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Maloney stand breitbeinig neben mir, als Mokele direkt neben uns aus dem Wasser schoss. Er war vielleicht fünf oder sechs Meter vom Boot entfernt, und der faulige Fischgeruch, der von ihm ausging, war so intensiv, dass es mir den Atem verschlug. Die grün gefleckte Haut war über und über mit Algen bewachsen und sah aus wie die Oberfläche eines bemoosten Felsens, nur mit dem Unterschied, dass sich kräftige Muskeln darunter abzeichneten. Der lange, geschwungene Hals war mindestens vier Meter lang und trug einen Kopf, der nur mit viel Mühe als saurierähnlich bezeichnet werden konnte. Zwar hatte ich diesen Kopf schon in Emilys Video und bei unserem Tauchgang gesehen, aber in beiden Fällen waren die Sichtverhältnisse schlecht gewesen. Jetzt, bei Tageslicht, erkannte ich, das sein Gesicht dem eines Fisches ähnelte, bei dem die Augen nicht seitlich am Kopf saßen, sondern über die lang gestreckte Schnauze nach vorne schauten, was ihm einen überaus intelligenten Ausdruck verlieh. Das Horn, das ich schon in Emilys Video gesehen hatte, überragte den Hinterkopf wie ein antiker Helm. Wo die Ohren hätten sein müssen, ragten fächer-förmige Auswüchse aus dem Schädel. Das Furchterregendste an ihm aber war sein Maul. Es hatte eindeutig Ähnlichkeit mit dem eines Hais. Schmal, breit und bestückt mit einer der schrecklichsten Waffen, die im Tierreich zu finden war, dem Revolvergebiss. Deutlich sah ich mehrere Zahnreihen, die sich von hinten nach vorn schoben, bereit, beim Ausfallen oder Abbrechen eines Zahns sofort für Nachschub zu sorgen.
Das konnte unmöglich ein Saurier sein, jedenfalls keiner von der Sorte, wie sie uns in Büchern oder computeranimierten Dokumentarfilmen präsentiert wurden. Entweder hatten sich die Gelehrten alle geirrt, oder das hier war etwas anderes. Mir blieb keine Zeit für weitere Überlegungen, denn in diesem Augenblick schnellte der Kopf vor, und das Gebiss schnappte über unseren Köpfen in die Luft. Ein grässliches Klicken ertönte, wie bei einem Bulldozer, dessen stählerne Fänge einen Betonblock pulverisierten. Das war die Gelegenheit, auf die Maloney gewartet hatte. Er feuerte in den Hals des Tieres, lud nach und feuerte erneut. Das geschah so blitzschnell, dass er einen dritten Pfeil auf die Sehne gelegt hatte, als das Tier mit einem wütenden Schnauben in den Tiefen des Sees verschwand. Das alles hatte nur wenige Sekunden gedauert.
»Das war's, du Mistvieh«, schrie Maloney triumphierend. »Ich habe dich gewarnt.«
»Sind Sie sicher, dass ihm diese Pfeile überhaupt etwas anhaben können?« Ich zitterte am ganzen Körper. Meine Hände wollten die Halteseile nicht mehr loslassen.
»Wissen Sie, womit diese Pfeile gefüllt sind, Mr. Astbury?«
Ich schüttelte den Kopf.
»Mit Curare, dem tödlichsten Nervengift auf der Welt. Die Dosis eines Pfeils würde genügen, um eine Elefantenherde zu erlegen. Die Wirkung ist schneller als die Leitfähigkeit der Nerven. Das heißt: Sie sind bereits tot, ehe Ihr Gehirn überhaupt bemerkt, dass Sie getroffen wurden. Glauben Sie mir, während wir uns hier unterhalten, liegt Mokele bereits tot auf dem Grund dieses Sees.« Er lächelte verschlagen. »Bei einem solch gewaltigen Reptil können Sie mit Kugeln zu wenig ausrichten. Ich habe geahnt, dass so etwas passieren würde, und mich entsprechend vorbereitet.«
»Diesmal scheint es nicht geklappt zu haben.« Voller Schrecken wies ich auf die Wasseroberfläche, unter der sich deutlich eine Bewegung abzeichnete.
