DER SANDSTURM
Ein Ziel hatten die fünf nun erreicht – sie hatten sich wieder gefunden, konnten ab jetzt alles gemeinsam besprechen. Die Bedingungen, unter denen sie leben mußten, waren allerdings alles andere als normal. Zwei Geister und drei menschliche Wesen, die Mühe hatten, sich einigermaßen vernünftig zu ernähren, beschränkt auf eine kleine grüne Insel inmitten einer staubigen Wüste. Auf die Dauer war das kaum durchzuhalten.
Immerhin gab es die drei Flugmolche am Teich, die von ihnen keinerlei Gefahr zu befürchten schienen, geradezu zahm waren. Vi, die aus kartoffelartigen Knollen und Mehlfrüchten schnell Suppen für ihre drei zu kochen und sogar Brot zu backen lernte, merkte bald, daß die Amphibien solche Nahrung gleichfalls nicht verschmähten. Vor allem den Kindern machte es Spaß, sie damit zu füttern. Fast gehörten die Tiere schon zur Familie.
Ol hielt es für notwendig, die weitere Umgebung zu erkunden. Er startete immer wieder entsprechende Versuche, doch in dem Staub kam er nicht weit. Anders dagegen No, der bald riesige Strecken abflog. Mo war etwas neidisch, wie gern wäre er mitgesaust, wenn der Bruder morgens loszog. Stattdessen mußte er Fische fangen oder Pilze sammeln. Ein wenig sehnte er sich sogar ins Elmendasein zurück.
No blieb oft den ganzen Tag weg, und wenn er zurückkam, hatte er wenig Erfreuliches zu berichten. Der Planet schien in der Tat ausgestorben – der Junge hatte keinerlei Ansiedlung und auch keine menschliche Behausung außer der ihren entdecken können.
Der Staub aber, die Ödnis waren allgegenwärtig. Nur ganz selten behauptete sich noch eine grüne Oase in der Wüste, ein Zeichen, daß es in der Tiefe Wasser geben mußte. Doch nicht einmal einen zweiten Tümpel spürte er auf.
Abends berichtete No von seinen Erkundungen, und alle waren entsetzt. Obwohl so etwas zu befürchten gewesen war, hatten sie doch gehofft, nicht die einzigen Bewohner zu sein.
»Es muß eine Katastrophe auf der Irena gegeben haben, vielleicht schon kurz nach unserem unfreiwilligen Start in die Zukunft«, vermutete Ol. »Sollte mich nicht wundern, wenn das mit der Verschiebung der Tunnel zusammenhängt.«
Einer der Flugmolche schwebte lautlos heran. Vi tätschelte ihm den Kopf, was er sich gern gefallen ließ.

»Ihr seid schon länger hier als wir«, sagte sie, »und habt euch offenbar als einzige Kreaturen auf unserem Planeten über Generationen hin behauptet. Könnt ihr uns nicht Auskunft über das geben, was geschehen ist?« Doch das Tier, von dem sie, genau wie von seinen anderen Artgenossen, noch nie einen Laut vernommen hatten, schwieg auch diesmal.
Am nächsten Morgen waren Viola, Mo und No am Teich, um Riedgraswurzeln zu holen, Ol und Vi aber diskutierten erneut über die Geschehnisse auf der Irena. Sie konnten einfach nicht glauben, daß die Menschen hier ausgestorben waren.
Unvermutet schnell kamen die Kinder vom Tümpel zurück, und hinter ihnen tauchten die drei Flugmolche auf. Sie gebärdeten sich unruhig, zuckten mit dem Körper, zitterten sogar.
»Was ist los, weshalb sind sie so aufgeregt, und warum kommt ihr schon zurück?« fragte Vi.
»Es geht ziemlicher Wind, er wirbelt den Staub auf«, sagte Viola. »Das ist sehr unangenehm und gefällt den Molchen bestimmt genausowenig wie uns.«
Nun hörten auch Vi und Ol den Wind im Gesträuch pfeifen und an den Fensterläden rütteln.
»Das klingt anders als neulich in der Ebene«, sagte Ol. Er war da von einem Ausflug vorzeitig zurückgekehrt, weil er dachte, es gäbe ein Gewitter.
»Die Tiere drängen ins Haus, sie scheinen Schutz zu suchen«, murmelte Vi.
»Komm her, du«, sagte Viola zu einem der Molche, der zur Tür hereingeflattert war und sich auf den Boden gelegt hatte. Sie stieg über seinen Körper hinweg in den Ring, den er bildete, setzte sich und streichelte seine samtene Haut. Er wurde sofort ruhiger.
