Admiral Carrell beugte sich vor, um den Globus näher ins Auge zu fassen. »Vielleicht…«
Ein Horn ertönte. »Da hören Sie es. Zehn Minuten bis zur geschätzten Aufschlagzeit.«
Es wurde still im Raum.
* * *
Der kaum wahrnehmbare Schub wurde noch geringer, als der Herr der Herde Pastempihkeph sich zur Kommandobrücke aufmachte.
Alles ging seinen Gang. Kuthfektilrasp wandte sich um und sagte: »Der FUSS ist auf das Ziel ausgerichtet. Der Herr der Verteidigung kann uns jederzeit von ihm lösen.«
»Tut das!« gebot Pastempihkeph. »Herr der Verteidigung, Ihr habt jetzt das Kommando.« Er setzte sich auf sein Polster und legte seine Krallen auf die in die Wand eingelassenen Fußhalterungen.
Durch das ganze Raumschiff hallte es: »Klar bei Fußhalterungen! Schub in acht Atemzügen.«
Der Herr der Herde schloß seine Krallen fest um die Stangen. Was kann schon fehlschlagen? Das Triebwerk wird nicht ausfallen; es läuft seit vielen AchtTages Zeiträumen zuverlässig. Die Beutewesen können dem FUSS jetzt unmöglich noch Einhalt gebieten. Könnten sie etwas gegen die Bote ausrichten, hätten sie früher gehandelt.
Die Bote nahm langsam und stetig Fahrt auf, drehte sich um ihre Achse und in sanftem Bogen von Winterheim weg.
Während die von Kratern zerklüftete Masse aus Nickel und Eisen davonschwebte, wurde eine herrlich blauweiße Sichel sichtbar. Schub setzte machtvoll ein, und der Herr der Herde spürte, wie es ihn ins Polster preßte.
Als der Schub größer war als die Schwerkraft der Heimatwelt, erreichte die Beschleunigung ihren Höhepunkt. Dann begannen die Triebwerke der Grifflingsschiffe anzuspringen, und erneut wurde der Schub größer. Die Sichel am Himmel lag nun riesengroß genau hinter ihnen. Die Bote entfernte sich mit wachsender Geschwindigkeit von Winterheim. Dennoch würde man die Einschlagstelle sehen können.
Der Herr der Herde verlangte einen Blick in die Unterkunft der gefangenen Erdlinge. Sie hatten den Absonderungspferch sicher erreicht und lagen jetzt bäuchlings auf der Polsterung. Es schien ihnen unbehaglich zumute zu sein.
Je mehr Grifflingsschiffe sich paarweise von ihren Halterungen um das Heck des Raumschiffs herum lösten, desto geringer wurde der Schub. Der Herr der Herde sah, wie ihre pulsierenden Triebwerksflammen in weitgeschwungenen Bögen dem Blick entschwanden. Sie mußten stark verzögern, um auf die Umlaufbahn um Winterheim herum zu gelangen. Die letzten vier gruppierten sich als Geleit in der Nähe des Mutterschiffs. Sollte doch eine tödliche Gefahr von Winterheim aufsteigen, konnten sie helfend eingreifen.
Aber nichts brach durch die dichte Wolkendecke. Inzwischen lag schon die halbe Scheibe im Hellen, und der FUSS war im Schatten der Nachtseite des Planeten unsichtbar geworden.
Dann plötzlich sah man am Rande des Schattens einen Stecknadelkopf rot aufleuchten. Er wurde orange, weiß, grellweiß, alles im Bruchteil eines Atemzuges. Der Herr der Herde Pastempihkeph verengte die Pupillen. Es genügte nicht. Er wandte sich ab. Das helle Licht reflektierte gleißend an den Wänden der Steuerzentrale, blieb eine Weile und schwand schließlich. Der Herr der Herde sah wieder hin.
Eine grellweiße Fackel wurde dunkler, breitete sich aus, wurde rot. Wolkenringe bildeten sich und vergingen in einer sich ausdehnenden Flammenhalbkugel. Wolken schossen durch die Stratosphäre und verbargen, was unter ihnen lag.
Fistartihthaktan sagte sachlich: »Wir haben auf ihrem Meeresboden bestimmt unseren Fußabdruck hinterlassen.«
»Herr des Angriffs, der FUSS liegt genau in der Mitte jenes Wassergebietes. Ist das die Stelle, wo Ihr ihn hinhaben wolltet?«
»Er ist genau im Ziel«, erklärte Kuthfektilrasp.
»Gut gemacht.«
Die Bote flog mit sechzig Makasrapkithp pro Atemzug an Winterheim vorbei; aber auf Grund der Erdrotation blieb der Fußabdruck aus dem Raumschiff sichtbar. Eine Feuerkugel stand über der Lufthülle des Planeten. Wie ein flammender Blutegel klebte sie an seiner Masse.
