Tashajämp brachte sie gemeinsam mit Mr. und Mrs. Woodward und Wes Dawson zu ihrer Zelle zurück. Sie blieben so lange dort, daß sie Gelegenheit hatten, etwas zu essen und die Toilette zu benutzen. Der Gedanke, daß es die anderen ebenso störte wie sie selbst, ließ Alice die Sache weniger unerträglich erscheinen.
Nach einer Ruhepause von einer Stunde brachten die Fithp sie alle wieder zu den Luftkanälen zurück. Niemand hatte gemerkt, daß Alice die ganze Zeit geschwiegen hatte. Vielleicht waren die anderen sogar froh darüber.
Sobald sie konnte, sonderte sich Alice von den anderen ab und ließ sich vom Luftzug forttragen, weiter als je zuvor. Ihr war nicht nach gesellschaftlichen Kontakten zumute. Nach einer Weile bremste sie ihren Flug und machte sich halbherzig an die Arbeit.
Der Luftzug war jetzt kalt geworden. Das paßte zu ihrer Stimmung; zuerst merkte sie es kaum. Aber die Wand, an der sie arbeitete, war an einer Seite sogar noch kälter. Hier war eine Krümmung, an der ein Seitenkanal einmündete, aber sie war durch eine Klappe versperrt. Nachdem sie sie passiert hatte, wurde die Wand wieder wärmer.
Alice kehrte um.
Sie befolgte nicht gern Befehle, und es gefiel ihr nicht, wenn man etwas vor ihr verborgen hielt. Die verdammten Psychotherapeuten hatten immer Geheimnisse vor ihr gehabt.
In einer Art Nut konnte die Klappe auf und nieder gleiten. Alice schob die Finger in einen Spalt, und die Klappe öffnete sich gegen Federdruck weit genug, um sie durchzulassen.
Die Luft war entsetzlich kalt und unbeweglich. Nachdem Alice dem Kanal ein Stück weit gefolgt war, fand sie sich an einem Gitter.
Knapp zehn Meter vor ihr lag eine merkwürdige schwarze Fläche, die gewellt war wie schmutziges Eis. Als Alice ihr Gesicht an das Gitter drückte, sah sie die Krümmung, die wie die Innenwandung eines Zylinders wirkte.
Sie betrachtete die Sache eine Weile genauer. Eine Stelle an der Oberfläche war hervorgewölbt… wie ein unfertiges Relief… ein Fries, das Werk eines der Scheusale. Schmutziges Eis? Dawson hatte gesagt… ja, was noch? Die Scheusale mochten Schlamm. Sie fanden es seltsam, daß sich die Menschen in sauberem Wasser wuschen. Aber gefrorener Schlamm?
Das Gitter hatte unter ihren Händen nachgegeben.
Sie schob es beiseite und ließ sich hindurchtreiben.
Auf einer Seite lag gefrorener Schlamm, eine Decke mit bemalten Friesen auf der anderen. Die Kunstwerke wirkten unheimlich und fremdartig, manche waren aber auch schön. Scheusale – Fithp also – zur Hälfte unter unheimlichen Bäumen verborgen; die Gattung erkannte sie wieder – solche wuchsen auch im Gartenbezirk. Hier war eine naturgetreue Nachbildung eines der Scheusale gegenüber einem mit unverständlichen Schriftzeichen bedeckten Block, und in die Schlammbank auf der anderen Seite war eine ähnliche Gestalt hineingehauen…
Sie würde sich hier den Tod holen. Alice tauchte erneut in den Luftkanal und brachte das Gitter wieder hinter sich an.
Geheimnistuerei war ihr zuwider. Sie wollte mehr erfahren. Nach einer Weile fand sie eine Möglichkeit, den Luftkanal zu verlassen.
* * *
»Ich glaube, Alice möchte dir was sagen«, erklärte Melissa.
Jeri drehte sich träge herum. »Wie kommst du darauf?«
»Sie sieht dich pausenlos an, aber sie möchte mit dir allein sein. Das merke ich, Mama, Alice ist…«
»Ja.« Woher sie das wohl weiß? Rät sie das? Oder wie? Jeri ließ sich träge zum Griff an der Wand neben Alice treiben. »Wie war’s?«
Worte entströmten ihr rasch. »Jeri, ich hab eine ganz seltsame Stelle gefunden. So kalt, daß man sich alles abfriert. Abgesperrt. Überall schwarzes Eis oder so was Ähnliches. Weit weg.«
»Ein Lagerraum? Wird da was aufbewahrt?«
»Nein, es ist alles Eis, die eine Wand entlang, die Rumpfwand. Dawson hat gesagt, sie mögen Schlamm. Vielleicht ist es so ‘ne Art großes Heilbad. Aber warum sollten sie das alles einfrieren?«
»Wir wollen Arwid fragen.«
Alice machte ein ängstliches Gesicht.
