»Oh, du bist gütig und groß, Feuergott der Marranen!« riefen Torm und seine Räte.
Im Tal der Marranen begann nun ein großes Bauen. Die ganze Last der Arbeit hatte natürlich das einfache Volk zu tragen. Die Adligen taten nichts, als die Maurer und Zimmerleute anzutreiben, die Urfin angelernt hatte und die mit kurzen Eßpausen von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang arbeiteten. Mit Wehmut gedachten die Arbeiter der fröhlichen Boxkämpfe, der schönen Lauf- und Springwettbewerbe, und manchem dünkte es, daß das Erscheinen des Feuergottes vielleicht gar nicht so erfreulich sei, wie es ihnen anfangs geschienen hatte. Aber aus Furcht wagte niemand, bei solchen Gedanken länger zu verweilen.
Der Umzug Torms, Wenks, Grems und der anderen Würdenträger in die neuen Häuser vollzog sich mit großem Pomp. Das Volk, das sich vor den mit Glimmer bespannten Fenstern drängte, sah die Silhouetten der Zecher und hörte ihre trunkenen Stimmen (Urfin hatte die Marranen gelehrt, aus Weizenkorn ein berauschendes Getränk zu bereiten).
Die vornehmen Marranen waren von Urfin ganz eingenommen. Selbst wenn sie jetzt darauf gekommen wären, daß Urfin ein ganz gewöhnlicher Mensch war, der sich nur als Gott aufspielte, würden sie ihm trotzdem überallhin folgen, und sei es bis ans Ende der Welt. Sie erinnerten sich nur ungern an die alte Zeit, da sie in Hütten lebten wie das gemeine Volk und sich wie dieses von Brei und Salzenten ernährten.
Bei den Aristokraten hatten sich seit alters viele Edelsteine angesammelt: Amethyste, Rubine und Smaragde. Schon früher pflegten sie einen bescheidenen Handel mit den Schwätzern zu führen, bei denen sie gegen Edelsteine die allernotwendigsten Waren eintauschten. Jetzt blühte dieser Handel auf, der sich ungefähr so abwickelte:
Die Marranen bestiegen den Berg, der dem Besitztum Stellas zugewandt war, gestikulierten und schrien so lange, bis sie die Aufmerksamkeit der Schwätzer auf sich lenkten. Dann kamen diese herbei, bewunderten die Edelsteine und boten für sie Hühner und Hammel, Milch und Butter, Obst, Stoffe und schöne Möbel an.
Als Torrn einen geschnitzten Tisch mit den dazugehörigen Stühlen erwarb, die genauso aussahen wie die im Palast des Gottes, begann er die Wahrheit zu ahnen, doch er sagte niemandem ein Wort davon.
Natürlich waren die Häuser, die die einfachen Leute für sich bauten, nicht aus Stein. Wie sollte ihnen auch der Sinn danach stehen, wo sie für die Stammesältesten so schwer arbeiten mußten. Als die Häuser fertig waren, begannen die Marranen, die Saatflächen auszudehnen. Für das Brotbacken und die sich schnell entwickelnde Weinbrennerei brauchten sie jetzt viel mehr Getreide als früher. Zum Heizen der Öfen in den Häusern der Aristokraten war Holz notwendig, und jeden Morgen zog ein Trupp Marranen in den Wald und kehrte abends, mit schweren Holzbündeln beladen, zurück. Früher hatte das einfache Volk viel leichter gelebt.
Es vergingen drei Monate, als neue Lasten die Untertanen des Fürsten Torrn zu drücken begannen.
Die Adligen, die miteinander wetteiferten, wer sein Haus prunkvoller einrichte, hatten die von ihren Vorfahren ererbten Kostbarkeiten verschwendet und besaßen jetzt nichts, wofür sie schöne Teppiche, teure Möbel und elegante Kleider hätten kaufen können. Also befahlen sie den armen Leuten, neue Smaragde und Diamanten für sie zu beschaffen.
Die Edelsteinvorkommen an der Erdoberfläche waren aber versiegt, und deshalb mußte man Gruben bauen. Damit diese nicht einstürzten, mußte man sie mit Stützen versehen, für die das Holz aus dem fernen Wald herbeigeschafft wurde.
Damit die Bergleute die gefundenen Schätze nicht verheimlichten, ließen die Reichen sie von Aufsehern überwachen, und damit diese ihre Pflichten redlich erfüllten, wurden ihnen hohe Gehälter ausgesetzt, was wiederum auf Kosten der armen Leute ging.
