Als die Armee sich dem Schloß des Eisernen Holzfällers auf einige Meilen genähert hatte, befahl Urfin zu halten, während er selbst mit etwa zwei Dutzend Aufklärern, dem Bären und dem Clown weiter vorstieß.
Die Kundschafter bewegten sich sehr vorsichtig. Sie krochen auf dem Bauch und horchten nach allen Seiten. Als ein verdächtiges Geräusch an ihr Ohr drang, legte sich Urfin auf die Erde und machte den Soldaten und dem Bären ein Zeichen, dasselbe zu tun. Nur Eot Ling, der in seinem Kaninchenfellkleid von der grauen Erde nicht zu unterscheiden war, pirschte sich weiter vor.
Nach wenigen Minuten kam er zurück und sagte leise:
»Ich habe den Eisernen Holzfäller gesehen. Er rodet Wurzeln.«
Das Wurzelroden war die Lieblingsbeschäftigung des eisernen Mannes. Sie erinnerte ihn an die Vergangenheit, da er noch ein Mensch war wie jeder andere und im Walde arbeitete, denn er wollte sich ein Heim bauen und das Mädchen heiraten, das er liebte. Das Mädchen hatte aber eine böse Tante, die sich bei der Hexe Gingema lieb Kind machte und sie anstiftete, die Axt des Holzfällers zu verzaubern. Die Axt hieb dem Ärmsten zuerst die Beine ab, dann die Arme und zuletzt auch den Kopf. Ein geschickter Schmied machte dem Mann neue Beine und Arme und einen Kopf aus Eisen, nur ein Herz konnte er für ihn nicht anfertigen. Das bekam der Holzfäller später vom Zauberer Goodwin und war damit sehr zufrieden.
Das Wurzelroden brachte auch großen Nutzen, denn der Holzfäller übergab die gesäuberten Felder den Zwinkerern, die auf ihnen Weizen säten. Nicht umsonst waren diese so stolz auf den eisernen Mann und liebten ihn wie einen Vater, war er doch der einzige Herrscher auf der Welt, der für seine Untertanen arbeitete.
Urfin fragte den Clown:
»Ist er allein?«
»Ja.«
»Und wo ist seine schreckliche Axt?«
»Sie liegt zwanzig Schritt weit von ihm.«
»Oh, dann ist er in unserer Hand!« frohlockte Urfin.
Er befahl den Marranen, den Holzfäller einzukreisen und sich von allen Seiten auf ihn zu stürzen. Der Bär sollte indessen auf die Axt zulaufen und sie mit seinem schweren Leib bedecken. Der Holzfäller, sagte er, dürfe auf keinen Fall die Axt in seine Hand bekommen, andernfalls könnte er mit seiner gewaltigen Kraft die Angreifer zurückschlagen, wie zahlreich sie auch sein mochten.
Nichtsahnend drückte der eiserne Mann auf seinen dicken Knüppel, den er unter eine Wurzel geschoben hatte, während in seinem Kopf freudige Gedanken umgingen. Er hatte vor kurzem die Nachricht erhalten, daß der Scheuch und die Krähe Kaggi-Karr ihn demnächst besuchen wollten, und jetzt schwelgte er im Vorgefühl der Gespräche über die Vergangenheit, die sie führen würden.
Mit einemmal veränderte sich das friedliche Bild: Hinter Wurzeln und kleinen Erdhügeln sprangen grimmige Gestalten hervor, die sich brüllend auf den Holzfäller stürzten. Der Mann war so überrascht, daß er nicht einmal den Knüppel ergriff, der in seinen Händen eine furchtbare Waffe sein konnte.
›Die Axt, nur die Axt kann mich retten!‹ schoß es dem Holzfäller durch den Kopf. Er schüttelte die Angreifer ab und machte ein paar Sätze auf die Axt zu, die in diesem Augenblick unter dem mächtigen Leib des Bären verschwand.
Marranen hingen am Rücken des Holzfällers und umklammerten seine Arme und Beine. Urfin hatte für seinen Kundschaftertrupp die kräftigsten und flinksten Soldaten ausgesucht. Der Kampf dauerte nicht lange. Bald lag der eiserne Mann gefesselt auf dem Boden. Es fehlte nicht viel, daß Tränen ohnmächtiger Wut aus seinen Augen rannen, aber zum Glück fiel ihm rechtzeitig ein, daß er dann verrosten und niemand sich finden würde, ihm die Glieder einzuölen.
Mit der ganzen Kraft seines Willens drängte der Holzfäller die Tränen zurück und hob die Augen. Vor ihm stand, den Mund zu einem höhnischen Grinsen verzogen, Urfin Juice.
