›Wer mag wohl meine dreisten Worte gehört haben? Hat vielleicht die Ratte, die in den Abfällen vor meiner Hütte wühlte, sie dem Großen Urfin hinterbracht?‹
Die vermeintliche Ratte war in Wirklichkeit der Spion Eot Ling, der im Kaninchenfellkleid überall herumschnüffelte.
Urfin fühlte, daß die Empörung des Volkes sich bald in einem Aufruhr entladen würde, den die drei Dutzend Polizisten, die Fürst Torrn aus den Reihen verläßlicher Untertanen rekrutiert hatte, nicht würden unterdrücken können.
»Es ist höchste Zeit, die erbitterten Marranen über die blühenden Stätten der Zwinkerer und Käuer herfallen zu lassen!« entschied Urfin. »Durch Hunger und Wut aufgestachelt, werden sie sich wie eine Lawine über das Zauberland wälzen und alles zerstören!«
Eot Ling billigte den Beschluß seines Herrn.

»Wenn wir länger zaudern, kann ein Aufstand ausbrechen«, sagte der Clown. »Ich habe schon in vielen Hütten Knüppel unter dem Stroh versteckt gesehen.«
»Diese Knüppel sollen jetzt auf die Köpfe der Untertanen des Scheuchs und des Eisernen Holzfällers niederprasseln«, sagte Urfin grimmig.
Am folgenden Tag versammelten sich auf Befehl des Feuergottes alle Einwohner des Marranenlandes auf einer großen Wiese am See. In den ersten Reihen standen die kräftigen Männer, hinter ihnen drängten sich Greise, Frauen und Kinder. Urfin bestieg einen großen Stein, den der Bär herbeigewälzt hatte. Im roten Mantel, den roten Federhut auf dem Kopf, sah er im funkelnden Sonnenlicht wie ein echter Feuergott aus.
Urfin erhob die Hand und alles verstummte.
»Meine geliebten Marranen!« begann er. »Ich weiß, daß viele von euch schlecht leben und mir die Schuld dafür geben…« Die Männer senkten die Köpfe, während Urfin fortfuhr. »Eure Herzen liegen offen vor mir, ich sehe genau, was in ihnen vorgeht. Sag, Bois, und du, Hart, und du, Klem, gegen wen wollt ihr die Knüppel erheben, die ihr in euren Hütten versteckt habt?«

Auf den Stirnen der Männer, die Juice genannt hatte, röteten sich die senkrechten Furchen, die Male ihrer ehemaligen Unfreiheit. Die Polizisten wollten sich auf sie stürzen, um sie ins Gefängnis zu schleppen, aber eine gebieterische Handbewegung Urfins hielt sie zurück.
»Halt!« rief er. »Ich verzeihe ihnen, weil sie aus Unvernunft handelten. Marranen, meine geliebten Kinder! Ja, ihr habt es schwer. Aber wer ist daran schuld? Vielleicht euer guter Fürst Torrn und seine edlen Räte? O nein! Sie möchten euch alle Wohltaten des Lebens geben, aber sie können es nicht, und schuld daran ist das Schicksal! Ja, das Schicksal!« wiederholte Urfin mit markiger Stimme. »Seht euch doch um!«
Mit einer weit ausholenden Armbewegung wies er ringsum, und die Marranen schauten auf ihre Ebene, als sähen sie sie zum erstenmal.
»Diese enge und kümmerliche Landschaft hat viele Steine und Auf den Stirnen der Männer, die Juice genannt hatte, röteten sich die senkrechten Furchen, die Male ihrer ehemaligen Unfreiheit. Die Polizisten wollten sich auf sie stürzen, um sie ins Gefängnis zu schleppen, aber eine gebieterische Handbewegung Urfins hielt sie zurück. sehr wenig fruchtbare Erde! Hier gibt es nicht einmal die herrlichen Obstbäume, die im übrigen Teil des Landes in Überfluß vorhanden sind. Hier gibt es keine Wiesen, auf denen man fette Schafe und Milchkühe züchten könnte. Und jetzt schaut einmal nach dem Norden und dem Westen!«
Die Blicke der Zuhörer folgten den Bewegungen seiner Hand.
»Würden euch die Berge nicht die Sicht nehmen, ihr würdet dort fruchtbare Ebenen mit Obsthainen und blühenden Feldern und vielen warmen und behaglichen Häusern sehen. Dorthin will ich euch führen, meine Kinder, dort werdet ihr alle Lebensgüter in Überfluß vorfinden! Euer Glück liegt hinter den Bergen!«
Ein Jubel brach unter den Zuhörern aus.