»Er wird bestimmt nicht – er ist ein guter Mensch, Alice.«
»Nun, von mir aus.«
Rogatschow runzelte nachdenklich die Stirn. »Richtig gefroren?«
»Ich hab nicht hingefaßt. Aber bestimmt war es gefroren, denn es war furchtbar kalt.«
»Kaum Schub und keine Rotationsschwere, weil wir mit dem FUSS zusammengekoppelt sind. Unter diesen Bedingungen können sie nicht im Schlamm baden, aber von den Bildern, die sie uns gezeigt haben, wissen wir, daß sie das gern tun. Bestimmt haben sie einen Raum für den Schlamm, und sicher liegt er an einer Stelle, wo keine Schwerkraft herrscht. Aha, und deswegen haben sie ihn eingefroren.«
»Klingt vernünftig«, sagte Jeri.
»Ja«, stimmte Alice zu. »Also, dann erklären Sie mal weiter. Im Schlamm war eine Gestalt wie ein Fries – wie eines von diesen Scheusalen unter einer Decke.«
»Wie? Als wenn es auf der Seite läge?«
»Ja. Was war das wohl?«
Wes Dawson war so nahe, daß er mithören konnte. »Sind Sie dessen sicher?«
»Absolut.«
»Ein Fries, das ein Fi’ darstellt?«
»Ich habe nicht gesagt, es war ein Fries, sondern nur, wie ein Fries«, sagte Alice.
»Ach ja.« Dawson verlieh seiner Stimme einen beruhigenden Klang. »Arwid, was meinen Sie?«
»Ich weiß nicht.«
»Ich denke, wir sollten es Rästapispmins sagen.«
»Wir werden es uns überlegen«, sagte Arwid und wandte sich Dmitri zu. »Hast du gehört?«
»Ja.«
Sie sprachen rasch auf russisch miteinander.
Jeri nahm Arwid beim Arm. »Sie lernen rasch Sprachen«, sagte sie. »Sie behaupten zwar, daß sie kein Russisch können, aber bitte! Vorsicht!«
Arwid lächelte. »Wenn sie rasch genug gelernt haben, um den Dialekt zu sprechen, in dem wir uns jetzt unterhalten, kommen sie hinter alles.« Er wandte sich erneut den anderen zu. Sie sprachen weiter miteinander. Schließlich nickte Dmitri. Arwid sagte: »Ja, dann machen wir es so. Alice, Sie müssen es den Fithp sagen.«
* * *
Im Schlammraum war es behaglich warm, und der Schlamm taute, als Prethitihdämb ankam.
Rästapispmins hatte ihm gesagt, daß er die rothaarige Erdlingin als Einzelgängerin betrachtete. Vielleicht halluzinierte sie… Die Beruhigung, die Prethitihdämb bei dieser Mitteilung empfunden hatte, schwand, als er in den Raum trat. Dort an der Decke befand sich ein Fries von ThoBinther Thaktan, einem legendären Priester aus der Zeit, die zweimal achthoch zwei Sonnenumläufe zurücklag. Ihm gegenüber war eine vollkommen ähnliche Ausbuchtung.
Irgendein Fi’ mußte einen merkwürdigen Humor entwickelt und nach der Beschleunigungsphase hier den Schlamm zu einer frechen Parodie des altehrwürdigen Entdeckers des Podo Thaktan gestaltet haben. Aber Prethitihdämb begann zu zittern, und es beruhigte ihn, daß seine Achtschaft aus lauter Raumgeborenen bestand. »Schafft den Schlamm weg«, gebot er einem Fi’. »Seid vorsichtig. Aber beeilt euch, wir treten bald wieder in die Beschleunigungsphase ein.«
Es hätte zu keinem ungünstigeren Zeitpunkt geschehen können. In wenigen Stunden würden sie den FUSS ausklinken. Schwierige und rasch aufeinanderfolgende Manöver würden erforderlich sein, um Thaktan Flishithy in die für den Start der Grifflingsschiffe richtige Lage zu bringen.
Die Eroberung von Winterheim stand bevor, und jetzt das!
Der Krieger kratzte mit dem Rücken seines Bajonetts aufgeweichten Schlamm weg, und Fathistihtalk begann Gestalt anzunehmen.
* * *
Der Herr der Herde wartete ungeduldig auf den Anruf. Dann erschien Prethitihdämb auf dem Bildschirm. Hinter ihm herrschte geschäftiges Treiben.
»Berichte.«
»Es ist in der Tat der Berater Fathistihtalk, Herr der Herde. Man hat ihn ertränkt. In seiner Haut fanden wir keine Risse.« Inzwischen war der Kadaver vom Eis befreit und deutlich auf dem Schirm sichtbar. Er wurde langsam gedreht, damit der Arzt der Achtschaft ihn gründlich untersuchen konnte. »In Fathistih talks Snffp verläuft eine tiefe Einkerbung oberhalb der Nüster. Vielleicht ist sie durch eine sehr festgezogene Schnur entstanden, aber das hätte ihn nicht getötet. Sein Mund ist voll mit zusammengebackenem Schlamm. Es sieht aus wie eine rituelle Hinrichtung. Er wurde ertränkt.«
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