Da rührte sich nichts im Gestrüpp – doch als er es fast schon erreicht hatte, stob plötzlich ein Schemen auf und floh vor ihm. Ganz kurz sah er einen fahlen Leib mit braunen, langen Gliedmaßen. Ein Fuchs? Aber es war groß, größer als alles, was er bisher gesehen hatte. Dann sah er das Wesen zu Boden stürzen.
Ohne zu zögern rannte er darauf zu, stellte ihm den Stiefel auf den Rücken und zielte mit dem Bogen auf seinen Kopf. Das Tier rollte sich herum. Es schrie wie eine Katze und schlug die Hände vors Gesicht.
… Er senkte den Bogen. Hände. Es hatte Hände wie ein Mensch oder wie ein Affe.
Das Herz schlug ihm bis zum Hals, und er ließ den Bogen fallen. Er kniete sich über das Tier, klemmte den Körper zwischen den Beinen ein und packte es an den Handgelenken. Es war dünn und geschmeidig, aber auch sehr kräftig: Er musste seine ganze Kraft aufbieten, um ihm die Hände vom Gesicht wegzuziehen. Das Tier spie und zischte ihn an.
Aber sein Gesicht – nein, ihr Gesicht – war nicht das eines Menschenaffen oder Affen. Es war ganz eindeutig ein menschliches Gesicht.
Für eine Weile saß Snowy verblüfft auf dem Mädchen.
Es war nackt. Der Körper war mit einem flaumigen Pelz aus orangebraunen Haaren bewachsen. Das dunklere Haupthaar war ein Gewirr aus schmutzigen Locken, die so aussahen, als seien sie noch nie geschnitten worden. Es war nicht groß, aber es hatte Brüste, hängende kleine Beutel mit harten Warzen, die aus der Behaarung stachen. Und unter dem dunklen Schamhaar-Dreieck war eine Schmiere, bei der es sich vielleicht um Menstruationsblut handelte. Und es hatte Schwangerschaftsstreifen.
Und nicht nur das, dieses Weibchen stank auch noch wie ein nasser Fuchs.
Aber es war nicht das Gesicht eines Affen. Die Nase war zwar klein, aber vorspringend. Es hatte einen kleinen Mund und ein spitzes Kinn mit einem Grübchen. Die Stirn über den blauen Augen war glatt. Sie war höchstens etwas niedriger als seine.
Trotz des haarigen Körpers wirkte sie menschlich. Aber der Blick war – umwölkt, furchtsam und verwirrt.
Er hatte einen Frosch im Hals. »Sprichst du Englisch?«, fragte er sie.
Die Frau kreischte auf und schlug um sich.
Und plötzlich hatte Snowy eine prächtige Erektion. Verdammte Scheiße, sagte er sich. Schnell rollte er sich von ihr herunter und griff nach Bogen und Messer.
Die Frau vermochte nicht aufzustehen. Mit dem rechten Fuß hatte sie sich in seiner Schlinge verfangen. Sie kroch über den feuchten Boden und bedeckte den Fuß. Dann wiegte sie sich mit einem leisen Singsang. Sie hatte offensichtlich eine Heidenangst.
Snowys Anflug von Lust war verflogen. Nun sah sie doch aus wie ein Schimpanse mit ihren Gesten und der kreatürlichen Angst, obwohl ihr Körper sich wie der einer Frau unter ihm angefühlt hatte (Clara, verzeih mir, aber es ist schon so lang her…). Die Kotspuren an den Beinen, und die Urinpfütze an der Stelle, wo sie gelegen hatte, stießen ihn nur noch mehr ab.
Er kramte in einer Tasche der Fliegerkombi und holte den Rest des Rationspäckchens heraus. Es enthielt noch eine Handvoll Nüsse, einen Rest Dosenfleisch und ein Stück getrocknete Banane. Er entnahm die Banane und ein paar Nüsse und hielt sie ihr hin.
Sie schreckte so weit zurück, wie die Schnur der Schlinge es zuließ.
Er versuchte ihr die Sache schmackhaft zu machen, steckte sich selbst ein paar Nüsse in den Mund und kaute sie mit gespielter Verzückung und übertrieben genießerisch. »Gut. Sehr gut.«
Aber sie nahm ihm die Nahrung trotzdem nicht aus der Hand. Ein Reh oder Kaninchen würde das freilich auch nicht tun, sagte er sich. Also legte er die Sachen zwischen ihnen auf den Boden und zog sich zurück.
Sie schnappte sich ein paar Nüsse und stopfte sie in den Mund. Und die Bananen kaute sie, als ob sie den Geschmack bis zur Neige auskosten wollte, ehe sie sie schließlich hinunterschluckte. Wahrscheinlich hatte sie noch nie etwas so Süßes gegessen, sagte er sich.
