»Miss Bracken.« Eine zierliche junge Frau ganz hinten im Raum hatte sich erhoben. Es war Juanita Nunez, die Margot begrüßt hatte, als sie hereinkam. »Ja, Mrs. Nünez?«:
»Ich möchte mithelfen. Aber Sie wissen ja, daß ich bei der FMA arbeite. Vielleicht sollte ich nicht dabeisein, wenn Sie es den anderen erklären... «
Margot sagte anerkennend: »Das stimmt, und ich hätte selber daran denken können, anstatt Sie hier in Verlegenheit zu bringen.«
Es gab ein allgemeines verständnisvolles Gemurmel. Juanita schob sich zur Tür.
»Das, was Sie bis jetzt schon mitgekriegt haben«, sagte Deacon Euphrates, »das bleibt 'n Geheimnis, klar?«
Während Juanita nickte, sagte Margot rasch: »Wir alle hier können uns auf Mrs. Nünez verlassen. Ich hoffe nur, daß ihre Arbeitgeber ebensoviel Anstand besitzen wie sie.«
Als wieder Ruhe in die Versammlung eingekehrt war, baute Margot sich vor den Verbandsmitgliedern auf. Ihre Haltung war charakteristisch für sie: Hände auf der schmalen Taille, die Ellbogen aggressiv nach vorn geschoben. Kurz vorher hatte sie ihr langes kastanienbraunes Haar zurückgeworfen - es war eine Gewohnheit von ihr, wenn sie zu Taten schritt, wie das Hochziehen eines Vorhangs. Während sie sprach, wuchs das Interesse ihres Publikums spürbar. Hier und da verzog sich ein Mund zum Lächeln. An einer Stelle kicherte Seth Orinda tief in sich hinein. Gegen Ende grinsten Deacon Euphrates und andere breit und begeistert.
»Mann«, sagte Deacon. »Mann, o Mann!«
»Das ist verdammt gerissen«, warf ein anderer ein.
Margot erinnerte sie: »Wenn der Plan funktionieren soll, dann brauchen wir eine Menge Leute - für den Anfang mindestens tausend, und mehr im Laufe der Zeit.«
Eine frische Stimme fragte: »Wie lange brauchen wir die denn?«
»Wir planen für eine Woche. Das heißt, für eine Bankwoche -also fünf Tage. Wenn das nicht hinhaut, müssen wir die Operation vielleicht ausdehnen. Ich glaube aber, ehrlich gesagt, nicht, daß es nötig sein wird. Noch eins: Jeder, der mitmacht, muß ganz genau eingewiesen werden.«
»Da bin ich dabei«, sagte Seth Orinda.
»Ich auch«, stimmte sofort ein ganzer Chor ein.
Die Stimme von Deacon Euphrates übertönte die anderen. »Ich hab' noch 'n paar Tage Urlaub. Verdammt, ich nehm' 'ne Woche frei, und ich weiß andere, die auch bestimmt mitmachen.«
»Gut!« sagte Margot. Entschlossen fuhr sie fort: »Wir brauchen einen genau ausgearbeiteten Plan. Den werde ich morgen abend fertig haben. Und ihr andern, ihr könnt gleich anfangen mit dem Anwerben. Und vergeßt nicht: Unbedingte Geheimhaltung!«
Eine halbe Stunde später löste sich die Versammlung auf. Die Mitglieder des Komitees waren weitaus froher und optimistischer als zu Beginn des Treffens.
Auf Margots Bitte blieb Seth Orinda noch zurück. »Seth, Ihre Hilfe brauche ich ganz speziell.«
»Wenn ich helfen kann - immer, Miss Bracken.«
»Wenn es losgeht«, sagte Margot. »bin ich gewöhnlich in der ersten Reihe. Das wissen Sie.«
»Allerdings.« Der Oberschullehrer strahlte über das ganze Gesicht.
»Diesmal möchte ich unsichtbar bleiben. Mein Name darf weder in Zeitungen, im Fernsehen noch im Rundfunk genannt werden. Das könnte nämlich zwei besondere Freunde von mir in peinlichste Verlegenheit bringen - Freunde in der Bank, ich habe sie ja vorhin erwähnt. Das will ich verhindern.«
Orinda nickte verständnisvoll. »Das dürfte kein Problem sein.«
»Worum ich bitten wollte«, sagte Margot, »ist, daß Sie und die anderen dieses Mal die Leitung der Aktion übernehmen. Ich werde natürlich hinter den Kulissen mitmachen. Und wenn es unbedingt nötig wird, dann können Sie mich auch rufen, aber ich hoffe, daß es dazu nicht kommt.«
»Aber das ist doch albern«, sagte Seth Orinda. »Wie können wir Sie rufen, wenn keiner von uns je Ihren Namen gehört hat?«
Am Samstag abend, zwei Tage nach dem Treffen des Mieterverbandes von Forum East, waren Margot und Alex zu Gast bei Freunden, die ein kleines Abendessen gaben, und später fuhren sie gemeinsam zu Margot. Ihre Wohnung befand sich in einem weniger teuren Teil der Stadt als Alex' elegantes Apartment, und kleiner war sie auch, aber Margot hatte sie freundlich eingerichtet mit allerlei Antiquitäten, die sie im Laufe der Zeit zu günstigen Preisen zusammengekauft hatte. Alex fühlte sich wohl bei ihr.
