»Weißt du, Egomo«, begann die Frau das Gespräch, »im Grunde ist mir genauso unwohl wie dir. Aber die Männer wissen, was sie tun, glaube mir. Maloney und Sixpence machen so etwas nicht zum ersten Mal. Nun, genau genommen machen sie es doch zum ersten Mal, aber sie verfügen über jahrelange Erfahrung.« Elieshi versuchte sich selbst Mut zuzusprechen, das spürte Egomo genau. In Wahrheit hatte sie genauso viel Angst wie er, und das machte sie verletzlich. Eigentlich waren ihm die vier Menschen alle sympathisch, angefangen mit dem schroffen, aber warmherzigen
Jäger, über seinen Kollegen Sixpence, der gute Laune verströmte und, so wie er selbst, immer barfuss herumlief, bis hin zu Elieshi, die ein großes Herz hatte und viel Verständnis für ihn und sein Volk aufzubringen schien, eine Eigenschaft, die leider sehr selten war. Ein ganz besonderes Verhältnis aber hatte er zu dem bleichen, schüchternen Mann namens David. Er schien so gar nicht in diese Gruppe passen zu wollen, wirkte ängstlich und unsicher. Und doch hatte er mehr Grund, hier zu sein, als alle anderen. Seit ihm Egomo vor zwei Nächten zum ersten Mal begegnet war, empfand er ein starkes Band zwischen sich und ihm. Ein Band, das weit über Freundschaft hinausging. Er war sein Bruder im Geiste, und Egomo war sich sicher, dass sie sich in einem früheren Leben schon einmal begegnet waren. Außerdem spürte er, dass David eine besondere Aufgabe zukam. Er wusste nicht, was das sein würde, aber es hatte etwas mit ihm selbst, dem See, Mokele und der weißen Forscherin zu tun, deren Schicksal immer noch ungeklärt war. David würde all diese losen Enden zusammenführen und der Geschichte einen Sinn geben, da war er sich sicher.
Plötzlich sprang Elieshi auf.
Das Wasser draußen auf dem See sprudelte auf, und die Köpfe der drei Taucher erschienen an der Oberfläche. Egomo warf die Zigarette fort und sandte ein Stoßgebet zu den Göttern.
*
Ich fühlte mich wie neu geboren, als wir alle wieder wohlbehalten im Boot saßen. Der Pfeil mit seiner wertvollen Ladung war sicher in einer Kühlkartusche verstaut. Immer noch vor Aufregung zitternd, versuchte ich mich vom Taucheranzug zu befreien. Sixpence half mir den Helm abzunehmen, und schon bald spürte ich die warme Luft auf meiner Haut. Der Sonnenschein und das fröhliche Tschilpen von Senegalschwalben, die dicht über das Wasser zischten und Insekten fingen, taten das Übrige, um die Angst der letzten Stunde abzuschütteln.
Wir hatten es geschafft. Die Harpune lag vor unseren Füßen, die gläserne Kammer im Pfeil bis zum Rand gefüllt. Das Himmelfahrtskommando war geglückt. Ich lehnte mich zurück. Wenn wir wieder an Land waren, musste ich nur noch eine Analyse des Gewebes machen, den Rest für die Heimfahrt einfrieren und nach Emily suchen. Von mir aus konnte Lady Palmbridge dann die Menschheit retten, wenn ihr der Sinn danach stand. Ich für meinen Teil würde glücklich und zufrieden in meine Heimat zurückkehren und möglichst schnell möglichst viel Gras über die Sache wachsen lassen.
»Kennen Sie eigentlich die Sage von Beowulf?«, fragte ich die beiden Männer mit einem schelmischen Grinsen, als diese ebenfalls ihre Helme abgelegt hatten. Six-pence zog die Stirn in Falten. »Beowulf? Nein, nie gehört. Du, Stewart?«
»Eine alte englische Heldensage, nicht war?«
»Nicht irgendeine. Die älteste englische Sage überhaupt. Zumindest wenn man von der schriftlichen Überlieferung spricht. Sie handelt von dem Helden Beowulf, der mit seinen Mannen auszieht, um ein befreundetes Königreich von einem schrecklichen Ungeheuer zu befreien. Dem Ungeheuer Grendel, das zusammen mit seiner Mutter auf dem Grunde eines Sees lauert und jede Nacht an Land kommt, um sich einen Menschen zum Fressen zu holen. Beowulf stellt sich dem Monster und liefert ihm einen Kampf mit bloßer Faust, bei dem das Ungeheuer seinen Arm verliert. Tödlich verletzt kehrt es heim, um auf dem Grund des Sees zu sterben.«
»Und alle leben glücklich und zufrieden bis an ihr Lebensende«, grinste Sixpence.
