Sie liefen ins Haus zurück und schauten sich nach den beiden Paketen um, die Ol gestern vom Tunnel mit zurückgebracht hatte. Obwohl No wußte, daß es fast unmöglich war, damit in die ferne Zukunft zu gelangen, stellte er sich schon vor, wie er mit dem kristallen flimmernden Ding bei Mo auftauchen würde.
Vi hatte gedacht, die Skaphander schnell zu finden, doch sie irrte sich. Weder auf den ersten Blick noch mit gründlichem Stöbern hatten sie Erfolg. Sie nahmen sich, bei Ol angefangen, jedes Zimmer einzeln vor. Als sie auch den Keller, die Abstellkammer und den Boden durchsucht hatten, sahen sie sich verdutzt an.

»Sollte Ol die Anzüge etwa doch mitgenommen haben?« sagte No enttäuscht.
»Ganz bestimmt nicht, das hätten wir gesehen.«
»Aber wo stecken sie dann?«
Vi hob die Schultern:
»Ich weiß wirklich nicht mehr, wo ich noch suchen soll.«
»Wir müssen sie einfach auftreiben«, murmelte No verzweifelt.
Plötzlich hatte Vi eine Idee:
»Wir haben uns immer nach Paketen umgeschaut. Und wenn Ol die Anzüge nun einfach in den Kleiderschrank gehängt hat?«
Sie stürzte los, öffnete den Schrank und – unglaublich aber wahr – da hingen sie! Unförmig und glänzend, zwischen ganz gewöhnlichen Anziehsachen.
»Mein Mann ist wirklich einmalig«, sagte Vi. »Wer kommt denn auf den Gedanken, diese wertvollen Skaphander zwischen den Tageskleidern unterzubringen.«
No aber erwiderte anerkennend:
»Wenn man’s recht bedenkt, war das ganz schön clever. Wie man sieht, sind die Fluganzüge hier besser versteckt als in einem Tresor.«
DIE VERWIRRUNG DER MASSAREN
Inzwischen wurde den Massaren im Synchronautikzentrum immer klarer, in welcher schwierigen Lage sich die Irena befand. Der Planet war ja überaltert, die Bodenschätze waren fast restlos ausgebeutet. Die Grundstoffe für das Leben hier wurden deshalb zum größten Teil über die Tunnel von der Erde herangeschafft, und man trug sich mit der Absicht, irgendwann ganz dorthin überzusiedeln. Dieser Plan aber wurde undurchführbar, wenn die Tunnel außer Kontrolle gerieten, sich immer mehr in die Zukunft verschoben. Wie lange, so überlegte Or, konnte man überhaupt noch existieren, wenn der Nachschub von anderen Planeten ausblieb.
Der Direktor berief umgehend eine Konferenz ein, trommelte Politiker, Wissenschaftler und Tunnelpiloten zusammen. Auch Vi als ehemalige Synchronautin durfte daran teilnehmen.
Die Verwirrung war groß. Einige schlugen vor, auf die Erde umzusiedeln, solange noch Zeit war, ohne die Bevölkerung um ihr Einverständnis zu bitten.
»Beginnen wir sofort mit der Eroberung«, verlangten sie, »setzen wir unsere Waffen ein.«
Or, der schon über diese Möglichkeit nachgedacht und sich mit Experten beraten hatte, war anderer Meinung.
»Ob wir so zum Erfolg kommen, ist ungewiß«, sagte er. »Bei der jetzigen Bewegung der Tunnel sollten wir lieber versuchen, in die Vergangenheit der Erde zu gelangen. In jene Zeit, wo sie noch gering besiedelt war. Wir hätten dort alle Chancen, unser System zu errichten und die Entwicklung nach unseren Vorstellungen zu beeinflussen.«
Dieser Plan war schlau ausgedacht, das mußte selbst Vi zugeben. Die Erdenmenschen würden gewissermaßen unterworfen werden, ohne zu begreifen, was geschah. Sie wollte schon protestieren, doch zum Glück stellte sich das Vorhaben als undurchführbar heraus. Es war genausowenig zu verwirklichen wie die sofortige Eroberung. Die Fachleute rechneten vor, daß einfach nicht mehr genug Zeit für dieses Unternehmen blieb. Wo sollte man so schnell die gewaltige Tunnelflotte hernehmen, die dafür gebraucht wurde?
