Die acht anderen erwachsenen Männer der Gruppe jubelten und schrien pflichtschuldig und rannten den felsigen Abhang hinunter. Sie klopften Braue auf den Rücken und strichen respektvoll über das Tier. Dann liefen sie umher und führten einen Freudentanz auf, wobei sie eine spektakuläre Staubwolke aufwirbelten, die glühend im Licht der untergehenden Sonne hing. Gemeinsam schleppten sie die Antilope den Hang hinauf und warfen sie auf den Boden. Die älteren Kinder kamen herbei gerannt, bestaunten das Tier und stritten sich schon um das Fleisch. Bengel war auch dabei. Er war aber schon so geschwächt, dass die anderen Kinder ihn mit Leichtigkeit abdrängten. Weit sah, dass ein abgebrochener Speer in der Brust der Antilope steckte. Damit hatte Braue seine Beute getötet; er hatte wohl im Hinterhalt gelegen und den Speer vielleicht dort stecken lassen, um seine Leistung zu dokumentieren.
Braue protzte inzwischen mit einer eindrucksvollen Erektion. Die Frauen, einschließlich Ruhig, Weits Mutter, machten subtile Zeichen der Bereitwilligkeit – eine einladende Handbewegung hier, leicht gespreizte Schenkel dort.
Weit, die noch keine Frau, aber auch kein Kind mehr war, hielt sich im Hintergrund. Sie knabberte an einer Wurzel und harrte der Dinge, die da kommen würden.
Ein paar Erwachsene hatten vulkanische Kieselsteine aus dem nahe gelegenen Fluss mitgebracht. Nun bearbeiteten Männer und Frauen die Kieselsteine mit flinken Bewegungen, wobei sie die Steine mit den Fingern erforschten. Die Steine verwandelten sich ohne eine bewusste Anstrengung in Werkzeuge – dies war eine schon alte Fähigkeit, die in einen separaten Abschnitt eines starr strukturierten Bewusstseins eingebettet war –, und schon nach wenigen Minuten hatten sie primitive, aber brauchbare Hack- und Schneidwerkzeuge angefertigt. Sobald ein Werkzeug fertig war, fiel der Hersteller damit über die Antilope her.
Die Haut wurde vom After bis zum Hals aufgeschnitten und vom Körper abgezogen. Die Haut wurde weggeworfen; bisher hatte noch niemand eine Verwendung für Tierhäute gefunden. Der Kadaver wurde schnell zerlegt. Die scharfen Steinklingen schnitten in Gelenke, trennten Gliedmaßen ab und zerteilten sie, durchdrangen den Brustkorb, legten die weichen, warmen inneren Organe frei und lösten schließlich das Fleisch von den Knochen.
Es war eine schnelle, effiziente und fast unblutige Angelegenheit: Hier waren erfahrene Fleischer am Werk, die ihr Handwerk durch Generationen lange Übung erlernt hatten. Aber die Fleischer arbeiteten nicht zusammen. Obwohl sie Braue respektierten und ihm zugestanden, sich die besten Stücke sowie Herz und Leber zu nehmen, konkurrierten sie beim Ausnehmen des Kadavers und grunzten und gifteten sich gegenseitig an. Trotz der Werkzeuge in den Händen machten sie sich wie ein Wolfsrudel an der Antilope zu schaffen.
Die Frauen beteiligten sich kaum am Kampf ums Fleisch. Der unspektakuläre Streifzug durch den Akazienhain und das umliegende Gelände war erfolgreich gewesen, und ihre Bäuche und die der Kinder waren schon voller Feigen, Lavendel, Beeren, Grasschösslingen und Wurzeln – Früchte des Landes, die man vorm Essen nicht großartig zubereiten musste.
Als das Fleisch fast vollständig entbeint war, schritt man zur Verteilung. Braue stolzierte mit dem Messer in der einen und einem großen Haxenstück in der anderen Hand zwischen den Männern umher. Er schnitt Stücke vom Fleisch ab und reichte sie an ein paar Männer weiter – aber nicht an alle. Diejenigen, die er übergangen hatte, wandten sich ab. Doch sie würden später versuchen, Stücke des besten Fleischs von den anderen zu klauen. All das gehörte zu den endlosen Machtspielchen der Männer.
Dann machte Braue den Frauen seine Aufwartung und überreichte ihnen Fleischstücke wie ein huldvoller König. Vor Ruhig blieb er mit seiner stolzen Erektion stehen und schnitt ein großes zartes Stück aus der Keule. Mit einem Seufzer nahm sie es an. Sie aß etwas davon und legte den Rest dann neben ihrem Kind ab, das in einem Nest aus trockenem Gras schlief. Dann legte sie sich auf den Rücken, öffnete die Schenkel und streckte die Arme aus, um Braue zu empfangen.
