Jetzt gingen sie auf Nolan Wainwrights Vorschlag in ein Konferenzzimmer und nahmen an einem runden Tisch Platz.
Hal Burnside wandte sich an die FBI-Agenten. »Ich hoffe, meine Herren, daß unsere Entdeckung es rechtfertigt, Sie zu dieser nächtlichen Stunde hergebeten zu haben.«
Dieses Treffen war offenbar schon vor etlichen Stunden geplant worden, schoß es Edwina durch den Kopf. »Sie haben also etwas entdeckt?« Es war weniger eine Frage als eine Feststellung.
»Leider sogar mehr als erwartet, Mrs. D'Orsey.«
Auf ein Kopfnicken von Burnside begann Revisionsassistent Gayne, Papiere auf dem Tisch auszubreiten.
»Auf Ihre Anregung hin«, begann Burnside im Tone eines Dozierenden, »wurden die persönlichen Bankkonten aller Angestellten der Cityfiliale überprüft, und zwar die Sparkonten sowie die Girokonten. Zweck unserer Suche war es, Hinweise auf etwaige individuelle finanzielle Schwierigkeiten zu finden. Wir haben schlüssige Hinweise dieser Art gefunden.«
Er redet wie ein Schulmeister, dachte Edwina. Aber sie hörte weiter gespannt zu.
»Ich sollte vielleicht erläuternd hinzufügen«, fuhr der Chefrevisor zu den beiden FBI-Männern gewandt fort, »daß die meisten Bankangestellten ihre persönlichen Konten bei der Filiale einrichten, in der sie arbeiten. Hauptsächlich, weil solche Konten gratis sind, das heißt, es werden keine Kontoführungsund Buchungsgebühren erhoben. Ein weiterer - und wichtigerer - Grund besteht darin, daß Angestellten bei Inanspruchnahme von Krediten ein besonders niedriger Zinssatz berechnet wird, der gewöhnlich um ein Prozent unter der Prime Rate liegt.«
Innes, der Ranghöhere der beiden FBI-Agenten, nickte. »Das ist uns bekannt.«
»Sie werden also auch verstehen, daß ein Angestellter, der seinen speziellen Bankkredit ausgenutzt hat - ja, ihn bis zur höchstmöglichen Grenze ausgeschöpft hat - und der darüber hinaus weitere Summen an anderer Stelle, etwa bei einer Finanzierungsgesellschaft, zu notorisch hohen Zinssätzen aufnimmt, sich in eine prekäre finanzielle Lage bringt.«
Innes sagte mit einem Hauch von Ungeduld: »Natürlich.«
»Allem Anschein nach sind wir auf einen Bankangestellten gestoßen, auf den das eben Gesagte genau zutrifft.« Er gab Gayne einen Wink, und der drehte jetzt mehrere entwertete Schecks um, die bisher mit der Oberseite nach unten auf dem Tisch gelegen hatten.
»Wie Sie bemerken, sind diese Schecks auf drei verschiedene Finanzierungsgesellschaften ausgestellt. Wir haben uns übrigens schon mit zwei dieser Gesellschaften telefonisch in Verbindung gesetzt und erfahren, daß beide Darlehenskonten, ungeachtet der Zahlungen, die, wie Sie sehen, erfolgt sind, erheblich mit ihren Raten im Rückstand sind. Es ist anzunehmen, daß uns die dritte Gesellschaft morgen früh eine ähnliche Geschichte erzählen wird.«
Gayne warf ein: »Und diese Schecks beziehen sich nur auf die Raten des laufenden Monats. Morgen werden wir uns die Mikrofilme über die erfolgten Kontoumsätze der zurückliegenden Monate ansehen.«
»Etwas Weiteres kommt noch hinzu«, fuhr der Chefrevisor fort. »Die betreffende Person hätte diese Zahlungen« - er zeigte auf die entwerteten Schecks - »auf keinen Fall auf der Grundlage eines Bankangestellten-Gehalts vornehmen können, dessen Höhe uns bekannt ist. Deshalb haben wir in den letzten Stunden nach Hinweisen auf einen Diebstahl innerhalb der Bank gesucht, und die haben wir jetzt gefunden.«
Wieder begann Gayne, der Assistent, neue Papiere auf den Konferenztisch zu legen.
... Hinweise auf einen Diebstahl innerhalb der Bank... jetzt gefunden . Edwina, die kaum noch zuhörte, starrte wie gebannt auf die Unterschrift auf den Scheckformularen - es war eine Unterschrift, die sie jeden Tag sah, die ihr vertraut war, kühn und klar in den Schriftzügen. Daß sie diese Unterschrift hier und jetzt sehen mußte, war ein Schock für sie.
