Jetzt, im Schlafzimmer seiner Wohnung, wählte sie aus einem Schubfach, das Alex ihr eingeräumt hatte, ein Nachthemd aus. Als sie es übergestreift hatte, löschte Margot das Licht.
Schweigend lagen sie in der tröstlichen Gemeinsamkeit des dunklen Zimmers nebeneinander. Dann sagte Margot: »Du hast heute Celia besucht, nicht wahr?«
Überrascht drehte er sich zu ihr um. »Woher weißt du das?«
»Man merkt es jedesmal. Es ist nicht leicht für dich.« Sie fragte: »Möchtest du darüber sprechen?«
»Ja«, sagte er, »ich glaube schon.«
»Du machst dir noch immer Vorwürfe, nicht wahr?«
»Ja.« Er erzählte ihr von seiner Begegnung mit Celia, von dem anschließenden Gespräch mit Dr. McCartney und der Meinung des Psychiaters darüber, wie sich eine Scheidung und seine Wiederverheiratung wahrscheinlich auf Celia auswirken würden.
Margot sagte mit Entschiedenheit: »Dann darfst du dich nicht von ihr scheiden lassen.«
»Wenn ich es nicht tue«, erwiderte Alex, »dann kann es für dich und für mich nichts Beständiges geben.«
»Wieso denn nicht? Ich habe dir von Anfang an gesagt, es wird zwischen uns genauso beständig sein, wie wir beide es wollen. Die Ehe ist keine Garantie für Beständigkeit mehr. Wer glaubt denn heute wirklich noch an die Ehe, abgesehen von ein paar alten Bischöfen?«
»Ich glaube dran«, sagte Alex. »Und zwar stark genug, um sie für uns zu wollen.«
»Na gut, dann führen wir eben eine Ehe - auf unsere Art. Liebling, ich brauche absolut kein amtliches Papier, auf dem mir bescheinigt wird, daß ich verheiratet bin, denn amtliche Papiere sehe ich jeden Tag genug, und sie imponieren mir nicht mehr sehr. Ich habe dir gesagt, daß ich bereit bin, mein Leben mit dir zu teilen - von ganzem Herzen und von ganzer Seele. Aber das, was von Celias geistiger Gesundheit noch vorhanden ist, in eine Grube ohne Boden zu stoßen, das will ich nicht auf mein Gewissen laden, und ich will auch nicht, daß du dir so etwas auflädst.«
»Ich weiß, ich weiß. Es stimmt ja alles, was du sagst.« Seine Antwort klang nicht überzeugend.
Mit leiser Stimme versuchte sie ihn zu trösten: »Mit dem, was wir haben, bin ich so glücklich wie noch nie in meinem ganzen Leben. Du bist es, der mehr will; ich nicht.«
Alex seufzte, und wenig später schlief er ein.
Als sie ganz sicher war, daß er fest und tief schlief, zog Margot sich an, küßte ihn ganz zart und verließ die Wohnung.
Während Alex Vandervoort einen Teil jener Nacht allein schlief, sollte Roscoe Heyward die ganze Nacht in Einsamkeit verbringen.
Noch aber schlief er nicht.
Heyward war zu Hause, in seinem geräumigen zweistöckigen Haus in dem Vorort Shaker Heights. Er saß an einem lederbezogenen Schreibtisch in dem etwas steif möblierten kleinen Zimmer, das ihm als Arbeitszimmer diente. Vor ihm waren Papiere ausgebreitet.
Seine Frau Beatrice war vor fast zwei Stunden nach oben und zu Bett gegangen. Die Schlafzimmertür hatte sie hinter sich verschlossen, wie sie es nun schon seit zwölf Jahren tat, seit dem Tag, an dem sie - in gegenseitiger Übereinstimmung - getrennte Schlafquartiere bezogen hatten.
Daß Beatrice ihre Tür zu verschließen pflegte, und zwar in einer für sie typischen herrischen Art, hatte Heyward nie als Kränkung empfunden. Schon lange vor ihrem Auszug aus dem gemeinsamen Schlafzimmer waren ihre sexuellen Begegnungen immer seltener geworden und hatten sich schließlich im Nichts verloren.
Im wesentlichen, meinte Heyward, wenn er gelegentlich darüber nachdachte, war es Beatrices Entscheidung gewesen, mit dem Sexuellen endgültig Schluß zu machen. Schon in den ersten Jahren ihrer Ehe hatte sie zu verstehen gegeben, daß sie im Prinzip eine Abneigung gegen dieses Tasten und Keuchen empfand, wenn auch ihr Körper zuzeiten danach verlangte. Früher oder später, ließ sie durchblicken, werde ihr Wille dieses ziemlich widerwärtige Verlangen überwinden, und so war es auch gekommen.