Unvermittelt fuhr ein Windstoß in den Kamin, begleitet von einem schauerlichen Heulen.
»Das sieht ganz nach einem Sturm aus«, sagte Vi. »Ich schau mal nach, ob alle Fenster zu sind.«

Sie eilte durchs Haus, prüfte die Verriegelung der Fenster. Ol dagegen rannte zur Tür. Doch nicht etwa, um sie fester zu schließen, sondern um sich nichts von dem bevorstehenden grandiosen Ereignis entgehen zu lassen. Wenig später waren auch die anderen draußen.
Sie standen im Schutz einiger Büsche und warteten auf das Naturschauspiel, das gleich beginnen würde. Zu ihren Füßen trieb, von kräftigen Windböen aufgewirbelt, Staub dahin, doch im übrigen war die Luft klar und rein, geradezu durchsichtig. In solchen Augenblicken konnte man besonders weit sehen.
Die Landschaft wirkte nicht weniger verlassen als sonst und hatte doch etwas Majestätisches. Da waren die graubraunen Dünen, von früheren Stürmen aufgetürmt und zum Teil als Wanderdünen in ständiger Bewegung, da war die flirrende Ebene, und da hoben sich, fern am Horizont, die Berge ab. Ihre Umrisse waren normalerweise nicht zu erkennen.
Dann ging es los. Am Himmelsrand stieg ein unscheinbares leichtes Wölkchen auf. Es wuchs, wurde zusehends dichter und dunkler, füllte sich in unglaublicher Geschwindigkeit mit Millionen, ja Milliarden feinster Sandkörnchen auf, um sich schließlich zu einer gewaltigen Windhose zu entwickeln. Schwarz und unheilvoll fegte sie, brausend und mit zerstörerischer Kraft, übers Land.
Dieser Wirbelsturm raste auf sie zu und tobte schon bald in unmittelbarer Nähe. Er sog alles in sich ein, was ihm in den Weg kam: die Dünen, die Steine und die Sonne mit ihrem Licht. Ringsum wurde es stockfinster.
Ehe sie sich’s versahen, hatten Ol, Viola und Mo kratzenden Staub im Mund und nicht genug Hände, um Nase, Augen und Ohren zu schützen. Schneller als sie es verlassen hatten, flüchteten sie ins Haus zurück.
Schließlich, nachdem sie die Tür fest hinter sich verriegelt hatten, saßen die fünf im Wohnzimmer um den Kamin versammelt und streichelten beruhigend die Flugmolche. Dabei waren sie selbst aufs höchste besorgt, und zwar nicht nur wegen des Sturms. Sie fragten sich, wie es mit ihnen weitergehen sollte.
ABSCHIED VON DER IRENA
Was die Tiere betraf, so war die Sache klar: Der Planet, ob nun gut oder schlecht, bevölkert oder ausgestorben, war ihr Zuhause. Sie hatten sich nicht aussuchen können, wo sie geboren wurden und lebten, mußten sich den Gegebenheiten hier anpassen.
Bei den Menschen dagegen verhielt es sich anders. Sie konnten sich entscheiden, mußten es sogar. Der Sturm hatte es ihnen deutlich vor Augen geführt. Mit seiner ungeheuren zerstörerischen Kraft hatte er ihnen bewiesen, daß sie sich hier auf Dauer nicht behaupten würden.
Ol, dem plötzlich bewußt wurde, daß sie wertvolle Zeit verstreichen ließen, erschrak.
»Die Tunnel verschieben sich unaufhaltsam«, sagte er zu Vi, »vielleicht sind sie für uns schon bald nicht mehr erreichbar. Dann müssen wir hierbleiben, werden über kurz oder lang in all dem Sand zugrundegehen. Ihr als Elme überlebt zwar, bleibt aber einsam zurück. Das will sicherlich keiner von uns.«
»Du hast recht«, erwiderte Vi, »wir verhalten uns wirklich unvernünftig. Aber was sollen wir tun? Selbst wenn es uns gelingen würde, in unsere alte Welt zurückzukehren, hätten wir nicht viel erreicht. Die Zerstörung zu Hause ist ja schon in vollem Gange.«
»Das mit dem Tunnelbau ist total falsch gelaufen«, sagte Ol nachdenklich. »In ihrer Gier, die Erde zu unterwerfen, haben die Massaren alles unterhöhlt. Man müßte in die Vergangenheit der Irena zurückkehren und die Sache von Anfang an besser machen.«
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