Es war Eastins Unterschrift, die Unterschrift des jungen Miles, den sie so gern hatte, der sich als Assistent des Innenleiters so gut gemacht hatte, der so hilfsbereit und so unermüdlich fleißig war, auch heute abend noch, und den sie zu Tottenhoes Nachfolger hatte bestimmen wollen, sobald dieser in den Ruhestand trat.
Der Chefrevisor führte inzwischen weiter aus: »Unser Dieb hat heimlich in aller Stille ruhende Konten gemolken. Als wir heute abend erst einmal in einem Fall darauf gestoßen sind, waren andere nicht mehr schwer zu finden.«
Noch immer in der Art eines Vortragsredners begann er jetzt, zur Information der FBI-Männer ein ruhendes Konto zu definieren. Es handelte sich dabei um ein Spar- oder Girokonto, erklärte Burnside, auf dem selten oder nie eine Bewegung stattfand. Alle Banken hatten Kunden, die ihre Konten aus den verschiedensten Gründen über lange Zeit hinweg nicht anrührten, manchmal über viele Jahre hin, und oft waren die Beträge auf diesen Konten überraschend hoch. Auf den Sparkonten sammelten sich natürlich bescheidene Zinserträge an, und manche Leute mochten das als ausreichend betrachten, aber andere - so unwahrscheinlich es klingen mochte - nahmen von ihren Konten praktisch keine Notiz.
Wurde festgestellt, daß ein Girokonto inaktiv wurde - das heißt, es wurden weder Ein- noch Auszahlungen verbucht -, dann schickten die Banken keine monatlichen Kontenauszüge mehr, sondern nur noch jährliche. Selbst die kamen manchmal zurück mit dem postalischen Vermerk: Empfänger unbekannt verzogen.
Es gab routinemäßige Sicherheitsmaßnahmen, um den Mißbrauch von ruhenden Konten zu verhindern, fuhr der Chefrevisor fort. Die Kontenblätter wurden getrennt verwahrt; fand dann plötzlich eine Transaktion statt, wurde sie von einem Innenleiter geprüft, um sicherzustellen, daß es sich um eine legitime Geldbewegung handelte. Normalerweise hatten sich diese Sicherheitsmaßnahmen bewährt. Als stellvertretender Innenleiter war Miles Eastin berechtigt, Transaktionen auf ruhenden Konten zu prüfen und zu genehmigen. Er hatte diese Vollmacht genutzt, um sich selber an diesen Konten zu bereichern.
»Eastin ist recht geschickt vorgegangen; er hat Konten ausgewählt, die aller Wahrscheinlichkeit nach nie Schwierigkeiten machen würden. Hier haben wir eine Reihe gefälschter Lastschriftzettel, sie sind allerdings nicht sehr geschickt gefälscht, denn es sind deutliche Spuren seiner Handschrift zu erkennen. Die Beträge scheinen auf ein Tarnkonto übertragen worden zu sein, das er unter einem falschen Namen eröffnet hat. Es besteht sogar eine auf den ersten Blick erkennbare Ähnlichkeit der Handschrift, doch hier wird man natürlich das Gutachten eines Sachverständigen einholen müssen.«
Stück um Stück betrachteten sie die Lastschriftzettel und verglichen die Handschrift mit derjenigen auf den Schecks, die sie vorhin geprüft hatten. Eine gewisse Verstellung war versucht worden, aber die Ähnlichkeit war unverkennbar.
Der zweite FBI-Agent, Dalrymple, hatte sich aufmerksam Notizen gemacht. Jetzt blickte er auf und sagte: »Ist schon die Gesamtsumme der Beträge ermittelt, um die es geht?«
Gayne antwortete: »Bisher haben wir nahezu achttausend Dollar festgestellt. Morgen prüfen wir ältere Buchungen per Mikrofilm und Computer; möglicherweise wird sich die Summe dann erhöhen.«
Burnside fügte hinzu: »Wenn wir Eastin mit dem konfrontieren, was wir jetzt schon wissen, wird er sich vielleicht entschließen, uns die Arbeit zu erleichtern, indem er den Rest gesteht. Das haben wir in ähnlichen Fällen von Untersuchungen schon oft erlebt.«
Er scheint das zu genießen, dachte Edwina, wirklich zu genießen! Gegen jede Vernunft hätte sie Miles Eastin am liebsten verteidigt, doch dann fragte sie: »Haben Sie eine Vorstellung, wie lange das schon im Gange ist?«
»Soweit wir das bis jetzt beurteilen können, sieht es nach mindestens einem Jahr aus, möglicherweise auch länger«, antwortete Gayne.
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