Arbeit ist eine ganz famose Sache! Wer vernünftig und nutzbringend arbeitet, hat ein ausgefülltes und freudiges Leben, während Nichtstuer vor Langeweile vergehen und nicht wissen, wie sie die Zeit totschlagen sollen.
Von dieser unstrittigen Wahrheit überzeugte sich der Scheuch, als die großen Arbeiten am Kanal und im Park zu Ende waren. Jetzt wußte er wieder nicht, womit er seine langen Tage und nicht weniger langen Nächte ausfüllen sollte. Allerdings war noch das Kopfrechnen da, aber damit konnte er sich doch nicht 24 Stunden täglich beschäftigen.
In diesen für den Scheuch so schweren Tagen trat eine unerwartete Begebenheit ein, die viele Bürger in Schrecken versetzte: Südlich der Smaragdeninsel tauchte nämlich hoch in der Luft eine Schar Fliegender Affen auf.
Die Bürger hatten diese furchtbaren Tiere noch gut in Erinnerung. Mit ihnen hatte Goodwin, der Große und Schreckliche, gekämpft und eine Niederlage erlitten. Elli hatte sie in den Palast gerufen, als sie noch den goldenen Hut besaß, der ihr Macht über die Affen gab. Das Mädchen wünschte damals, daß die Affen sie in ihre Heimat, nach Kansas, flögen. Die Fliegenden Affen konnten aber das Wunderland nicht verlassen, denn das stand nicht in ihrer Macht.
Die Ungeheuer waren friedlich gestimmt. Sie gingen auf den Platz vor dem Palast nieder, und ihr Anführer, der ein Paket trug, bat um eine Unterredung mit dem Herrscher. Ein Höfling eilte mit der Meldung zum Scheuch, und dieser befahl, die Besucher sofort vorzulassen.
Der Anführer der Fliegenden Affen und der Strohmann waren alte Bekannte. Der Anführer hatte einst auf Bastindas Befehl den Scheuch zerfetzt, sein Stroh in den Wind gestreut und Kopf und Kleid auf den Gipfel eines hohen Berges geschleudert. Wozu aber alte Erinnerungen auffrischen? Jetzt hatten die beiden keinen Grund zur Fehde, um so mehr, als der Affenhäuptling mit einem angenehmen Auftrag gekommen war. Nach liebenswürdigen Verbeugungen beiderseits sagte der Anführer der Affen:
»Eure Majestät, Dreimalweiser Herrscher der Smaragdeninsel! Ich habe die hohe Ehre, Euch ein Geschenk von unserer gemeinsamen Bekannten zu überbringen, der mächtigen Fee Stella, der Herrscherin des Rosa Landes. Sie hat von Eurer schlechten Stimmung erfahren und übersendet Euch dieses Ding zur Zerstreuung.«
Bei diesen Worten packte der Affe vorsichtig das Paket aus, und zum Vorschein kam ein schöner Kasten aus rosa Holz, dessen Vorderwand aus dickem Mattglas bestand.
»Woher weiß denn Frau Stella von meiner üblen Laune?« fragte der Scheuch verwundert.
»Das hat ihr dieser Kasten verraten«, antwortete der Affenhäuptling, neigte sich zum Scheuch hinab und flüsterte ihm ins Ohr, damit die Höflinge es nicht hörten: »Ihr braucht nur die Zauberworte zu sagen: ›Birelija-turelija, buridakl-furidakl, es röte sich der Himmel, es grüne das Gras – Kasten, Kästchen, zeig mir bitte dies und das…‹ Dann wird der Kasten Euch zeigen, was Ihr zu sehen wünscht. Falls Ihr aber die Worte nicht in der richtigen Reihenfolge sprecht oder auch nur einen Buchstaben verwechselt, bleibt die Beschwörung wirkungslos. Habt Ihr Euch satt gesehen, so saget: ›Kästchen, mach Schluß, es war mir ein Genuß!‹«
Der Affenhäuptling ließ den Scheuch die Beschwörung so lange wiederholen, bis er sie auswendig kannte.
Dann sprach der Scheuch die Zauberworte und bat:
»Kasten, Kästchen, sei so lieb, zeige mir die Fee Elli!«
Die Mattscheibe blieb jedoch finster.
»Das geht nicht«, lachte der Anführer. »Auch ich würde gern die Fee Elli sehen, aber der Zauber wirkt nur in den Grenzen unseres Landes.«
Da bat der Scheuch den Kasten, ihm den Eisernen Holzfäller zu zeigen. Und siehe, der Bildschirm begann zu leuchten und zeigte den Holzfäller! Der gute Mann befand sich wieder einmal in Behandlung. Er stand mit erhobenen Armen da, während ein Meister den Flicken an seiner Brust zulötete. Als es soweit war, machte der Holzfäller ein paar Schritte im Zimmer. Die Figuren waren zwar klein, aber sehr deutlich. Mehr noch: Aus dem Kasten drang sogar die Stimme des Holzfällers, die zwar leise, aber gut zu verstehen war. Er sagte:
»Ich danke Euch, Freund Lestar, mein Herz schlägt wieder in der Brust, und wieder erfüllen es Liebe und Zärtlichkeit.«
Der Scheuch hüpfte vor Begeisterung.