Braue war nicht primär aus dem Grund jagen gegangen, um seine Leute mit Nahrung zu versorgen. Großwild bildete nur die Spitze der Nahrungspyramide der Gruppe; der größte Teil war pflanzliche Nahrung, Nüsse, Insekten und kleine Tiere, die von den Frauen, älteren Kindern und Männern gleichermaßen erbeutet wurden. Großwild eignete sich als Nahrungsreserve für schlechte Zeiten – zum Beispiel Dürre, Überschwemmungen oder harte Winter. Jedoch zog der Jäger einen mehrfachen Nutzen aus der Jagd. Mit dem Fleisch der Antilope vermochte Braue seine Machtposition unter den Männern zu stärken und sich zugleich Zugang zu den Frauen zu verschaffen, was der eigentliche Zweck seines endlosen Kampfs um die Macht war.
Mit der größeren Intelligenz, dem großen unbehaarten Körper und der rudimentären Sprache waren sie die menschlichsten Geschöpfe, die bis dato existiert hatten. Dennoch wäre ihre Lebensweise Capo in vielerlei Hinsicht vertraut gewesen. Braues Vorfahren waren schon in dieses gesellschaftliche Muster gefallen – Männchen, die um die Vorherrschaft kämpften, Weibchen, die durch Blutsbande miteinander verbunden waren, und Jagen, um sich Vorteile zu verschaffen –, lange bevor Capo den schicksalhaften Entschluss getroffen hatte, sein Wäldchen zu verlassen. Es gab auch andere Lebensweisen für Primaten, und es wären auch andere Gesellschaften denkbar gewesen. Doch nachdem das Muster sich erst einmal etabliert hatte, war es kaum noch möglich, es aufzubrechen.
Zumal das System gut funktionierte. Die Nahrung wurde verteilt, und der Frieden wurde gewahrt. Auf die eine oder andere Art wurden die Leute mit Nahrung versorgt.
Als Braue ejakuliert hatte, wischte Ruhig die Schenkel mit Blättern ab und widmete sich wieder dem Fleisch. Sie benutzte eine weggeworfene Steinklinge, um es zu schneiden und gab einen Teil davon ihrer Mutter, die schon zu alt war, als dass Braue sich noch für sie interessiert hätte. Den Rest gab sie Weit, die gierig darüber herfiel.
Und später, als die Dämmerung einsetzte, machte Braue sich an Weit heran. Sie sah ihn als eine große, fleischige Silhouette gegen den roten Sonnenuntergang. Er hatte seine Portion des Eland-Fleischs schon fast verspeist, aber sie roch noch das Tierblut an ihm. Er hatte einen Beinknochen dabei. Er ging vor ihr in die Hocke und beschnüffelte sie neugierig. Dann schlug er den Knochen auf den Stein, sodass er zerbrach. Sie roch das leckere Mark, und das Wasser lief ihr im Mund zusammen. Ohne zu überlegen griff sie nach dem Knochen.
Er zog ihn zurück und lockte sie zu sich.
Je näher sie kam, desto deutlicher roch sie ihn: das Blut, den Schmutz, den Schweiß und einen schwachen Geruch von Sperma. Dann erbarmte er sich und gab ihr den Knochen, den sie gierig ausschleckte. Währenddessen legte er ihr die Hand auf die Schulter und streichelte ihr über den Körper. Sie versuchte nicht zurückzuzucken, als er ihre kleinen Brüste berührte und an den Brustwarzen zog. Doch als er ihr mit den tastenden Fingern zwischen die Beine griff, stieß sie einen leisen Schrei aus. Er zog die Hand zurück und roch ihren Geruch. Dann gelangte er offensichtlich zu dem Schluss, dass sie ihm nichts zu bieten hatte und zog grunzend weiter.
Aber das Mark hatte er ihr dagelassen. Gierig schlang sie es hinunter und verspeiste den größten Teil, ehe der Knochen ihr von einer alten Frau entrissen wurde.
Das Licht verschwand schnell vom Himmel. In der Savanne erwachten die Räuber zum Leben und markierten ihr blutiges Reich mit Gebrüll.
Die Leute versammelten sich auf der Felseninsel. Hier an diesem unwirtlichen Ort sollten sie eigentlich sicher sein: Ein lüsterner Räuber würde sich aus der Deckung wagen und hier heraufklettern müssen, wo er intelligenten, großen und bewaffneten Hominiden gegenüberstand. Doch eine Garantie gab es nicht. Hier in der Gegend gab es einen Säbelzahntiger namens dinofelis, der wie ein übergroßer Jaguar aus dem Hinterhalt jagte und sich aufs Töten von Hominiden spezialisiert hatte. Dinofelis vermochte sogar auf Bäume zu klettern.
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