Selbst der mürrische Urfin mußte schmunzeln, als er diese Einzelheiten aus dem Leben der Springer hörte. Sie bestärkten ihn in der Überzeugung, daß er sich diese albernen Menschen leicht unterwerfen würde.
Eot Ling schloß jedoch seinen Bericht mit einer Warnung:
»Die Marranen sind gefährliche Leute, Herr! Sie sind jähzornig und lassen sich leicht zu Tätlichkeiten hinreißen. Wenn einer von ihnen sich betrogen oder gekränkt fühlt, fängt er eine Schlägerei an, bei der er weder sich noch den Gegner schont.«
»Schon gut, mein treuer Diener. Das sind sehr wertvolle Auskünfte«, sagte Urfin. »Aus den Marranen werden sich gute Krieger machen lassen, freilich nicht mit Gewalt, sondern mit Schlauheit. Ich weiß, was ich zu tun habe.«
Urfin ging auf den Hinterhof, goß Wasser und Krappwurzelsaft in einen Kessel und zündete darunter ein Feuer an.
Mit der Lösung wollte er seinen besten Anzug rot färben. Damit begann er die Vorbereitungen zu seinem riskanten Unternehmen.
EINE UNGEWÖHNLICHE ERSCHEINUNG
Urfin Juice war davon überzeugt, daß die Vorsehung ihm Karfax eigens geschickt habe, um ihm, Urfin, bei der Verwirklichung seiner ehrgeizigen Pläne zu helfen. Er beschloß, in einer mondlosen Nacht, von zuckenden Flammen umgeben, mit dem Riesenvogel zu den Marranen hinabzusteigen, die bei diesem Wunder erbeben und ihn für einen Gott halten würden.
Der Ausgestoßene traf Vorbereitungen zum Verlassen der Heimat, der er schon lange überdrüssig war. Karfax war mittlerweile mit dem Clown mehrmals in das Land der Marranen geflogen, wo Eot Ling nachts das Tischlerwerkzeug und die allernotwendigsten Haushaltsgeräte versteckte. Dann brachte der Adler auch den Bären dorthin. Der Bär, sagte sich Urfin, dem Pfeile und Lanzen nichts anhaben können und der weder Schlaf noch Essen braucht, würde ihm ein zuverlässiger Beschützer sein inmitten der starken und gefährlichen Springer, seiner zukünftigen Untertanen. Wichtig war auch, daß die Springer, in deren Land es keine Bären gab, Meister Petz für ein Wunder halten mußten.

Bei der Abreise schloß Urfin sein Haus nicht ab wie das letztemal, sondern legte trocknes Laub und Zweige in ein Zimmer und zündete sie an. Ob er nun die Herrschaft über die Springer erringen werde oder nicht, hierher wollte er nie mehr zurückkehren, denn er hatte das Gärtnerleben satt.
›Was immer auch kommen möge, ich stelle mich dem Schicksal!‹ entschied er.
Im Glanz des Feuers wollte er vom alten Leben Abschied nehmen und ein neues beginnen.
Urfins Haus brannte lichterloh. Die Einwohner Kogidas sahen, wie der Himmel sich rötete und im Widerschein des Feuers ein riesiger Schatten nahte.
Seit dem Auszug der Marranen aus dem unterirdischen Land waren Hunderte von Jahren vergangen, in denen es viele Naturkatastrophen gegeben hatte: Brände, Überschwemmungen, Erdrutsche. Aber noch nie hatten die Marranen solche Aufregung erlebt wie an jenem denkwürdigen Abend. Es begann damit, daß in dem Ort, in dem Fürst Torrn regierte, nach Anbruch der Dunkelheit ein braunes zottiges Tier auftauchte, das keinem der von ihnen bisher gesehenen glich.
»Achtung, Marranen, Achtung!« brüllte es. »Heute abend wird euch am Himmel der mächtige Feuergott Urfin Juice erscheinen, euer künftiger Herrscher!«
Dann begann das kleine Holzmenschlein, das auf dem Rücken des Tieres saß, mit schriller Stimme zu rufen: »Menschen des Marranenlandes, freut euch und frohlocket, der Feuergott Urfin Juice wird jetzt vom Himmel zu euch herabsteigen!«
Die herbeieilenden Marranen fragten Fürst Torrn bestürzt, was das zu bedeuten habe. Der Fürst konnte ihnen aber auch keine Antwort geben.
Da zeigte sich über dem Dorf ein riesiger Schatten, von zuckenden Flammen umgeben.
»Blitze!« raunten entsetzt die Marranen.
Während der Schatten immer tiefer sank, ertönte eine Donnerstimme:
»Ich begrüße euch, meine geliebten Marranen!«