In einem seiner seltenen selbstironischen Momente war Heyward die Erkenntnis gekommen, daß Elmer, ihr einziger Sohn, eigentlich genau das widerspiegelte, was Beatrice zum Thema seiner Empfängnis und Geburt empfand - nämlich Abneigung gegen ein ziemlich kränkendes, durch nichts zu rechtfertigendes Eindringen in ihre körperliche Privatsphäre. Elmer, nun bald dreißig Jahre alt und ein staatlich examinierter Wirtschaftsprüfer, verbreitete eine Aura der absoluten Mißbilligung um sich und stolzierte durchs Leben, als hielte er sich die Nase mit Zeigefinger und Daumen zu, um sich vor dem Gestank zu schützen. Sogar Roscoe Heyward konnte Elmer bisweilen nur schwer ertragen.
Heyward selbst hatte die sexuelle Zwangsabstinenz klaglos hingenommen, teils, weil er vor zwölf Jahren einen Punkt erreicht hatte, an dem er diese Dinge tun, sie aber auch sehr gut lassen konnte; teils, weil sein Ehrgeiz in der Bank inzwischen zu seiner zentralen Antriebskraft geworden war. Wie eine Maschine, die nicht mehr gebraucht wird, war deshalb sein sexuelles Verlangen geschrumpft und geschwunden. Jetzt regte es sich nur noch äußerst selten - und nur in mildester Form; und dann stimmte es ihn ein bißchen traurig in Erinnerung an einen Teil seines Lebens, über dem sich der Vorhang allzufrüh gesenkt hatte.
In anderer Hinsicht aber, gestand sich Heyward ein, war Beatrice gut für ihn gewesen. Sie entstammte einer tadellosen Bostoner Familie, und in ihrer Jugend war sie, wie es sich gehörte, als »Debütantin« in die Gesellschaft eingeführt worden. Auf ihrem Debütantinnenball war Roscoe, steif wie ein Ladestock, in Frack und weißen Handschuhen, ihr in aller Form vorgestellt worden. Später kam es zur einen oder anderen Verabredung, natürlich immer im Beisein von Anstandspersonen; darauf folgte eine Verlobungszeit von angemessener Dauer, und zwei Jahre nach ihrem ersten Tanz waren sie verheiratet. Die gesamte gute Gesellschaft von Boston hatte an der Hochzeit teilgenommen; Heyward erinnerte sich noch heute mit Stolz daran.
Damals wie jetzt teilte Beatrice Roscoes Vorstellungen über den Wert von gesellschaftlicher Stellung und gesellschaftlichem Ansehen. Beides hatte sie weiter gefestigt durch langen Dienst an der Sache der >Töchter der amerikanischen Revolutionc, zu deren General-Schriftführerin sie inzwischen aufgestiegen war. Roscoe war stolz darauf und entzückt über die hervorragenden gesellschaftlichen Kontakte, die dieses Amt mit sich brachte. Beatrice und ihrer glanzvollen Familie hatte eigentlich nur eines gefehlt - nämlich Geld. In diesem Augenblick wünschte Roscoe Heyward sich, wie schon so oft, mit Inbrunst, daß seine Frau eine reiche Erbin wäre.
Die größte Sorge, die Roscoe und Beatrice im Augenblick belastete, war dieselbe, die sie schon immer begleitet hatte: Es war die Sorge, wie sie ihr Leben mit Roscoes Gehalt bestreiten sollten.
Die Zahlen, mit denen er sich an diesem Abend befaßte, bewiesen Roscoe Heyward, daß ihre Ausgaben in diesem Jahr ihre Einnahmen erheblich übersteigen würden. Im April nächsten Jahres würde er Geld aufnehmen müssen, um seine Einkommensteuer bezahlen zu können. Das war bereits im laufenden Jahr nötig gewesen, wie auch im Jahr zuvor. Es hätte noch mehr solche r Jahre gegeben, wenn er nicht bisweilen Glück bei einigen Investitionen gehabt hätte.
Bestimmt hätten viele mit sehr viel geringerem Einkommen nur gelacht bei dem Gedanken, daß ein Vizepräsidentengehalt von 65000 Dollar im Jahr nicht für ein gutes Leben und womöglich noch für schöne Rücklagen reichen sollte. Tatsächlich aber reichte es für die Heywards nicht.
Zunächst einmal ging mehr als ein Drittel der Bruttosumme für die Einkommensteuer drauf. Danach verlangten die erste und die zweite Hypothek, die auf dem Hause lagen, jährliche Zahlungen von weiteren 16000 Dollar, während die Gemeindesteuern 2500 Dollar verschlangen. Blieben 23000 Dollar übrig - oder rund 450 Dollar pro Woche - für sämtliche anderen Ausgaben wie Reparaturen, Versicherungen, Lebensmittel, Kleidung, Auto für Beatrice (die Bank stellte Roscoe bei Bedarf einen Wagen mit Fahrer aus dem Fuhrpark zur Verfügung), Lohn für die Haushälterin, die gleichzeitig Köchin war, Spenden für wohltätige Organisationen und dazu eine schier unglaubliche Zahl kleinerer Posten, die sich zu einer deprimierenden Summe addierten.
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