Urfin saß rittlings auf seinem Bär und dachte mit Kummer an seine ehemaligen disziplinierten Holzköpfe. Es sollte aber noch schlimmer kommen.
Als es dunkelte, entstand ein wirres Durcheinander, weil sich die Soldaten des Schlafs nicht erwehren konnten. Urfin konnte gerade noch Posten aufstellen, da versank die ganze Armee in tiefen Schlaf. Nach einer halben Stunde ging er die Posten inspizieren und fand sie alle schlafend, obwohl sie strengen Befehl hatten, das Lager zu bewachen. Manche lagen zusammengerollt auf der Erde, andere schnarchten sitzend, andere wieder waren stehend eingeschlafen und hielten sich an den Bäumen fest. Zornig befahl Urfin dem Bären, sie auf den Kopf zu stellen und an die Bäume anzulehnen. Keiner der Schlafenden wachte darüber auf.
Bei einem nächtlichen Überfall hätte ein Feind alle diese »Helden« wie Kücken abschlachten können. In der Nähe gab es aber keinen Feind, und Urfin beschloß, es mit den Dienstvorschriften nicht so genau zu nehmen. Er ging in sein Zelt und legte sich schlafen. Über seine Ruhe wachte der nimmermüde Bär.
Ein kühler Morgenwind weckte die Marranen. Fröstelnd liefen sie zum nahen Bach, um sich zu waschen. Nach einem kargen Frühstück setzte sich die Armee wieder in Marsch.

