Ein ambulantes Aufklärungskommando informierte jeden, der zuhören wollte, über Natur und Ursache des Geschehens.
Im Nu herrschte auf dem Flughafen ein Chaos. Hunderte von ergrimmten und gepeinigten Passagieren beschwerten sich bitterlich und hitzig bei den Fluggesellschaften, die ihrerseits die Flughafenverwaltung bestürmten. Diese aber zeigte sich ratlos und außerstande, Abhilfe zu schaffen. Andere Beobachter, die weder beteiligt waren noch sich in Leibesnöten befanden, erklärten die ganze Sache für eine Mordsgaudi. Gleichgültig und innerlich unbeteiligt blieb keiner.
Die Reporter der Nachrichtenmedien, die von Margot im voraus einen Tip bekommen hatten, waren in Bataillonsstärke zur Stelle. Journalisten wetteiferten darin, Reportagen zu schreiben, die von den Nachrichtenagenturen über die gesamte Nation verbreitet, dann international aufgegriffen und von so gegensätzlichen Publikationsorganen wie der »Iswestija«, dem Johannesburger »Star« und der Londoner »The Times« gedruckt wurden. Am nächsten Tag lachte die ganze Welt.
In den meisten Berichten erschien der Name Margot Bracken an prominenter Stelle. Es gab Andeutungen, daß weitere »Sit-ins« folgen würden.
Margots Rechnung, daß die Lächerlichkeit eine der schärfsten Waffen in jedem Arsenal ist, ging auf. Am Wochenende erklärte sich der Flughafen-Ausschuß zu Verhandlungen über die Lohnzahlungen an Pförtner, Hausmeister und Putzfrauen bereit, und wenig später wurden die Löhne heraufgesetzt. Ein weiteres Ergebnis bestand darin, daß die korrupte Gewerkschaft abgewählt wurde und eine pflichtbewußtere an ihre Stelle trat.
Jetzt rekelte Margot sich, rückte näher an Alex heran und murmelte dann: »Was war das für ein Verstand, den ich deiner Meinung nach habe?«
»Ein vertrackter Hexenverstand.«
»Ist das was Schlimmes? Oder was Gutes?«
»Für mich ist es gut. Erfrischend. Und meistens gefallen mir auch die Ziele, für die du kämpfst.«
»Aber nicht immer?«
»Nein, nicht immer.«
»Manchmal bewirken die Dinge, die ich tue, Feindschaft und Widerspruch. Und nicht zu knapp. Nehmen wir mal an, ich habe mich wegen einer Sache mißliebig gemacht, von der du nichts hältst, die dir vielleicht sogar lebhaft gegen den Strich geht. Nehmen wir mal an, unsere Namen würden bei so einem Anlaß in einem Atemzug genannt, wenn du ganz und gar nicht meiner Meinung bist und mit mir auf keinen Fall in Verbindung gebracht werden willst?«
»Na, ich werd's ertragen müssen. Außerdem habe ich das Recht auf ein Privatleben, ebenso wie du.«
»Und wie jede Frau«, stellte Margot fest. »Aber manchmal frage ich mich, ob du es wirklich ertragen könntest. Das heißt, wenn wir für immer zusammen wären. Ich werde mich nämlich nicht ändern; das mußt du von vornherein begreifen, Alex. Meine Unabhängigkeit könnte ich nicht aufgeben, und ich könnte auch nicht darauf verzichten, Initiativen zu ergreifen, wann immer ich will.«
Er dachte an Celia, die niemals irgendwelche Initiativen ergriffen hatte, wie sehr er es sich auch gewünscht hatte. Und er erinnerte sich, wie immer mit tiefem Bedauern, daran, was aus Celia geworden war. Aber er hatte etwas von ihr gelernt: Daß der Mann nie zu seinem Selbst findet, wenn die Frau, die er liebt, innerlich nicht frei ist, mit ihrer Freiheit nichts anzufangen weiß und sie nicht nutzt, um selbst Erfüllung zu finden.
Alex ließ die Hände auf Margots Schultern fallen. Durch das dünne seidene Nachthemd konnte er ihre duftende Wärme spüren, ihren weichen Leib fühlen. Sanft sagte er: »So, wie du bist, so liebe ich dich, und so will ich dich. Wenn du dich änderst, heuere ich sofort eine andere Anwältin an und verklage dich wegen Bruchs des Liebesversprechens.«
Seine Hände wanderten von ihren Schultern langsam und liebkosend tiefer herab. Er hörte, wie sie schneller atmete; einen Augenblick später wandte sie sich ihm drängend zu: »Zum Teufel noch mal, worauf warten wir noch?«
»Weiß Gott«, sagte er. »Komm ins Bett.«
Der Anblick war so ungewöhnlich, daß einer der Kreditbearbeiter der Filiale, Cliff Castleman, auf Edwinas Schreibtisch zusteuerte.
