Das Exerzieren der Marranen nahm seinen Fortgang. Die Rekruten lernten Marschieren in Reih und Glied, Ausschwärmen, Wendungen und ähnliche militärische Weisheiten. Urfin verbrachte alle Tage von früh bis spät bei seinen Soldaten.
Vom Dienstpersonal des Violetten Palastes hatte er nur die Köchin Fregosa behalten, weil sie so gut kochte. Sie diente schon viele Jahre im Palast und wußte von Bastinda zu erzählen, die eine Schlemmerin gewesen war, aber alles Flüssige, z. B. Mus oder Kompott, verabscheute. Trotz aller Vorsicht war die Hexe durch eine Flüssigkeit umgekommen. Als Elli einen Eimer Wasser auf sie ausgoß, zerschmolz sie und war auf der Stelle tot.
Von allen Herrschaften, denen sie gedient hatte, liebte Fregosa den Holzfäller am meisten, weil er so anspruchslos war. Nun war der sanfte Mann vom grausamen Urfin abgelöst worden. Fregosa hatte sich viele Male vorgenommen, ein giftiges Kraut in die Suppe des Bösewichts zu schütten, gab es aber auf, weil Urfin zu jeder Mahlzeit den Oberpriester an den Tisch rief und ihn jedes Gericht zuerst probieren ließ.
Fregosa beruhigte sich, als die Armee mit Urfin an der Spitze auszog, die Smaragdeninsel zu erobern. Im Violetten Lande ließ Urfin den Statthalter Bois zurück, der sich unter allen Mannschaftsführern als der aufgeweckteste erwiesen hatte. Die Garnison bestand aus einer halben Hundertschaft. Diese, dachte Urfin, reiche völlig, um die ängstlichen Zwinkerer in Botmäßigkeit zu halten.
Während des Marsches fiel es Kaggi-Karr sehr schwer, ihren Auftrag zu erfüllen. Die Verbindung mit dem Scheuch durfte nicht abbrechen, aber wie sollte die Krähe die genaue Zeit erfahren, wo es weit und breit keine Sonnenuhr gab?
Beim Nahen der Mittagszeit beobachtete die Kundschafterin die Sonne und die Schatten der Bäume, um an ihrer Länge die Zeit zu bestimmen. Sie faßte ihre Berichte sehr kurz und wiederholte sie mehrmals in der Hoffnung, daß wenigstens einer den Scheuch erreichen würde. Das traf auch zu, denn der Herrscher der Smaragdeninsel saß jedesmal lange vor dem Fernseher und wartete geduldig auf die Sendung. Aus den täglichen Meldungen erfuhr der Scheuch, daß Kaggi-Karr nachts, wenn die Marranen fest schliefen, lange Gespräche mit dem Holzfäller führte und ihn nicht verzagen ließ. Sie erbot sich sogar, mit ihrem starken Schnabel seine Fesseln zu zerschlagen, damit er entfliehe. Er lehnte jedoch ab mit der Begründung, daß die kurze Nacht für eine Flucht nicht ausreiche. Am nächsten Tag, sagte er, würden die schnellfüßigen Marranen ihn bestimmt einholen und zurückführen. Immerhin erwies Kaggi-Karr dem Holzfäller einen guten Dienst, indem sie aus dem Proviantlager der Armee Öl entwendete, das sie in die eingerosteten Gelenke des Mannes träufelte.
Der Scheuch beschränkte sich nicht auf die Fernsehverbindung mit der Krähe. Oft drehte er an den Knöpfen des Kastens so lange, bis er auch den finsteren Urfin ins Bild bekam. Einmal sah er ihn an der Spitze der Truppe marschieren, ein andermal erblickte er einen Zug Soldaten, der über steiniges Gelände zog, ein drittes Mal die Sänfte, auf der die Marranen den gefesselten Holzfäller trugen.
Die Smaragdeninsel bereitete sich unter der Führung des Scheuchs, Din Giors und Faramants tatkräftig auf die Verteidigung vor.
Der langbärtige Soldat, den der Scheuch wieder zum Feldmarschall ernannt hatte, kümmerte sich jetzt nicht mehr um seinen Bart, Faramant nicht mehr um seine Tasche mit den grünen Brillen. Zu dritt bildeten sie den Obersten Stab. Sie wußten, daß der Kanal die Angreifer eine Zeitlang aufhalten werde. Alle Bürger lobten den Scheuch, der die Smaragdenstadt in eine Insel verwandelt hatte.
»Unser Herrscher«, sagten sie stolz, »sieht die Zukunft um Jahre voraus.«
Trotzdem war es klar, daß der Feind so oder so über den Kanal setzen werde, und dann mußten die Stadtmauern als Hauptverteidigungslinie dienen.