Oder vielleicht war sie auch nur kurz vorm Verhungern. Er hatte die Falle schon vor ein paar Tagen ausgelegt; sie lag wahrscheinlich schon seit achtundvierzig Stunden hier. Die Fäkalien und die verfilzte, verschmutzte Beinbehaarung waren auch ein Indiz dafür.
Während sie aß, untersuchte er den Fuß, der sich in der Schlinge verfangen hatte. Es waren eine einfache Schleifen-Schlinge, in der Kaninchen und Hasen sich mit dem Kopf verfangen sollten. Beim Versuch, sich zu befreien, hatte die Schlinge sich noch enger zugezogen – was an sich auch beabsichtigt war –, sodass sie tief ins Bein eingeschnitten und eine böse, blutige Wunde verursacht hatte. Er glaubte sogar, das Weiße des Knochens zu sehen.
Was nun? Er konnte sie betäuben und zum Basislager zurückbringen. Doch war sie kein Beutetier wie ein Kaninchen oder Hase – sie war auch kein wissenschaftlich interessantes Exemplar wie der große, fast flugunfähige Sittich, den Sidewise erbeutet hatte, als er am Ufer eines stillen Teichs umhergestakst war. Dies war ein Mensch, wie auch immer er aussah. Und dann erinnerte er sich wieder an diese Schwangerschaftsstreifen, die ihm sagten, dass sie mindestens ein Kind hatte, das irgendwo auf sie wartete.
»Bin ich tausend verdammte Jahre weit gereist, nur um dein Leben zu ruinieren, wie ich meins ruiniert habe? Das glaube ich, verdammt noch mal, nicht«, murmelte er. »Ich bitte um Entschuldigung.« Und dann sprang er auf sie.
Es geriet wieder zu einem Ringkampf. Er drückte sie auf den Boden, sodass sie mit dem Gesicht nach unten lag und die Arme unter ihr eingeklemmt waren. Dann setzte er sich auf ihren Rücken, durchtrennte mit dem Schweizer Messer die Schlinge und zog sie aus der blutigen Wunde, in die sie so tief eingeschnitten hatte. Nun griff er auf seine wertvollen Vorräte zurück und befreite die Wunde mit einer antiseptischen Flüssigkeit von Schmutz, geronnenem Blut und Eiter, wobei er sogar noch Haare herausziehen musste. Zum Schluss behandelte er sie noch mit einer medizinischen Dichtmasse und Salbe. Vielleicht würde sie das Zeug solang drauflassen, bis die Wunde desinfiziert war.
In dem Moment, wo er sie losließ, war sie auch schon weg. Er sah nur noch eine aufrechte, schlanke Gestalt durchs hohe Gras auf die Bäume zuhuschen; obwohl sie humpelte, war sie immer noch verdammt schnell.
Es war schon später Nachmittag. In der Dunkelheit sollten sie sich nicht allein von der Basis entfernen: Das hatte Ahmed ihnen ausdrücklich befohlen. Am liebsten wäre er der Frau in die grünen Mysterien des Waldes gefolgt. Aber er wusste, dass er das nicht tun durfte. Bedauernd sammelte er seine Ausrüstung zusammen und machte sich auf den Rückweg zum Basislager.
Snowy war der Letzte, der an jenem Abend wieder zur Gruppe stieß.
Sie hatten beschlossen, sich in der Nähe eines Sees niederzulassen, der ein paar Kilometer von der zerstörten Stadt entfernt war. Der Ort lag im Windschatten eines gedrungenen, kegelförmigen Hügels – er war offensichtlich künstlichen Ursprungs, vielleicht ein Hügelgrab aus der Eisenzeit oder vielleicht auch nur eine Müllkippe.
Ahmed versammelte sie um den Stumpf eines umgestürzten Baums, auf dem er fast wie ein König thronte. Snowy wollte den anderen von seiner aufregenden Begegnung erzählen. Aber sie waren nicht in der richtigen Stimmung dafür. Also setzte er sich nur hin.
Moon hatte sich im Verlauf der Zeit immer mehr in sich zurückgezogen; nun saß sie Ahmed im Schneidersitz gegenüber und hatte den Blick abgewandt. Dennoch stand sie wie immer im Mittelpunkt und war das Objekt stiller Begierde. Sidewise markierte wieder den geistesabwesenden Träumer, aber er saß Moon gegenüber, und Snowy sah, wie sein Blick über ihre Hüften und die Wade streifte, die überm Stiefel hervorblitzte. Ahmed selbst saß in erhöhter Position neben dem Mädchen auf dem Baumstumpf, als ob sie ihm gehörte.
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