»Mrs. D'Orsey, haben Sie zufällig schon mal aus dem Fenster geschaut?«
»Nein«, sagte Edwina. Sie hatte sich auf die morgendliche Post konzentriert. »Warum denn?«
Es war Mittwoch, und die Uhr in der Cityfiliale der First Mercantile American zeigte fünf vor neun.
»Ich dachte, es würde Sie vielleicht interessieren«, sagte Castleman. »Da draußen steht eine Menschenschlange, wie ich sie noch nie vor Beginn der Schalterstunden erlebt habe.«
Edwina sah hoch. Mehrere Angestellte reckten die Hälse, um einen Blick aus den Fenstern werfen zu können. Es herrschte im Raum ein stärkeres Stimmengewirr, als es sonst zu dieser frühen Stunde üblich war. Sie spürte Unruhe und Besorgnis mitschwingen.
Edwina stand von ihrem Schreibtisch auf und ging die paar Schritte zu einem der riesigen Fenster hinüber, die Teil der Straßenfront des Gebäudes waren. Was sie da sah, war verblüffend. Eine lange Menschenschlange, in Vierer- oder Fünferreihen, wand sich vom Hauptportal an der gesamten Länge des Gebäudes entlang; wo die Schlange endete, konnte sie von hier aus nicht sehen. Allem Anschein nach warteten alle diese Leute auf die Öffnung der Bank.
Sie starrte ungläubig hinaus. »Was soll denn das, um alles in der Welt...«
»Einer von uns ist vorhin rausgegangen«, berichtete Castleman. »Die Schlange reicht bis halb über die Rosselli Plaza, und immer neue Menschen stellen sich an.«
»Hat irgend jemand gefragt, was die alle wollen?«
»Einer der Sicherheitsbeamten soll gefragt haben. Die Antwort war, sie wollten ein Konto einrichten.«
»Das ist doch lächerlich! Die alle? Allein von hier aus kann ich an die dreihundert Menschen sehen. Wir haben noch nie so viele neue Kunden an einem einzigen Tag gehabt.«
Der Kreditbearbeiter zuckte die Achseln. »Ich gebe nur wieder, was ich gehört habe.«
Tottenhoe, der Innenleiter, trat mit der üblichen brummigen Miene zu ihnen ans Fenster. »Ich habe die Sicherheitszentrale benachrichtigt«, sagte er zu Edwina. »Sie schicken mehr Wächter, und Mr. Wainwright ist auf dem Weg hierher. Sie haben auch die städtische Polizei benachrichtigt.«
Edwina konstatierte: »Nichts deutet auf Krawall hin. Die Leute machen einen friedlichen Eindruck.«
Es war eine gemischte Schar, wie sie erkennen konnte; etwa zwei Drittel waren Frauen, wobei Schwarze in der Überzahl waren. Viele von ihnen hatten Kinder dabei. Einige der Männer trugen einen Overall und sahen aus, als hätten sie gerade ihren Arbeitsplatz verlassen oder als seien sie auf dem Weg dahin. Andere trugen, was sie gerade vom Haken gegriffen hatten; einige wenige waren ausgesprochen gut gekleidet.
Die Menschen in der Schlange unterhielten sich miteinander, zum Teil lebhaft, aber niemand schien in feindseliger Stimmung zu sein. Einige bemerkten, daß sie beobachtet wurden, lächelten und nickten den Bankangestellten zu.
»Sehen Sie sich das an!« Cliff Castleman zeigte auf die Straße. Ein Fernseh-Team mit Kamera war auf der Szene erschienen. Während Edwina und die anderen zusahen, begannen die Männer zu filmen.
»Friedlich oder nicht«, sagte der Kreditmann, »es muß was dahinterstecken, daß alle diese Leute auf einmal herkommen.«
Wie ein Blitz kam Edwina die Erkenntnis. »Das ist Forum East«, sagte sie. »Ich gehe jede Wette ein, daß es mit Forum East zu tun hat.«
Mehrere andere, die ihren Schreibtisch in der Nähe hatten, waren herübergekommen und hörten zu.
Tottenhoe sagte: »Wir sollten erst öffnen, wenn die zusätzlichen Wächter hier sind.«
Alle Augen richteten sich auf die Wanduhr. Sie zeigte eine Minute vor neun.
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