»Führe uns, Vater!« riefen die erregten Marranen, und am lautesten schrien diejenigen, die mit dem Mal der Unfreiheit gezeichnet waren. »Führe uns, großer Gott!«
Urfin stellte mit einer Handbewegung die Ruhe wieder her.
»Dort leben schwache, verzärtelte Wesen, die von Schlagen und Raufen nichts verstehen…«
»Wir werden’s ihnen schon beibringen!« brüllte der bärenstarke Bois, der in seiner Hütte einen Knüppel versteckt hatte. »Wir werden es diesen Waschlappen zeigen, ha-ha-ha!«
Ein Chor kriegerischer Stimmen unterstützte ihn.
So lenkte Urfin den Zorn des Volkes gegen die völlig unschuldigen Zwinkerer und Käuer.
Nach der Versammlung begann Urfin, Befehle zu erteilen. Er ernannte Bois, Klem, Hart und andere Raufbolde, alles kräftige Kerle und Draufgänger, zu Führern der Hundertschaften, die er aufstellen wollte.
»Nehmt in eure Hundertschaften nur junge kräftige Burschen auf. Altes Gerümpel brauchen wir nicht, mag es zu Hause bleiben und sich auf den Empfang der Kriegsbeute vorbereiten.«
An jenem Morgen hatte sich Karfax auf die Jagd in die Berge begeben. Zurückgekehrt gewahrte er mit Staunen die ungewöhnliche Geschäftigkeit. Auf den Straßen marschierten Trupps. Auf festgestampften Plätzen exerzierten Marranen mit Knüppeln. Überall waren kriegerische Stimmen zu hören.
»Was ist los?« fragte der verwunderte Adler.
»Die Marranen wollen gegen die Zwinkerer und Käuer in den Krieg ziehen, und ich kann sie, auf Ehr und Gewissen, nicht davon abhalten«, erwiderte Urfin unverfroren. »Die Ärmsten leben ja so schlecht in ihrem Jammertal!«
»O du Nichtswürdiger!« rief Karfax. »Du hast sie dazu aufgestachelt, weil du die Früchte eines Eroberungskrieges einheimsen willst!«
Mit weit aufgesperrtem Schnabel bewegte sich der riesige Vogel auf Urfin zu. Dieser aber entblößte seine Brust und sagte:
»Da, töte mich, wenn du kannst!«
Karfax wich zurück.
»Schurke!« rief er. »Du weißt, daß ich meinem Retter kein Leid zufügen kann. Das hast du schon immer gewußt, Elender! Hast hinter meinem Rücken Ränke geschmiedet, und ich habe dir dabei sogar geholfen. O ich Unglücklicher! Ich war ein nichtswürdiges Werkzeug in den Händen eines Schurken! Aber ich will meine Sünde durch den Tod büßen. Nur merke dir, Urfin! Du wirst kein gutes Ende nehmen, das sage ich dir in der Stunde der Voraussicht, die uns Riesenadler manchmal erleuchtet!«
Nach dieser Prophezeiung schwang sich Karfax in die Lüfte und flog in Richtung des Adlertals seinem Schicksal entgegen. Er wußte, daß Arraches, sein ärgster Feind, ihn töten würde. Aber er wollte nicht länger bei Urfin bleiben, damit niemand denke, daß er die tückischen Pläne des Bösewichts gutheiße.
Urfins Armee bestand aus 20 Kompanien, jede 100 Mann stark. Juice dachte, daß 2000 Soldaten für die Eroberung des Violetten und des Blauen Landes sowie der Smaragdeninsel ausreichen würden. Um die Mittagszeit setzte sich die Armee in Marsch. Bis zu den Bergen gab ihr die Bevölkerung des Tals das Geleit. Jeder Soldat trug eine Schleuder mit Steinen als Munition, einen dicken Knüppel und einen Ranzen mit Proviant.
Als die Marranen vom Berg hinabstiegen, kostete es die Obersten große Mühe, die Marschordnung aufrechtzuerhalten. Immer wieder gerieten die Kolonnen in Unordnung, weil bald ein Soldat, bald ein anderer aus der Reihe lief, um nach einem Schmetterling oder einem Vogel zu haschen oder ein Blümchen zu bestaunen, – das alles gab es nämlich in ihrer Heimat nicht.
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