Unter Anleitung des Feldmarschalls schleppten die Einwohner Steine und Kessel mit Wasser herbei, unter die sie Stroh legten. Beim Anrücken des Feindes sollte es angezündet und das kochende Wasser auf die Köpfe der Angreifer ausgeschüttet werden.

Die Waffenschmiede schliefen jetzt nicht mehr als zwei bis drei Stunden täglich. Sie fertigten straffe Bogen und Pfeile mit Eisenspitzen an. Auf den Zufahrtsstraßen zur Stadt konnte man zahllose, von kleinen Pferden gezogene Wagen und von Menschen geschleppte Handkarren mit Proviant sehen, der für eine lange Belagerung reichen sollte. Die Einwohner der Smaragdenstadt hatten die Herrschaft Urfins noch gut in Erinnerung und wollten nicht ein zweites Mal unter sie geraten.
Als die Springerarmee sich dem Smaragdenland auf drei Tagesmärsche genähert hatte, traf über die Vogelstaffel eine wichtige Nachricht ein. Ein Eichelhäher überbrachte sie.
»Im Auftrag der Krähe Kaggi-Karr melde ich Euch, Dreimalweiser Herrscher«, krächzte der Häher, der vor Erschöpfung kaum atmen konnte, »daß die Armee Urfin Juices von den Farmen Bretter und Balken mitnimmt, die die Soldaten tragen müssen. Den Zweck dieser Handlungen weiß Frau Kaggi-Karr nicht zu erklären, darum läßt sie es Euch mitteilen.«
Der Scheuch berief sofort einen Kriegsrat ein.
Feldmarschall Din Gior äußerte die Vermutung, der Feind wolle die Balken zum Rammen des Stadttores verwenden. Wozu er aber die Bretter brauche, konnte Din Gior nicht sagen. Der Leiter des Versorgungsdienstes, Faramant, meinte, die Bretter und Balken würden für Lagerfeuer verwendet werden, damit die Soldaten sich nachts wärmen und ihr Essen darauf kochen könnten. Die vornehmen Bürger schwiegen.
Dann ergriff der Scheuch das Wort.
»Und ihr wollt Strategen sein?« sagte er verächtlich. »Ist es euch denn nicht klar, daß Urfin von unserem Kanal weiß? Damit Menschen über ein Wasser gehen, müssen sie doch eine Brücke bauen. Zu diesem Zweck schleppen die Feinde die Bretter und Balken mit!«
Die Ratsmitglieder schwiegen beschämt.
Am dritten Tag nach der Ratssitzung überschwemmten Urfins Horden das Vorland der Smaragdeninsel.
Auf ihrem Marsch hatten die Marranen die Bevölkerung ausgeplündert, und jetzt stolzierten sie in den violetten Kleidern der Zwinkerer und den grünen Mänteln der Farmer des Smaragdenlandes einher. Die mit Schleudern und Knüppeln bewaffnete Truppe sah bedrohlich aus.
Urfin ließ seine Augen über das breite Wasser schweifen. Er hatte natürlich vom Bau des Kanals um die Smaragdenstadt gehört, denn das Gerücht hatte sich überall verbreitet und war bis zu den Zwinkerern gedrungen. Aber der Eroberer hatte sich die Breite des Kanals nicht vorgestellt. Er hatte nicht gedacht, daß es ein so ernstes Hindernis sein würde. Jetzt lobte er sich in Gedanken dafür, daß er für Baumaterial vorgesorgt hatte.
Beim Auftauchen der Feinde wurde die Fähre sofort zur Stadtseite abgeschleppt und auf Befehl Faramants mit Stroh gefüllt, das der Hüter des Tores ansteckte.
Der Bretterbelag verbrannte binnen wenigen Minuten, und kurze Zeit später versanken die angekohlten Tragboote. Nach der Fähre wurden auch alle Segel- und Ruderboote verbrannt.
Urfin hatte vorausgesehen, daß die Verteidiger gerade so verfahren würden, und wunderte sich daher nicht über die Fährenverbrennung. Er beschloß, sofort mit dem Brückenbau zu beginnen, obwohl er wußte, daß das viel Mühe kosten werde. Urfin war aber nicht der Mann, der so schnell vor Schwierigkeiten zurückwich.
Am Tag arbeiteten die Marranen, nachts aber schliefen sie wie betäubt. Oh, hätte der Führungsstab der Belagerten das gewußt! Kaggi-Karr hatte nichts davon erwähnt – vielleicht, weil sie diesen todesähnlichen Schlaf der Marranen für normal hielt. Auch ist es fraglich, ob die Belagerten einen Ausfall versucht hätten, denn für sie war der Kanal doch auch ein Hindernis.
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