, wahrscheinlich heirate ich sie. Ich weiß nicht, warum ich zuerst mit dir darüber sprechen wollte, aber so ist es nun mal.« Das hat gesessen!
»Ich… wer ist sie?«
»Sie heißt Rosalee. Linda, du wirst es nicht glauben, ich hab sie auf der Straße kennengelernt.«
Sie lachte. »Nein, das glaube ich wirklich nicht.«
»Aber es stimmt, und sie ist großartig.«
»Hat sie dich durchschaut, Roger?«
»Besser als du.«
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