Die Wohnung bildete einen starken Kontrast zu Margots Anwaltskanzlei.
»Du hast mir gefehlt, Bracken«, sagte Alex. Er saß bequem in Pyjama und Hausmantel, die er in Margots Wohnung aufbewahrte, in einem Queen Anne-Ohrensessel. Margot hatte sich auf den Teppich vor ihn hingekuschelt, den Kopf an seine Knie zurückgelehnt, während er sanft ihr langes Haar streichelte. Gelegentlich verirrten seine Finger sich - behutsam und erfahren begann er sie zu wecken, wie er es immer tat, und auf eine Weise, die sie liebte. Margot seufzte zufrieden. Bald würden sie ins Bett gehen. In beiden wurde das Verlangen größer, doch es lag ein exquisites Vergnügen darin, sich selbst das Warten aufzuerlegen.
Anderthalb Wochen hatten sie sich aufgrund ihrer Terminpläne nicht mehr gesehen.
»Wir holen die verlorenen Tage nach«, sagte Margot.
Alex schwieg. Dann sagte er: »Ich war den ganzen Abend darauf vorbereitet, daß du mich auf einem glühenden Rost grillst wegen Forum East. Aber du hast kein Wort davon erwähnt.«
Margot beugte ihren Kopf noch weiter zurück und betrachtete ihn jetzt verkehrt herum. Voller Unschuld fragte sie: »Warum sollte ich dich auf einem glühenden Rost grillen, Liebling? Die Geldbremse war doch wohl nicht deine Idee.« Ihre kleine Stirn legte sich in Falten. »Oder?«
»Du weißt verdammt gut, daß es nicht meine Idee gewesen ist.«
»Natürlich. Ebenso fest war ich davon überzeugt, daß du dich dagegen ausgesprochen hast.«
»Ja, allerdings.« Und resigniert fügte er hinzu: »Was dann ja auch sehr viel genützt hat.«
»Du hast getan, was du konntest. Mehr kann man von keinem verlangen.«
Alex betrachtete sie argwöhnisch. »Das alles paßt überhaupt nicht zu dir.«
»Inwiefern denn nicht?«
»Du bist eine Kämpfernatur. Das mag ich ja gerade so an dir. Du gibst nicht auf. Du nimmst eine Niederlage nicht so gelassen hin.«
»Vielleicht sind manche Niederlagen unvermeidlich. In dem Alex richtete sich kerzengerade auf. »Du führst etwas im Schilde, Bracken! Ich weiß es. Jetzt raus mit der Sprache: Was ist es?«
Margot überlegte, dann sagte sie langsam: »Ich gebe nichts zu. Aber selbst wenn du recht hättest mit deiner Vermutung, könnte es doch sein, daß du von manchen Dingen lieber nichts wissen solltest. Ich habe nicht die geringste Lust, Alex, dich in Verlegenheit zu bringen.«
Er lächelte, und seine ganze Zuneigung zu ihr sprach aus diesem Lächeln. »Du hast mir ja schon was gesagt. Gut, wenn du nicht magst, daß ich weiter bohre, dann lasse ich es. Eine Zusicherung von dir brauche ich aber: daß das, was du da vorhast, legal ist.«
Einen Augenblick lang schäumte Margots Temperament auf. »Der Anwalt hier bin ich. Was legal ist und was nicht, entscheide ich.«
»Selbst kluge weibliche Anwälte machen gelegentlich Fehler.«
»Dieses Mal nicht.« Sie schien den Streit fortsetzen zu wollen, dann gab sie nach. Ihre Stimme wurde sanft. »Du weißt doch, daß ich nichts unternehme, was gegen das Gesetz ist. Und du weißt auch, warum.«
»Ja, ich weiß es«, sagte Alex. Wieder ganz entspannt, strich er ihr weiter über das Haar.
Sie hatte ihm einmal, als sie sich schon gut kannten, anvertraut, wie sie zu ihrer Eins tellung gelangt war, Jahre zuvor und als Folge von Tragik und Tod.
Während ihres juristischen Studiums, das Margot im übrigen mit allen Ehren und Auszeichnungen absolvierte, hatte sie sich, wie es damals üblich war, an Aktivismus und Protest beteiligt. Es war die Zeit der zunehmenden amerikanischen Verstrickung in Vietnam und der erbitterten, tiefen Spaltung der Nation. Es war auch der Anfang von Unruhe und Wandel innerhalb der juristischen Berufe, eines Rebellierens der Jugend gegen die alteingesessenen Vertreter der Rechtsgelehrsamkeit und des Establishment. Es war die Zeit, die den Typ des kämpferischen Anwalts hervorbrachte, für den Ralph Nader als berühmtes und vielgelobtes Symbol stand.
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