Obwohl ihr Mann ihr vorexerzierte, wie man Steuern vermeiden konnte, ging Edwina hier ihre eigenen Wege, füllte ihre eigenen Steuererklärungen aus und zahlte höhere Steuern als Lewis, obwohl sie weit weniger verdiente als er. Aber die gemeinsamen Rechnungen bezahlte Lewis - er zahlte für das Penthouse, für die Angestellten, für die beiden Mercedeswagen und andere Luxusdinge.
Edwina gestand sich selbst gegenüber ehrlich ein, daß der großartige Lebensstil, den sie aus Herzenslust genoß, bei ihrer Entscheidung, Lewis zu heiraten und sich auf diese Ehe einzustellen, eine Rolle gespielt hatte. Doch sie hatten sich beide arrangiert, es funktionierte gut, sie behielten ihre Unabhängigkeit und ihre getrennten Karrieren.
»Im Augenblick wünschte ich«, sagte sie, »deine tiefe Einsicht reichte so weit, daß du mir sagen könntest, wohin am Mittwoch all das viele Geld bei uns verschwunden ist.«
Lewis blickte von seinem Frühstück auf, das er ingrimmig attackiert hatte, so als seien die Eier seine persönlichen Feinde. »Das Geld ist noch immer verschwunden? Dann hat das wackere FBI mal wieder nichts rausgekriegt?«
»So könnte man es auch nennen.« Sie erzählte ihm von der Sackgasse, in der die Ermittlungen jetzt steckten, und von ihrer Absicht, die Kassiererin noch heute zu entlassen.
»Und danach wird wohl keiner sie je wieder einstellen.«
»Eine andere Bank ganz bestimmt nicht.«
»Sagtest du nicht, daß sie ein Kind hat?«
»Ja, leider.«
»Zwei neue Anwärter für die langen Listen der Fürsorge«, bemerkte Lewis düster.
»Ach, nun mach mal 'n Punkt und spar dir die Birch-Klagen für deine Leser auf.«
Ein zerklüftetes Lächeln erschien - was äußerst selten geschah - auf dem Gesicht ihres Mannes. »Verzeih. Aber ich bin es nicht gewöhnt, daß du Rat brauchst. Kommt nicht sehr oft vor.«
Das war ein Kompliment, wie Edwina wohl wußte. Zu den Vorzügen ihrer Ehe gehörte es, daß Lewis sie immer als intellektuell gleichberechtigt behandelt hatte. Er hatte es zwar nie ausgesprochen, aber sie wußte, daß er auf ihren hohen Rang in der FMA-Hierarchie sehr stolz war - schließlich gab es in jenen Höhen auch heute noch nicht viele Frauen in der männerchauvinistischen Welt des Bankgewerbes.
»Natürlich kann ich dir auch nicht verraten, wo das Geld ist«, sagte Lewis; er schien nachgedacht zu haben. »Aber ich gebe dir einen Rat, der mir in ähnlich vertrackten Situationen schon geholfen hat.«
»Ja? Ich höre.«
»Er lautet: Mißtraue dem Offensichtlichen.«
Edwina war enttäuscht. Vielleicht hatte sie unlogischerweise so etwas wie eine Wunderlösung erwartet. Statt dessen hatte Lewis eine lendenlahme alte Bauernweisheit verkündet.
Sie warf einen Blick auf die Uhr. Es war beinahe acht. »Danke«, sagte sie. »Ich muß gehen.«
»Ach, ich fliege übrigens heute abend nach Europa«, sagte er. »Ich bin Mittwoch wieder da.«
»Gute Reise.« Im Gehen gab Edwina ihm einen Kuß. Die beiläufige Mitteilung hatte sie nicht überrascht. Lewis hatte Büros auch in Zürich und London, und sein Kommen und Gehen war das Selbstverständlichste von der Welt.
Sie fuhr in dem Privat-Lift, der das Penthouse mit der Kellergarage verband, nach unten.
Obwohl sie den Ratschlag, den Lewis ihr gegeben hatte, nicht für besonders wertvoll hielt, wollten ihr während der Fahrt zur Bank seine Worte: Mißtraue dem Offensichtlichen nicht aus dem Sinn gehen.
Ein Gespräch mit den beiden FBI-Agenten am Vormittag war kurz und unergiebig.
Es fand im Konferenzraum im hinteren Teil der Bank statt. Hier hatten die FBI-Männer während der vorangegangenen beiden Tage Angestellte vernommen. Am heutigen Gespräch nahmen Edwina und Nolan Wainwright teil.