Schließlich wurde der Vorschlag eingebracht, neue Tunnel zu errichten. Ein Plan, der gleichfalls alle Kräfte der Irener erforderte und am Ende durchaus mißlingen konnte. Aber er schien die einzige Möglichkeit, noch etwas zu retten. Ol hätte ihm gewiß auch zugestimmt, wenn er anwesend gewesen wäre.
Or, Din, Nel und einige andere Massaren wollten sich auf eine so unsichere Perspektive allerdings nicht einlassen. Vi erfuhr später, kurz bevor sie selbst mit No die Irena verließ, um nach Ol, Viola und Mo zu suchen, daß sie sich still und heimlich zur Erde aufgemacht hatten. Dort gab es ja geheime Stützpunkte, die mit allem versorgt waren, was sie benötigten. Natürlich hatten sie den modernsten Synchrogleiter benutzt, der im Zentrum zu finden war.
Inzwischen hatte No zu Hause die ersten Flugübungen mit dem Kristallskaphander absolviert. Es gehörte schon einiges Geschick dazu, Raum und Zeit auseinanderzuhalten und die jeweils richtigen Manöver auszuführen. Vi dagegen, wie ihr Mann mit den Besonderheiten des Tunnelflugs vertraut, kam besser zurecht. Dennoch passierte es, daß auch sie plötzlich ungewollt in der Vergangenheit verschwand und nicht gleich begriff, wo sie hingeraten war. Man mußte sehr genau steuern, um zum Ausgangspunkt zurückzukehren.
No ging es ähnlich, und so hatten sie ein paarmal Mühe, sich wiederzufinden. Andererseits prallten sie unverhofft heftig zusammen, als sie zur selben Zeit am gleichen Platz, nämlich auf Violas kleinem Sofa, auftauchten. Verdutzt rieben sie sich die Köpfe. Ein paar blaue Flecke oder Beulen waren ihnen sicher.
Am Ende hatten sie die Skaphander aber soweit im Griff, daß sie ganz gut damit zurechtkamen. Das war auch notwendig, denn Vi hatte sich inzwischen einen Plan zurechtgelegt, der all ihre Fähigkeiten erforderte. Der Gedanke war ihr in der Konferenz mit den Massaren gekommen. Während sie für No und sich eine letzte kräftige Mahlzeit bereitete und dazu etwas Proviant einpackte, erläuterte sie das Vorhaben:
»Wir sollten zur Erde fliegen«, sagte sie, »denn die können wir mit den Skaphandern erreichen. Jedenfalls sieht es so aus, als sei der Weg im Augenblick noch frei.«
No war sofort einverstanden.
»Ol meinte, wir kämen dort in die Vergangenheit. Das wäre mir nur recht.« Wie sein Bruder Mo, dachte auch er als erstes an Atlantis.
»Vergangenheit oder nicht«, erwiderte Vi, »von dort könnten wir weiter in die Zukunft der Irena. Dorthin, wo die andern sind. Und zwar übers Elmenland.«
»Wir wollen wieder zurück zur Irena?« rief No enttäuscht aus. »Aber vielleicht sollten wir lieber auf der Erde auf sie warten.«
»Nein, nein, dort treffen wir unsere drei nie.«
»Und warum fliegen wir dann nicht gleich in die Zukunft wie Ol? Da kommt man doch auch bei den Elmen vorbei. Mit den Skaphandern können wir den Schutzschild am Elming allemal überwinden.«
»Der Schutzschild ist nicht mehr das Problem«, erklärte Vi. »Soviel ich gehört habe, existiert er nur noch teilweise.«
»Und was ist dann das Problem?« fragte No.
»Wir haben uns schon darüber unterhalten. Der Tunnel zur Zukunft verlagert sich und entführt uns sonstwohin. Von der Erde aus und mit den Skaphandern können wir die Flüge dagegen selbständig steuern. Zumindest bis zum Elmenland.«
»Und dann?« wollte No wissen.
»Als Elme haben wir andere Möglichkeiten. Das weißt du ja besser als ich. Nach dem Untergang eurer Insel hast du doch unendliche Jahre in dieser Form zugebracht, ohne daß dir die Zeit lang geworden wäre.«
»Ein bißchen Langeweile hatten Mo und ich schon«, wandte No ein.
»Auf jeden Fall würden wir zum entsprechenden Zeitpunkt zu unserem Haus zurückfliegen und auf die drei warten«, erklärte Vi.
»Du glaubst, sie kommen hierher zurück?«
»Ich wüßte nicht, wo sie sonst hin sollten«, sagte Vi zuversichtlich.

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