In Zukunft würde er sie immer mit diesem wundervollen Artefakt in Verbindung bringen. Er würde sie sich als Harpune vorstellen. Instinktiv und von Neugier getrieben streckte er die große Hand aus, um die Harpunenspitze zu berühren.
»Ya!« Die Frau wich zurück und packte die Harpune fester. Der Wolf an ihrer Seite fletschte die Zähne und knurrte ihn an.
Spannung baute sich auf. Hände hatte schwere Steine vom Strand mitgebracht.
Kieselstein hob die Arme. »Nein nein nein…« Er musste Hände mühsam, mit Gesten und Geplapper davon abhalten, mit den Steinen zu werfen. Er wusste selbst nicht einmal, wieso er das tat. Er hätte sich mit Hände zusammentun und sie verjagen sollen. Fremde machten nichts als Ärger. Aber der Wolf und die Frau hatten ihm nichts Böses getan.
Und sie starrte auf seine Genitalien.
Er schaute an sich hinab. Eine eindrucksvolle Erektion stach hervor. Plötzlich wurde er sich der pulsierenden Halsschlagader bewusst, des erhitzten Gesichts und der feuchten Handflächen. Sex war etwas Alltägliches, mit Grün oder Schrei, und es war normalerweise angenehm. Aber diese Kind-Frau mit dem platten, hässlichen Gesicht und dem spindeldürren Körper? Wenn er sich auf sie legte, würde er sie womöglich zerquetschen.
Trotzdem hatte er sich nicht mehr so gefühlt, seit Grün sich in jener Nacht auf ihn gesetzt hatte.
Der Wolf knurrte. Die Frau, Harpune, kraulte das Tier am Hals. »Ya, ya«, sagte sie sanft. Sie sah Kieselstein noch immer an und zeigte die Zähne. Sie grinste ihn an.
Plötzlich schämte er sich, als ob er ein Junge wäre, der seinen Körper nicht unter Kontrolle hatte. Er drehte sich um und rannte zum Meer. Als das Wasser tief genug war, um ihn zu bedecken, machte er einen Kopfsprung. Mit geschlossenem Mund massierte er den erigierten Penis. Er ejakulierte schnell, und das sämige weiße Zeug trieb im Wasser.
Er trat Wasser, richtete sich auf und schnappte nach Luft. Das Herz hämmerte noch immer, aber wenigstens hatte die Spannung sich gelöst. Er kam aus dem Wasser. Die Schnittwunden, die er sich am Abend zuvor zugefügt hatte, waren noch nicht verheilt, und Blut, mit Salzwasser verdünnt, rann ihm an den Fingern herab.
Die Frau war verschwunden. Aber er sah eine Spur – von schmalen Füßen mit kleinen Sohlen –, die in die Richtung führte, aus der sie gekommen sein musste: von jenseits der Landzunge. Die Abdrücke der Hundepfoten verliefen neben ihrer Spur.
Hände und Schrei kamen ihm entgegen. Schrei musterte Kieselstein unsicher. »Fremde Fremde Wolf Fremde!«, rief Hände und warf die Steine ärgerlich auf den Boden. Er begriff nicht, weshalb Kieselstein auf diese Art reagiert hatte, wieso er diese Fremde nicht einfach verjagt oder getötet hatte.
Plötzlich kulminierte Kieselsteins Unzufriedenheit mit seinem Leben. »Ya, ya!«, rief er. Und er wandte sich von den anderen ab und folgte der Spur, die die schlanke Frau hinterlassen hatte .
Schrei rannte ihm hinterher. »Nein, nein, Ärger! Hütte, Essen, Hütte.« Sie packte sogar seine Hand, presste sie auf ihren Bauch und versuchte sie zur Vagina hinunterzuziehen. Aber er versetzte ihr einen Handkantenschlag gegen die Brust, und sie ging zu Boden. Sie blieb liegen und schaute ihm sehnsüchtig nach.
Er ging in ihrer Spur am Strand entlang und löschte mit seinen großen Füßen Harpunes Abdrücke aus.
Der Strand war mit Muscheln, Krebstieren und dem Treibgut des Meers übersät: Seetang, gestrandete Quallen und unzählige angespülte Tintenfische. Bald schon geriet er ins Schwitzen und außer Atem. Hüfte und Knie schmerzten; ein Vorbote der Arthrose, die ihn mit zunehmendem Alter plagen würde.
Schließlich beruhigte er sich, und der Instinkt setzte sich wieder durch. Er erinnerte sich, dass er nackt und allein war.
Er lief suchend auf dem Strand umher, bis er einen großen scharfkantigen Stein fand, der sich gut in die Hand schmiegte. Dann marschierte er weiter an der Wasserlinie entlang. Obwohl das Fortkommen hier durch den zähen Schlick erschwert wurde, war er zumindest auf einer Seite vor Angriffen geschützt.