Der weise Karfax beobachtete diese unerfreulichen Zustände mit Entrüstung. Er selbst hatte es nicht schlecht im Land der Marranen. In den Bergen gab es genügend Ziegen und auf dem See viele Enten, die gleichfalls gut schmeckten.
Aber angesichts der Ungerechtigkeit im Lande wurde er immer trauriger. An den Abenden stellte er Urfin oft zur Rede:
»Sag, wo ist das Glück, das du diesem armen Volk versprochen hast?«
Urfin erwiderte mit gespielter Begeisterung:
»Schau doch, wie Fürst Torrn lebt und wie gut es Wenk, Grem und den anderen geht!«
»Solcher Leute gibt es nur wenige in diesem Land«, entgegnete Karfax, »die Mehrheit aber lebt viel schlechter als früher.«
»Es geht doch nicht alles auf einmal!« wehrte Urfin ab. »Die anderen werden später an die Reihe kommen.«
»Ich glaube dir immer weniger«, sagte der edle Vogel traurig. »Der Fürst und seine Räte leben in Saus und Braus, weil Tausende Menschen für sie arbeiten.«
Um mit dem Adler nicht zu streiten, mied Urfin ihn jetzt. Im Land der Marranen aber ging alles weiter nach den Plänen des schlauen und ehrgeizigen Schwindlers.


DER SCHEUCH ALS INGENIEUR
Nach dem dritten Abschied von Elli kehrte der Scheuch verstimmt in die Smaragdenstadt zurück. Der Titel eines Dreimalweisen, auf den er früher so stolz war, machte ihm keine Freude mehr, die Berichte über die guten Getreide- und Obsternten ließen ihn gleichgültig und die von Lan Pirot, dem ehemaligen General der Holzarmee und heutigen Tanzlehrer, veranstalteten Vergnügungen erheiterten ihn nicht.
Beim Abschied von Elli hatte der Scheuch seine feste Überzeugung ausgesprochen, das Mädchen werde in das Zauberland zurückkehren. Jetzt fühlte er aber, daß es eine Trennung für ewig sei, und das bedrückte ihn sehr. Darüber hinaus hatte es der Eiserne Holzfäller jetzt sehr eilig mit seiner Heimkehr, denn er verspürte heftige Sehnsucht nach dem Violetten Land.
»Bleib wenigstens noch einen Monat bei mir!« bat der Scheuch. »Laß uns über die Vergangenheit sprechen, uns daran erinnern, wie wir mit dem Menschenfresser gekämpft und den Löwen und Elli aus dem giftigen Mohnfeld hinausgetragen haben…«
»Ich kann einfach nicht länger bleiben, glaub mir!« erwiderte der Eiserne Holzfäller, auf und ab gehend und mit Besorgnis horchend, ob das Herz in seiner Brust noch schlage. »Du weißt, daß das Leben im unterirdischen Land meine Gesundheit untergraben hat. Auch werden wir beide alt, lieber Freund, wir werden alt! Ich muß mich schon wieder an den Arzt wenden.«
Die Behandlung des Holzfällers bestand darin, daß ein geschickter Handwerker den Flicken an dessen eiserner Brust lüpfte, das seidene Herz mit frischen Sägespänen nachfüllte und den Flicken wieder zulötete, worauf das Herz erneut kräftig zu schlagen begann. Dann wurden die Gelenke des Eisernen Mannes geölt und der ganze Körper aufpoliert.
Der Eiserne Holzfäller ging. Aber in der Smaragdenstadt verblieben die anderen Gäste des Scheuchs, nämlich der Tapfere Löwe und Krähe Kaggi-Karr. Die drei Freunde sprachen stundenlang über ihre gemeinsamen Erlebnisse, erinnerten sich an die vergangenen Tage, verurteilten das Verhalten des tückischen Urfin Juice und freuten sich für die unterirdischen Könige, die der weise Scheuch in arbeitsfreudige Handwerker verwandelt hatte.
Dann zog auch der Löwe fort, weil er seine Löwin und die Löwenjungen nicht länger vermissen konnte. Jetzt war nur noch Kaggi-Karr da, und der arme Scheuch verging fast vor Langeweile. Er hätte sich gerne öfter mit Faramant, dem Hüter des Tores, und mit dem langbärtigen Soldaten Din Gior getroffen, aber die waren jetzt zur Ausübung ihrer Pflichten zurückgekehrt.
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