»Meine Anthropologiedozentin hat einmal gesagt, Begräbnisriten seien die bedeutsamsten Hinweise auf eine Stammeskultur «, sagte Jeri. »Aber ich glaube, das hing damit zusammen, daß sie es als Archäologin gewohnt war, kaum etwas anderes als Gräber als aussagekräftige Zeugnisse aus vergangenen Epochen vorzufinden.«
»Das hat ja bestialisch gestunken«, sagte Melissa.
Gary lachte zustimmend, und Jeri sagte: »Ja, aber an Bord eines Raumschiffs muß es nicht stinken. Die wollen das nicht anders. Der Eindruck, daß der liebe Dahingeschiedene postwendend zu Dünger wird, gehört wohl zum Begräbnis dazu. Sie wollen sich daran erinnern.«
»Sie haben mehr von seiner Ansprache verstanden als ich«, sagte Arwid.
»Ich habe auch etwas mitbekommen«, ließ sich Wes Dawson vernehmen. »Die lange Rede des Priesters. Er hat davon gesprochen, daß Fathistihtalk jetzt zur Schlafenden Herde zurückkehrt. Ich frage mich, ob er das im Wortsinn meinte.«
»Meinen Sie, die glauben an so etwas?« fragte Jeri.
»Keine Ahnung«, gab Dawson zurück. »Sie wissen, daß der Leib verschiedene Stadien eines Zyklus durchläuft. Vielleicht nehmen sie an, daß die Seele das auch tut.«
»Das denke ich nicht«, sagte Arwid. »Warum sollten sie sonst das Neugeborene so in den Vordergrund stellen?«
»›Die Vorlinge sind stets mit uns‹, hat er gesagt. Wie konnte diese andere Gattung eigentlich mit der Ziehenden Fithp zusammenkommen? Ihre Leiber folgen zwar den Stadien des Zyklus, und es gibt auch noch die Thaktans, aber…«
»Natürlich glauben sie nicht an bürgerliche Mythen von Göttern und Unsterblichkeit«, sagte Dmitri. »An diesen Fithp gibt es viel zu bewundern. Sie arbeiten zusammen, und wenn es erforderlich ist, lassen sie ihr Leben für die Herde.«
John Woodward schnaubte vernehmlich und wandte sich ab.
»Der Gestorbene aber nicht«, sagte Alice. »Die Witwe behauptete, er wäre ermordet worden, und der Leitbulle schien auch nicht besonders glücklich darüber zu sein.«
»Ein interessantes Geheimnis«, sagte Arwid. »Wer könnte ihn umgebracht haben?«
»Das werden wir wohl nie erfahren«, sagte Dawson.
»Warum sagen Sie das?« fragte Dmitri. »Der Anführer hat der Witwe versprochen, er werde den Mörder finden. Ihm stehen alle möglichen Mittel zur Verfügung. Warum sollte es ihm da nicht gelingen?«
»Warum sollte er uns das mitteilen? Und wenn er es täte – würde uns das etwas sagen?«
»Der Leitbulle ist kein Detektiv« sagte Jeri. »Er hat zuviel anderes zu tun. Außerdem habe ich ein bißchen Angst. All diese heftigen Raumschiffmanöver. Die haben doch bestimmt was vor, aber was nur?«
»Ich fürchte, das wissen wir alle nur zu gut«, sagte Rogatschow.
Jeri krallte sich fester an die Wandbespannung.
* * *
»Major! Major, aufwachen!«
Jenny schrak hoch. »Ja, Sergeant?«
»Eine Nachricht aus Australien, Ma’am. Sie haben es gesichtet!«
Ach du großer Gott. Sie bemühte sich, die Augen offen zu halten, und sah schlaftrunken auf den Wecker am Bett. Fünf Uhr.
»Es nähert sich schnell, noch etwa eine Stunde bis zum Aufprall «, sagte Sergeant Ferguson.
»Der Admiral…«
»Mailey hat ihn bereits geweckt. Entschuldigung, Ma’am, ich muß die anderen erst zusammentrommeln.«
Der Krisenstab umdrängte in zwei Gruppen die Kaffeekanne und den großen Erdglobus. Ransom und Curtis hatten bereits Kaffee getrunken und studierten jetzt auf dem Globus mögliche Einschlagstellen.
»Ins Wasser, ich wußte es doch«, sagte Ransom.
»Klar«, knurrte Curtis. »Und wieso ausgerechnet im Morgengrauen?«
»Warum ins Wasser?« wollte ein Marineoffizier wissen.