Und diese schöne Spur mit den parallel verlaufenden Abdrücken der Wolfspfoten zog sich noch immer durch den Sand. Schließlich machte die Spur einen Knick und verließ den Strand. Und dort, im Schatten eines Palmenhains, sah er eine Hütte.
Er stand für eine Weile reglos da und betrachtete sie. Es war niemand zu sehen. Vorsichtig näherte er sich ihr.
Die oberhalb der Hochwasserlinie errichtete Hütte stand auf einem Gerüst aus schlanken Baumstämmen, die in den Boden gerammt waren. Die Stämme waren an der Spitze verflochten… nein, sie waren zusammengebunden und nicht etwa verflochten, wie er nun sah – zusammengebunden mit dünnen Sehnen. Auf diesem Rahmen waren Äste und Palmwedel ausgebreitet worden. Werkzeuge und Abfälle, die aus der Ferne nicht zu identifizieren waren, lagen vor der runden Öffnung der Hütte herum.
Die Hütte war nichts Besonderes. Sie war etwas größer als seine und bot vielleicht Platz für zwanzig Leute, aber das schien auch der einzige Unterschied zu sein.
Der Schutt auf dem festgestampften Boden um den Eingang der Hütte knirschte unter den Füßen. Mit großen Augen betrat er das Innere der Hütte. Es roch stark nach Asche.
Die Hütte war nicht dunkel, sondern sie wurde von einem warmen braunen Licht erfüllt. Er sah, dass ein Loch in eine Wand gebrochen war. Eine dünn geschabte Tierhaut war vor das Loch gespannt, sodass der Wind draußen gehalten wurde, nicht aber das Licht. Er unterzog die Haut einer kurzen Musterung und suchte nach den Eindrücken und Kratzern von Zähnen, sah aber keine. Wie sollte man Leder ohne Zuhilfenahme der Zähne gerben?
Er schaute sich um. Es lag Kot auf dem Boden: von Kindern und anscheinend auch von Wölfen oder Hyänen. Und es lagen Essensabfälle herum, hauptsächlich Muschelschalen und Fischgräten. Aber er sah auch Tierknochen, an denen zum Teil noch Fleischfetzen hafteten. Sie stammten vor allem von kleinen Tieren, vielleicht vom Schwein oder vom Hirsch, doch selbst das erweckte in ihm einen Anflug von Neid. Soweit er wusste, teilten die wilden Leute im Landesinnern die Erzeugnisse des Waldes und des Graslands mit niemandem.
Er setzte sich im Schneidersitz hin und ließ den Blick schweifen, während die Augen sich langsam ans Dämmerlicht anpassten.
Er sah die Überreste einer Feuerstelle, nur einen schwarzen Kreis auf dem Boden. Die Asche war noch heiß und schwelte stellenweise noch. Vorsichtig fuhr er mit dem Finger am Umfang der Feuerstelle entlang. Der Finger versank in Ascheschichten. Nun sah er, dass eine Grube im Boden ausgehoben worden war, wie die Gruben, in die man eine tote Person senkte. Aber diese Grube war gegraben worden, um das Feuer zu beherbergen. Die Asche war dicht, und er sah, dass das Feuer vieler Tage und Nächte diese dichte Anhäufung bewirkt hatte. Und auf der dem Eingang zugewandten Seite der Grube, wo der Abzug am stärksten war, hatte man einen niedrigen Wall aus Kieselsteinen errichtet.
Das war ein Herd, einer der ersten richtigen Herde, die auf der Welt gebaut wurden. So etwas hatte Kieselstein noch nie gesehen.
Er sah, dass Schichten einer braunen Substanz den Boden bedeckten. Zaghaft berührte er eine dieser Schichten. Sie erwies sich als Rinde. Aber die Rinde war sorgfältig vom Baum abgezogen und irgendwie behandelt, geflochten und geformt worden, sodass diese weiche Decke herausgekommen war. Er lüftete die Rindendecke und sah ein Loch im Boden. Das Loch war mit Nahrung gefüllt, mit einer ganzen Menge Maniokknollen.
Dann stieß er auf Werkzeug. Ein Haufen Splitter sagte ihm, dass an diesem Ort gewohnheitsmäßig Steinwerkzeuge gefertigt wurden. Er durchwühlte die Werkzeuge. Ein paar waren erst halbfertig. Aber es gab Werkzeug in einer verwirrenden Vielfalt: Er sah Äxte, Hacken, Spitzhacken, Hammer-Steine, Messer, Schaber, Bohrer – und andere Ausführungen, deren Zweck er nicht erraten konnte.
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