»Weit gefehlt«, sagte ich. »In der darauf folgenden Nacht kommt die Mutter, ein noch viel abscheulicheres Monster, um den Tod ihres Sohnes zu rächen. Sie tötet Beowulfs besten Freund und nimmt ihn mit sich. Der Held, tief erschüttert von dieser Bluttat, taucht hinab in den See, wo er einen riesigen Palast entdeckt, in dem Schätze und Waffen gehortet werden. Unter anderem entdeckt er dort ein Zauberschwert. Es kommt zum entscheidenden Kampf, doch die Kontrahenten sind sich an Kraft ebenbürtig. Beowulfs Schwert kann die lederne Haut des Wesens nicht durchdringen, doch da erinnert er sich an das Zauberschwert. Er rennt zurück, holt es und durchbohrt das Monster.«
»Und jetzt endlich lebten alle glücklich und zufrieden bis an ihr Lebensende.«
»Genau. Und das hat ziemlich lange gedauert, denn Beowulf wurde steinalt.«
Sixpence schüttelte den Kopf in gespieltem Ekel. »Blutrünstige Geschichte. Ich glaube nicht, dass ich ...«
Ein schwerer Schlag erschütterte unser Boot.
Zuerst dachte ich, wir seien auf Grund gelaufen, doch an Maloneys Haltung erkannte ich, dass etwas anderes geschehen war. Er deutete auf den See, und in seinen Augen leuchtete das blanke Entsetzen. Eine Rückenflosse zerteilte das Wasser zu unserer Rechten, schlug einen Bogen nach links und steuerte dann wieder auf uns zu.
»Festhalten!«, schrie er.
Ein weiterer Schlag traf das Schlauchboot, wirbelte es herum und brachte es beinahe zum Kentern. Eine große Welle schwappte über uns hinweg. Der Motor erlosch mit einem Stottern, als Wasser in die Lüftungsschlitze drang. Ich schlang meinen Arm um eines der Halteseile und starrte entsetzt auf die Bugwelle, die der subaquati-sche Angreifer hinter sich herzog, während er Kurs auf die Mitte des Sees nahm.
Uns trennten nur noch etwa hundert Meter vom Ufer. Zu weit weg, um zu schwimmen, aber zu nah, um schon jede Hoffnung zu verlieren. Verdammt.
»Und was tun wir jetzt?«, rief ich verzweifelt. »Meinen Sie, er kommt zurück?«
»Mit Sicherheit«, brüllte Maloney und griff nach der Harpune mit den Giftpfeilen. »Six', kümmere dich um den Motor. Ich versuch uns den Angreifer vom Leibe zu halten. Der soll nur kommen. Dann wird er schnell merken, dass er sich den Falschen für seine Spielchen ausgesucht hat!«
Er hatte den Satz noch nicht ganz beendet, da wendete die Rückenflosse und nahm wieder Kurs auf uns.
E gomo spürte, wie sein Herz von einer eiskalten Faust zusammengedrückt wurde. Er sah den grünfleckigen Rücken, der hinter dem Schlauchboot in die Höhe schoss. Dann hörte er Elieshi kreischen. Das Wasser um das Schlauchboot schien zu kochen. Gischt spritzte empor. Hilflos musste er mit ansehen, wie das Wesen aus der Tiefe den drei Männern im Boot zusetzte. David hatte sich hingeworfen, während Sixpence versuchte, den Motor wieder in Gang zu setzen. Maloney war der Einzige, der noch auf seinen zwei Beinen stand. Hocherhoben stand er da und stellte sich dem Angreifer. In seiner Hand hielt er eine von diesen seltsam geformten Waffen, die die Weißen Harpunen nannten. Egomo wusste nicht viel von diesen Geräten, er bezweifelte aber, dass ein Ungeheuer von diesen Ausmaßen sich von solch einer mickrigen Waffe aufhalten ließ, mochte der Schütze auch noch so gut sein. Trotzdem bewunderte er den Mut dieses Mannes, der sich ganz allein der Urzeitechse zum Kampf stellte. Er schien die Ruhe selbst zu sein, während er abwartete, bis Mokele sich so weit näherte, dass er Gelegenheit zu einem guten Schuss hatte. Und diese Gelegenheit kam.
Als der Kongosaurier feststellen musste, dass er das Boot nicht zum Kentern bringen konnte, verlegte er sich auf eine andere Taktik. Er tauchte auf und griff das Team oberhalb der Wasserlinie an.
Egomo sah, wie der riesige Kopf auf die Männer zu schoss, und umklammerte seine Armbrust.
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