»Das ist ja ein famoses Mittel gegen die Langeweile!« rief er und wünschte sogleich, den Löwen zu sehen.
Sein Wunsch ging prompt in Erfüllung. Der Löwe lag, wahrscheinlich nach einem ausgiebigen Frühstück, in einer geräumigen Höhle, neben ihm die Löwin und die Löwenjungen.

»O Wunder, o Wunder!« rief der entzückte Scheuch und befahl, man solle die Abgesandten Stellas mit den schönsten Früchten seines Gartens bewirten. Dann bat er den Anführer des Rudels, er möge Frau Stella seinen allerherzlichsten Dank ausrichten.
Beim Abschied sagte der Anführer leise zum Scheuch:
»Frau Stella hat mir aufgetragen, Euch vor Urfin Juice zu warnen. Ihr sollt aufpassen, was er treibt.«
Zu jener Zeit lebte Urfin noch griesgrämig in der Verbannung, aber Stella, die die Gabe der Voraussicht besaß, wußte, daß man von ihm die schlimmsten Überraschungen zu gewärtigen habe.
Der Scheuch war über die Warnung der guten Fee beunruhigt. Kaum hatten die Affen die Smaragdeninsel verlassen, sprach er die Beschwörung und bat:
»Kasten, Kästchen, bitte zeig mir Urfin Juice!«
Da zeigten sich auch schon auf der Mattscheibe das ferne westliche Land, das trostlose Haus Urfins und dieser selbst, wie er verdrossen in seinem Garten grub. Vor dem Haus saß Meister Petz und zankte sich mit dem Holzclown. An diesem Bild gab es jedoch nichts Verdächtiges, und der Scheuch schaltete um.
Tagelang saß er nun vor dem Zauberkasten. Stellas Warnung beherzigend, beobachtete er von Zeit zu Zeit, was Urfin trieb. Es gab jedoch keinen Grund zur Beunruhigung. Einmal sah er Urfin im Garten graben, ein andermal ein gebratenes Kaninchen essen oder Spazierengehen.
›Ich kann nicht begreifen, welche Gefahr mir von diesem Ausgestoßenen drohen soll‹, brummte der Scheuch.
Mehrere Monate lang war er von seinem Zauberkasten wie berauscht, doch dann verlor er die Lust daran und schaltete ihn immer seltener ein. Er war von dem Kasten enttäuscht, und in diesem Gefühl bestärkte ihn noch die Krähe Kaggi-Karr:
»Ist dir das Ding noch nicht zuwider?« fragte sie. »Schön, du hast den Eisernen Holzfäller gesehen und den Löwen! Und was weiter? Kannst du sie vielleicht umarmen? Kannst du mit ihnen sprechen? Na, siehst du! Da ist es doch besser, wir statten dem Violetten Palast mal wieder einen Besuch ab.«
Zweimal im Jahr pflegten der Scheuch und der Holzfäller einander zu besuchen und längere Zeit beisammen zu sein. Dann und wann kam auch der Tapfere Löwe, obwohl seine Reisefreudigkeit mit der Zeit merklich abgenommen hatte.
Bei den Zusammenkünften führten die Freunde endlose Gespräche darüber, was besser sei: ein Gehirn, ein Herz oder Mut, und gedachten der glücklichen Zeit, da ihre geliebte Elli im Zauberland weilte und man gemeinsam viele spannende Abenteuer erlebte.
Bei diesen Begegnungen vergaß der Scheuch völlig, den tückischen Urfin zu beobachten. Das hätte er aber tun sollen! Denn nach sieben Jahren erzwungener Untätigkeit machte sich jetzt Urfin daran, seine neuen ehrgeizigen Pläne in die Tat umzusetzen.
DAS GLÜCK LIEGT HINTER DEN BERGEN!
Es waren etliche Monate vergangen, nachdem Urfin Juice im Lande der Marranen als Feuergott erschienen war.
Im Volk wuchs die Unzufriedenheit mit jedem Tag. Die Bürger dachten mit Sehnsucht an die schöne Zeit zurück, da sie das Feuer noch nicht kannten, aber auch nicht so schwer für die Adligen zu arbeiten brauchten. Zu murren wagten die Marranen jedoch selbst im engsten Familienkreis nicht. Es kam jetzt oft vor, daß eine Schmähung wider den Feuergott, die außer der Frau und den Kindern eines Bürgers niemand gehört hatte, der Obrigkeit bekannt wurde, die den Schuldigen grausam bestrafte. Wenn der Ärmste dann im funkelnagelneuen Gefängnis saß und die zerschlagenen Rippen rieb, mußte er sich fragen:
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