Auf den Platz ging ein riesiger Vogel nieder, von dessen Rücken ein Mann in rotem Gewande sprang. Er trug einen grellroten Hut mit weißen Federn und hielt in der hocherhobenen Hand eine brennende Fackel, von der nach allen Seiten hin Funken stoben.
Urfin Juices Erscheinen war außerordentlich effektvoll.
Die Springer sanken auf die Knie und schlugen die Hände vors Gesicht, um sich vor den Flammen zu schützen. Da rief der Herabgestiegene mit schallender Stimme:
»Fürchtet euch nicht! Ich bin nicht mit bösen, sondern mit guten Absichten zu euch gekommen! Vor allem sollt ihr euch davon überzeugen, daß die Flamme, die bisher Tod und Verderben über euch brachte, von jetzt an euer Diener ist. Meister Petz«, wandte sich Urfin an den Bären, »bring Stroh herbei!«
In der Nähe lag ein Haufen Stroh, das jemand für den Bau einer Hütte vorbereitet hatte. Der Bär schleppte es heran, und Juice zündete es an. Eine Flamme schoß empor, vor der die Marranen scheu zurückwichen. Urfin brach in ein schallendes Gelächter aus.
»Habt keine Angst, Eure Durchlauchten Fürst Torrn und Fürstin Juma, und ihr ehrwürdigen Ältesten – Grem, Laks und Wenk – fürchtet euch nicht und tretet näher!«

Ein Raunen ging durch die Menge:
»Er kennt alle beim Namen! O Wunder! Das ist ein Gott!«
Das Geraune wurde von Eot Lings schriller Stimme übertönt:
»Der große Urfin ist allmächtig, Himmel und Erde sind ihm Untertan!«
Und der arglose Karfax fügte mit krächzendem Baß hinzu:
»Urfin Juice ist edel, er führt nur Gutes im Sinn!«
Als die Flamme erlosch, traten die Marranen näher. Die Nacht war kühl wie immer in diesem Tal, und die Menschen froren. Die glimmende Asche strahlte wohlige Wärme aus, und Torrn und die Stammesältesten wandten ihr bald die eine, bald die andere Seite ihrer Körper zu. Ei, dachten sie, dieser Abgesandte des Himmels hat uns die Wärme und das Licht der Sonne gebracht!
Alle glaubten jetzt an die Zauberkraft Urfin Juices und waren bereit, ihn nicht nur als König, sondern auch als Gott zu verehren.
Unter den Sachen Urfin Juices befand sich ein Gegenstand, der ihm besonders teuer war. In der Welt jenseits der Berge konnte man dieses zierliche Ding für wenig Geld kaufen, im Zauberland aber hielt man es für ein Wunder.
Dabei war es nur ein einfaches flaches Feuerzeug.
Urfin hatte es ergattert, als er, vom Thron gestürzt, im Gefängnis saß und auf die Gerichtsverhandlung wartete. Damals war der einbeinige Seemann Charlie Black zu ihm gekommen und hatte ihm lange zugeredet, er solle seine Verbrechen bereuen. Urfin war jedoch zu verstockt, um Reue zu üben.
Verärgert wandte sich der Seemann ab und ging. In diesem Augenblick glitt das Feuerzeug aus seiner Tasche und fiel auf das Stroh, das den Boden bedeckte. Kaum war Black aus der Tür, sprang Urfin auf und steckte das Feuerzeug ein, da er dessen Wert kannte.

Er verbarg das Feuerzeug in seinen Kleidern und nahm es in die Verbannung mit. Das schmucke Ding strömte einen Geruch aus, der Urfin gefiel, wenngleich er keine Ahnung hatte, was Benzin ist. Als das Benzin verdunstete, machte sich Urfin zunächst große Sorgen, aber dann trieb er eine Flasche leichten Petroleums auf, das ihm das Benzin ersetzte.
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