Einige Stunden später stand sie vor dem großen Fluß, an dem einst das Hochwasser Elli und ihre Freunde überrascht hatte. Das Wasser hatte damals den Scheuch fortgerissen, und der Löwe und das Mädchen waren beinahe in den Wellen ertrunken. Ängstlich blickten die Marranen jetzt auf den Fluß. In ihrem Tal hatten sie niemals so viel fließendes Wasser gesehen. Die Bäche, die dort den Hängen entsprangen, strömten schnell dem Mittelsee zu und bildeten keine Flüsse.
Der Fluß hielt die Armee lange Zeit auf, denn die Marranen konnten nicht schwimmen. Es mußten Flöße gezimmert werden, mit denen der Feldherr selbst die Soldaten über das Wasser setzte. Schließlich war dieses Hindernis überwunden, und die ungeordneten Kolonnen marschierten weiter. Die Soldaten waren hungrig, denn schon am zweiten Tag des Feldzuges hatten sie den ganzen Proviant verzehrt.
Der Weg führte durch einen Obsthain, in dem ein schrecklicher Tumult entstand. Hungrig stürzten sich die Soldaten auf die Bäume, schlugen die Früchte ab, die reifen wie die grünen, und begannen sie wahllos in sich hineinzustopfen. Vergeblich hielt Urfin sie zur Mäßigung an – niemand hörte auf ihn. Am Abend bekam die ganze Armee Bauchschmerzen. Davon blieben weder der Oberste Feldgeistliche Krag noch die Kompanieführer verschont.
Drei Tage wälzte sich die Armee in Krämpfen, und wenn niemand starb, so war das nur den starken Magen der Marranen zu verdanken. Als sie sich zu erholen begannen, schärfte ihnen Urfin stundenlang ein, daß sie strengste Disziplin wahren und seinen Befehlen blindlings zu gehorchen hätten.
Aber wer hätte diese unwissenden Menschen, die zwar schnell begriffen, was man von ihnen wollte, aber ebenso schnell wieder alles vergaßen, in so kurzer Zeit umerziehen können?
Am zehnten Tag tauchte abseits von der Straße ein Dorf der Zwinkerer auf. Es kostete Urfin große Mühe, seine Krieger davon abzuhalten, das kleine Dorf mit der ganzen Armee anzugreifen. Als sie schließlich begriffen hatten, erteilte der Feldherr der Kompanie Bois’ Befehl, das Dorf zu nehmen.
Selbstverständlich kam es nicht zu einer Schlacht. Kaum sahen die Zwinkerer die Rotte brüllender, großköpfiger Menschen auf ihr kleines Dorf zurennen, ergaben sie sich und wurden augenblicklich aus ihren Häusern gejagt. Es begann ein wüstes Plündern. Das Dorf zählte 23 Häuser, und in jedem rauften und balgten sich die Eroberer untereinander.
»Das gehört mir!« schrie ein wütender Marrane, dem ein anderer irgendeinen Gegenstand zu entreißen suchte – einen Stuhl, ein Handtuch oder ein Kissen –, und dabei bearbeiteten sie sich gegenseitig mit ihren Fäusten, daß es krachte.
Bald da, bald dort flog durch ein Fenster oder eine offene Tür ein Kämpfer auf die Straße, während die anderen zum Entsetzen der umstehenden Zwinkerer wild aufeinander eindroschen. Das dauerte so lange, bis im Zimmer nur ein Mann übrigblieb, der im Raufen die anderen übertraf. Triumphierend sah er sich um und brüllte:
»Das ist jetzt mein Haus. Noch heute will ich meine Familie holen!«
Als Bois’ Kompanie zur Truppe zurückkehrte, fehlten der Kommandeur und zweiundzwanzig Mann.
»Wo sind die übrigen?« fragte Urfin. »Sind sie im Kampf gefallen?«
»Nein, Herr«, erwiderte ein Soldat, »sie sind im Dorf geblieben.«
»Was heißt das?« Urfin zog seine schwarzen Brauen zusammen.
»Du hast doch gesagt, wir werden in warmen, bequemen Häusern wohnen, wenn wir sie erobern«, sagte der Soldat. »Jetzt haben sie sie erobert und wollen in ihnen wohnen.«
»Das hat gerade noch gefehlt!« entschlüpfte es Urfin. »Wenn ich nicht eingreife, verstreut sich meine Armee über die eroberten Dörfer, und dann kommen wohl nur ich und der Bär bis zum Violetten Palast. Nein, so geht es nicht!«
Urfin kehrte in das Dorf zurück, um Bois mit seinen Soldaten zurückzuholen.
Eine geschlagene Stunde redete der Feldherr auf die Dickschädel ein. Er malte ihnen aus, welch herrliche Schätze ihrer harrten und wie verlockend die Smaragdenstadt sei.
Aber das konnten die Marranen mit ihren unentwickelten Hirnen nicht begreifen. Wie sollten sie auch, wenn vor ihnen die Häuser der Zwinkerer so schön und einladend standen!
Nur mit Mühe gelang es Urfin, die Soldaten doch zu überreden. Als sie fort waren, gingen die Zwinkerer daran, ihre verwüsteten Behausungen wiederherzurichten.
Aber wie sah die Kompanie Bois’ nach diesem ersten »Gefecht« aus! Der eine hatte sich einen Kochtopf auf den Kopf gestülpt, ein anderer hielt viele Messer und Gabeln in den Händen, ein dritter hatte sich einen gewaltigen Waschtrog auf den Rücken geschnallt, und zwei Riesenkerle schleppten ein Bettgestell mit Federbett, Kissen und Decke mit sich.
Über dieses komische Bild mußte selbst der mürrische Urfin lachen. Übrigens wurden die Soldaten ihrer Beute bald überdrüssig. Zuerst warfen sie das Bett fort, diesem folgte der Trog und dann alles andere. Sie taten wie Kinder, die ihre Spielsachen schnell satt haben und liegenlassen.

DIE GEFANGENNAHME DES EISERNEN HOLZFÄLLERS
Urfins Armee bewegte sich schnell vorwärts. Die Zwinkerer, friedliche Handwerker und Bauern, konnten der Rotte kraftstrotzender Burschen keinen Widerstand leisten.
Die Marranen hatten Urfins Lehren beherzigt. Jetzt blieben sie nicht mehr in den eroberten Häusern, rührten auch Geschirr und Möbel nicht an und nahmen nur Kleidung und Decken mit. Allerdings raubten sie alles Eßbare: Milch und Butter, Käse und Mehl, Hühner und Gänse und schlachteten Kühe und Schafe. Nach ihrem Abzug sahen die Dörfer wie Felder nach einer Heuschreckenplage aus.
Kein Zwinkerer konnte den Eisernen Holzfäller vor der nahenden Gefahr warnen, denn Urfin handelte nach allen Regeln der Kriegskunst. Er schickte der Truppe eine Schar Späher voran, die alle Einwohner, die nach Nordost zu entweichen suchten, abfingen. Deshalb traf der Herrscher des Violetten Landes keine Vorsichtsmaßnahmen.

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