Eine breite Wolkendecke warf orangefarbenes Licht zurück. Die Feuerkugel selbst stand in einem Kranz von wolkenloser Luft. Ein ringförmiges Wellenmuster unter der Wolke dehnte sich mit schrecklicher Geschwindigkeit immer weiter aus.
»Die durch den Ozean verlaufende Druckwelle verzerrt die Wolkendecke«, sagte Kuthfektilrasp. »Wie Ausbuchtungen unter einem zusammengebrochenen Zelt. Unsere Spezialisten werden die Umrisse der Kontinente und des Meeresbodens daran erkennen können, wie sie die Ausbreitung der Welle verzögern.«
Es war geheimnisvoll und entsetzlich. Die nüchterne Feststellung ließ erahnen, daß unter den Wolken Millionen von Beutewesen in den Wassermassen den Tod finden würden.
»Damit haben wir uns mit den Vorlingen auf eine Stufe gestellt «, meldete sich Fistartihthaktan.
Den Herrn der Herde durchfuhr ein Ruck. »Ist es Euch damit ernst?«
»Ich weiß nicht. Welches Entsetzen liegt unter jenem gnädigen Laken aus Wassertröpfchen? Wie viele Beutewesen werden wir ertränken? Wieviel Land werden wir dem Zugriff und der Nutzung durch jegliche Lebewesen entziehen? Wie hat unsere eigene Welt ausgesehen, als die Vorlinge umkamen und unsere Fithp noch aus gehirnlosen wilden Tieren bestand?«
Die Wolkendecke trieb jetzt zurück, in die Feuerkugel hinein. Eine weitere Schicht Wolken bildete sich hoch über ihr in der Stratosphäre und begann sich auszudehnen. Wellen aus blauem Licht entstanden und breiteten sich aus. Abstrakte Bilder, schön, aber von furchterregender Größe…
Hoffentlich haben wir keine neue Kunstform erfunden. Ehrfurcht und Schrecken: Der Herr der Herde trampelte sie tief in die untersten Schichten seines Bewußtseins. »Wir sind gekommen, um Winterheim zu erobern. Wissen die Thaktanthp etwas, das uns dabei leitet?«
»Vielleicht. Wir setzen doch wohl voraus, daß die Vorlinge den natürlichen Zustand der Welt geändert haben? Ihrer, unserer Welt. Jetzt ist Winterheim unsere Welt. Seht, wie wir ihren natürlichen Zustand verändern. Was hat die Vorlinge ihr Eingreifen gekostet? Haben wir es besser gemacht?«
Haben wir es besser gemacht? Wir müssen noch einmal miteinander darüber sprechen. Aber dieser Weg wurde vor langer Zeit eingeschlagen, und wir haben ihm zu folgen. »Herr des Angriffs. Ihr könnt das Kommando über die Grifflingsschiffe übernehmen. Beginnt mit der Landung!«
* * *
Anton Villars, der Kommandant des USamerikanischen UBoots Ethan Allen, sah angestrengt durch das Periskop und bemühte sich, ruhig zu bleiben. Es fiel ihm nicht leicht.
Vor etwa einer Stunde war die Mitteilung gekommen. Zwar waren die Langwellensender zuverlässig, aber es dauerte eine Weile, bis die Punkte und Striche der Morsebuchstaben von Hand aufgenommen und anschließend durch die Entschlüsselungsmaschine geschickt worden waren.
Um einen Befehl zum Angriff auf die Sowjetunion konnte es sich nicht handeln. Villars war darauf eingestellt gewesen, seine PoseidonRaketen gegen einen unsichtbaren Feind im Weltraum zu richten. Statt dessen las er jetzt:
GROSSES OBJEKT WDH GROSSES OBJEKT WIRD 22’ 30“ S BREITE 64’ 2’’ OE LAENGE 14.55 H EINHEITSZEIT AUFSCHLAGEN STOP BEOBACHTEN OB SICHER STOP GESCHAETZTE AUFSCHLAGENERGIE 4000 MEGATONNEN WDH 4000 MEGATONNEN STOP JEGLICHER HINWEIS WERTVOLL STOP HALS- UND BEINBRUCH CARRELL
Sicher? Vor viertausend Megatonnen gibt’s keine Sicherheit, Am liebsten wäre Villars auf Tauchfahrt gegangen, um mit Höchstgeschwindigkeit die Flucht zu ergreifen.
An Steuerbord leuchteten die Farben des Lebens von der Insel Rodriguez. Schon längst war der Dschungel weithin dem Ackerland gewichen. In der Mitte stieg jäh ein schroffer Felsen an, ragte ein Gipfel von fünfhundert Metern Höhe auf. Wellen brachen sich an dem die Insel umschließenden Korallenriff. Es würde mehr Schutz vor dem Tsunami bieten als das offene Meer, aber es bildete zugleich auch eine Gefahr.
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