Ohne den Blick vom Globus zu heben, erklärte Ransom: »Ein so großer Meteorit richtet einfach mehr Schaden an, wenn er ins Meer stürzt. Er durchschlägt den Ozeanboden bis ins Erdmagma hinein. Das Wasser leitet die dabei freiwerdenden Energien weiter, und die Hitze des Magmas bringt den Ozean zum Sieden. Wir vermuten, daß etwa eine viertel Milliarde Tonnen Seewasser verdampfen und hochgeschleudert werden wird. Salzregen auf der ganzen Welt…«
Jenny schauderte es bei der Vorstellung. »Wie viele Menschen werden ums Leben kommen?«
»Eine ganze Menge«, sagte Curtis. »Sehen Sie mal!« Er wies vom Indischen Ozean nordwärts. »Durch diese Buchten werden die Tsunamis wie durch Trichter noch höher aufgetürmt, bevor sie sich brechen. Kalkutta und Bombay verschwinden unter Wasser wie auch der Rann von Kutch, ein Salzsumpfgebiet, das sich nur wenige Meter über den Meeresspiegel erhebt – alles weg. Ebenso der Persische Golf, Ostafrika…«
»Wir müssen die Bevölkerung dort warnen.«
»Das haben die Australier bestimmt schon getan«, sagte Ransom.
»Es spielt sowieso keine Rolle.« Admiral Carrells Stimme klang gleichmütig.
Jenny nahm gewohnheitsmäßig Haltung an. »Sir?«
»Wir haben keine verläßliche Nachrichtenverbindung mit Ostafrika. Ich denke, Mr. Ransom hat recht. Falls aber die Australier keine Warnung ausgesandt haben…«
»… werden die Leute es bald auch so merken«, sagte Curtis. »Was ist mit Schiffen oder UBooten? Haben wir nach wie vor keine Verbindung zur UBoot Flotte?«
»Doch«, sagte Carrell. »Unsere Langwellensender funktionieren noch. Ich habe bereits die entsprechenden Befehle erteilt.«
Reynolds kam mit Kaffee. Curtis wies auf eine Stelle auf dem Globus. Reynolds beugte sich darüber, um sie näher in Augenschein zu nehmen.
»Springfluten, Wirbelstürme! Ich wüßte zu gerne genau, wo er aufschlägt«, sagte Curtis. »Vielleicht könnten wir dann ungefähr feststellen, wie sehr das Wetter auf der nördlichen Halbkugel davon beeinträchtigt wird.«
»Mächtig«, sagte Ransom. »Die Stelle liegt sehr nah am Äquator.«
»Dann würde er das Wetter auf beiden Halbkugeln heillos durcheinanderbringen«, sagte Reynolds.
»Furcht und Schrecken«, murmelte Curtis, »Tsunamis, Wirbelstürme, unvorstellbare Regenfälle…« Mit befriedigtem Gesichtsausdruck erhob er sich. »Eins ist sicher, Bellingham bleibt verschont.«
»Wenigstens ein Trost«, sagte jemand.
»Das kann man laut sagen«, sagte Curtis. »Es ist sowieso unser letzter Notanker.«
»Strategisch klug gemacht«, sagte Joe Ransom. »Man sehe sich nur mal an, wo die Springfluten…«
»Hören Sie doch auf!« rief ein junger Marineoffizier.
Jenny beugte sich aufmerksam zu Curtis und Ransom hinüber, die erregt weiterdiskutierten.
Ostwärts würde die Insel Madagaskar Moçambique und Südafrika ein wenig Schutz gewähren, doch würden die Wellen Tansania, Kenia sowie die Sozialistische Republik Somalia überspülen und auslöschen. Im Nordosten würde die arabische Halbinsel unter Wasser gesetzt werden. Das Arabische Meer würde die Welle aufnehmen, und ein Gebirge von Wasser würde sich in den Iran und nach Pakistan hinein ergießen. Keine OPEC mehr, dachte Jenny mit aufblitzender Schadenfreude. Allerdings auch kein Erdöl… Wassermassen würden Indien im Norden bis zu den Gebirgen des Himalaja zudecken. Die Bucht von Bengalen wäre ihr nächstes Ziel, danach würden sie über Burma bis nach China hineinschwappen. Die Inseln in der JavaSee würden überschwemmt werden, und schließlich würde die Welle nach Westaustralien gelangen…
»Großer Gott«, sagte der Marineoffizier, dem es plötzlich wie Schuppen von den Augen zu fallen schien. »Bestimmt werden sie zum Schluß zu landen zu versuchen, aber wo?«
»Deswegen ist es ja so eine…«
»… großartige Strategie, genau, Mr. Ransom«, sagte Admiral Carrell. »Wohin sollen wir unsere Flotten schicken? Nach Indien? SaudiArabien? Australien? Afrika?«
»Nach Südafrika«, erläuterte Curtis. »Sehen Sie mal! Der größte Teil des Landes, in dem es Industrie gibt und in dem sich die weiße Bevölkerung aufhält, liegt auf Meereshöhe. Den vernichten die Flutwellen völlig. Hinter der Küste die Drakensberge mit der Großen Randstufe, alles, was in diesem östlichen Abschnitt der Randaufwölbung des südafrikanischen Binnenhochlandes liegt, dürfte unbeschädigt bleiben. Also landen sie bei Johannesburg und Pretoria, und flugs haben sie einen rundum abgeschlossenen Stützpunkt mit Industrie und Infrastruktur.«
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