»Ihr… Ihr seid es!« entfuhr es dem Holzfäller. »Wie ist das möglich? Der Scheuch hat doch gesagt, Ihr lebt zurückgezogen in Eurem Haus im Blauen Land…«
»Woher wußte er das?« fragte Urfin argwöhnisch.

Der Holzfäller hätte sich beinahe versprochen und vom Zauberkasten erzählt, besann sich aber, daß er dieses Geheimnis dem Feind nicht verraten durfte. Übrigens half Urfin selbst ihm aus der Verlegenheit.
»Oh, ich verstehe! Das haben ihm natürlich die Käuer hinterbracht. Ja, ich habe dort lange Jahre gelebt, aber, wie Ihr seht, bin ich jetzt hier, und mir gehorchen nicht zweihundert steife Holzsoldaten, sondern Tausende kräftiger und flinker Springer!«
»Wie konntet Ihr nur die Macht über sie erringen?« fragte der Holzfäller. »Die haben doch niemals jemanden an sich herangelassen!«
»Bei mir haben sie eben eine Ausnahme gemacht«, prahlte Urfin. »Die wissen ja, wer ich bin. Aber zur Sache. Ich schlage Euch wieder vor: Wollt Ihr mein Statthalter im Violetten Lande werden und die Zwinkerer in meinem Namen regieren?«
Juice konnte sich natürlich einen anderen Statthalter nehmen, aber er wollte, daß ein so berühmter Mann wie der Eiserne Holzfäller ihm diene und seine Befehle ausführe.
Aber der Holzfäller erwiderte stolz: »Nein, niemals!«
»Ihr werdet es noch bereuen!« drohte Urfin. »Diesmal werde ich Euch nicht in den Turm sperren, sondern in einen finsteren Keller, wo Euch die Feuchtigkeit rasch den Garaus machen wird!«
Der Holzfäller erschauerte beim Gedanken an ein so schreckliches Ende, wiederholte aber mit fester Stimme:
»Nein, tausendmal nein!«
›Oh, würde der Scheuch doch einen Blick auf den Zauberkasten werfen!‹ wünschte er sich. ›Mir wird das freilich nicht mehr nützen, aber er selbst könnte sich retten!‹
Zum Glück flog gerade eine Meise vorbei. Als sie den Herrscher des Landes in einer so üblen Lage sah, stieg sie hinab und begann um den gefesselten Mann zu kreisen. Da rief der Holzfäller, so laut er konnte:
»Sag dem Scheuch in der Smaragdenstadt, er soll auf den Kasten gucken!«
›Er redet wirr vor Schreck‹, dachte Urfin.
Die Meise fuhr fort, ihre Kreise über dem Holzfäller zu ziehen, der ihr wieder und wieder zurief, der Scheuch sollte unbedingt auf den Kasten gucken, davon hinge sein Schicksal ab. Ärgerlich warf Urfin einen Stein nach dem Vogel, doch dieser wich geschickt aus und piepste im Davonfliegen:
»Hab verstanden! Der Scheuch soll auf den Kasten gucken, das ist sehr wichtig!«
Beruhigt legte sich der Holzfäller hin und verstummte.
Bald rückte das Gros der Truppe heran, und der Holzfäller sah, daß es eine schreckliche Streitmacht war. Nicht zu vergleichen mit den dummen Holzköpfen, die man mit einem einzigen Schuß aus der Holzkanone hatte ins Bockshorn jagen können!
Da der eiserne Mann sehr schwer war, zimmerte Urfin für ihn eine feste Trage, die vier Springer auf ihre Schultern nahmen. Die Armee setzte sich in Marsch zum Violetten Palast.
Natürlich war nicht zu erwarten, daß die Zwinkerer, ihres Führers beraubt, den Palast würden verteidigen können. Urfin nahm ihn ohne jeden Widerstand ein. Seinen siegestrunkenen Soldaten verbot er, den Palast zu betreten, weil er befürchtete, sie würden die Einrichtung demolieren. Die Kommandeure quartierte er in den Wirtschaftsbauten ein, und dem Feldgeistlichen, Krag, wies er den Eisenkäfig zu, in dem die Zauberin Bastinda einst den Löwen gefangengehalten hatte. Krag gefiel der Käfig, obwohl es ihm darin etwas zu eng war.
Die gemeinen Soldaten lagerten im Freien. Für die Nacht hüllten sie sich in die Decken, die sie den Zwinkerern entwendet hatten.
Der Eiserne Holzfäller wurde in einen tiefen Keller gesperrt. Dort lag er nun in einer feuchten Ecke und fragte sich verzweifelt:
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