Der Ranghöhere der beiden Beamten, der Innes hieß und mit dem typischen Akzent der Leute aus New England sprach, gestand Edwina und dem Sicherheitschef der Bank: »Unsere Untersuchung hat sich festgefahren. Der Fall bleibt offen, und Sie hören von uns, wenn neue Tatsachen ans Licht kommen«, setzte er hinzu. »Falls sich hier etwas ergibt, benachrichtigen Sie sofort das Federal Bureau of Investigation.«
»Natürlich«, sagte Edwina.
»Ach, etwas wäre da doch noch, allerdings etwas Negatives.« Der FBI-Mann schlug sein Notizbuch auf. »Der Mann dieser Mrs. Nünez - Carlos. Einer von Ihren Leuten glaubte, ihn an dem Tag, an dem das Geld verschwunden ist, in der Bank gesehen zu haben.«
Wainwright sagte: »Miles Eastin. Er hat es mir gemeldet. Ich habe die Information weitergegeben.«
»Ja, wir haben Eastin danach gefragt; er gab zu, daß er sich geirrt haben könnte. Wir haben Carlos Nünez ausfindig gemacht. Er lebt jetzt in Phoenix, Arizona; hat da einen Job als Autoschlosser. Unsere Agenten in Phoenix haben ihn befragt. Nach ihren Feststellungen war er am Mittwoch an seinem Arbeitsplatz, wie jeden Tag in dieser Woche. Damit scheidet er als Komplice aus.«
Nolan Wainwright begleitete die FBI-Agenten hinaus. Edwina kehrte zu ihrem Schreibtisch auf der Plattform zurück. Wie die Vorschrift es verlangte, hatte sie den Verlust des Geldes ihrem unmittelbaren Vorgesetzten in der Hauptverwaltung gemeldet, und die Sache schien weiter nach oben bis zu Alex Vandervoort gedrungen zu sein. Alex hatte gegen Abend angerufen und gefragt, ob er ihr in irgendeiner Weise behilflich sein könne. Sie hatte es dankend abgelehnt, da sie schließlich die Verantwortliche war und was zu tun war selber erledigen mußte.
An diesem Morgen hatte sich an der ganzen Sache nichts geändert.
Kurz vor Mittag wies Edwina Tottenhoe an, die Gehaltsabteilung davon in Kenntnis zu setzen, daß das Angestelltenverhältnis von Juanita Nünez mit diesem Tage enden würde. Die Abteilung möge die letzte Gehaltsabrechnung fertigmachen und herüberschicken. Der Scheck, von einem Boten gebracht, lag auf Edwinas Schreibtisch, als sie vom Essen zurückkam.
Zögernd und mit einem unguten Gefühl wendete Edwina den Scheck hin und her.
In diesem Augenblick arbeitete Juanita Nünez noch. Das hatte Edwina gestern entschieden, sehr zum Verdruß Tottenhoes, der brummig eingewandt hatte: »Je eher wir sie los sind, desto sicherer sind wir vor Wiederholungen.« Sogar Miles Eastin, der nun wieder an seinem Schreibtisch saß und seine Arbeit als stellvertretender Innenleiter fortsetzte, hatte die Augenbrauen verwundert hochgezogen. Trotzdem war Edwina bei ihrer Entscheidung geblieben.
Sie wunderte sich über sich selbst. Warum machte sie sich solche Gedanken, wo doch offensichtlich die Zeit gekommen war, einen Schlußstrich zu ziehen und die ganze Sache zu vergessen.
Offensichtlich die Zeit gekommen war... Die offensichtliche Lösung. Wieder fiel ihr ein, was Lewis gesagt hatte - mißtraue dem Offensichtlichen.
Aber wie? Wo sollte sie anfangen mit dem Mißtrauen?
Edwina befahl sich selbst: Durchdenke alles noch einmal. Fange ganz von vorn an.
Welches waren die offensichtlichen Aspekte des Zwischenfalles? Das erste Offensichtliche war die Tatsache, daß Geld verschwunden war. Hier gab es nichts zu deuteln. Das zweite Offensichtliche war die Summe von sechstausend Dollar. Das hatten vier Personen übereinstimmend festgestellt: Juanita Nünez selbst, Tottenhoe, Miles Eastin, schließlich noch der Tresorraum-Kassierer. Nicht strittig.
Das dritte offensichtlich gewordene Moment bezog sich auf die Angabe der Mrs. Nünez, daß sie um 13.50 Uhr die genaue Summe des Geldes kannte, das aus ihrem Fach verschwunden war; sie hatte diese Angabe nach fast fünfstündiger lebhafter Schaltertätigkeit gemacht und bevor sie ihren Bestand durchgezählt und nachgerechnet hatte. Alle anderen in der Filiale, die von dem Verlust wußten, Edwina selbst inbegriffen, erklärten das übereinstimmend für offensichtlich unmöglich; das war von Anfang an ein wichtiges Belastungsmoment gegen Juanita Nünez gewesen.
Читать дальше