Maloneys Augen schienen aus ihren Höhlen zu treten.
»Unmöglich«, murmelte er, und zum ersten Mal während unserer gesamten Reise glaubte ich, Anzeichen von Furcht in seinen Augen zu bemerken. »Das kann nicht sein. Kein Tier hätte diese Dosis überlebt, nicht mal ein Wal. Es muss ein zweites Exemplar sein.«
Doch der Kopf Mokeles, der sich in diesem Moment aus dem Wasser hob, strafte ihn Lügen. Weithin und für jedermann sichtbar, steckten zwei Pfeile in seinem Hals.
»Heilige Mutter Gottes, wirf den Motor an, Six'. Schnell!«
»Einen kleinen Moment noch, nur noch einen kleinen Moment.«
Der Aborigine hatte die obere Abdeckung des Motors abgeschraubt und versuchte den Vergaser wieder trocken zu bekommen. »Wir haben keinen Moment mehr!«, schrie Maloney und zog sein Gewehr aus dem ledernen Futteral. »Astbury, schnappen Sie sich die Paddel, und legen Sie los. Jeder Meter zählt. Wenn wir nicht in den nächsten Minuten das Ufer erreichen, sind wir alle tot!« Er legte an und feuerte. Der Rückstoß der Waffe drückte das Boot einen Meter nach vorn. Als wäre dies das Zeichen gewesen, auf das meine Hände gewartet hatten, lösten sie sich aus den Schlaufen, griffen nach den Rudern, verankerten sie in ihren Halterungen und fingen an zu paddeln.
Ein weiterer Schuss peitschte über das Wasser und hallte vom umliegenden Ufer wider. Mokele zeigte keinerlei Anzeichen einer Verletzung. Entweder prallten die Kugeln wirkungslos an seiner Lederhaut ab oder die Wunden machten ihm schlichtweg nichts aus.
In diesem Moment hörte ich ein spuckendes, spot-zendes Geräusch, und eine Wolke aus schlecht verbranntem Treibstoff hüllte uns ein. Sixpence zog noch einmal mit aller Kraft an dem Starterseil und tatsächlich ... der Motor lief.
»Großartig, Six'«, brüllte Maloney, »und jetzt so schnell wie möglich zum Ufer. Ich versuche uns das Biest noch eine Weile vom Leib zu halten.« Er ließ seinen Worten Taten folgen und ballerte noch zweimal auf das Ungetüm, jedoch ohne nennenswerten Erfolg. Mo-kele schien unverwundbar zu sein.
Besorgt betrachtete ich den Motor. Er tuckerte zwar in gleichmäßigem Tempo, doch schien er nur mit halber Kraft zu laufen. Wahrscheinlich waren immer noch Verunreinigungen im Vergaser. Drei Männer waren einfach zu viel für ihn. Mokele kam immer näher, und wenn sein erster Angriff zum Ziel gehabt hatte, uns zu vertreiben, so war ihm anzusehen, dass er diesmal darauf aus war, uns zu töten. Er bleckte die Zähne, und zäher Speichel troff aus seinem Maul.
Das Ufer näherte sich mit quälender Langsamkeit. Ich sah Egomo und Elieshi, die auf und ab liefen und dabei aufgeregt mit den Armen wedelten. Maloney machte ihnen Zeichen, dass sie ins Hinterland flüchten sollten, doch sie verstanden ihn nicht. »Verdammt«, fluchte er. »Auch das noch. Aber wir können jetzt nicht den Babysitter spielen. Six', nimm direkten Kurs auf unser Lager. Ich muss so schnell wie möglich an unseren Sprengstoffvorrat kommen. Das ist unsere einzige Chance, das Ungeheuer aufzuhalten.«
Doch es war deutlich abzusehen, dass uns das Ungeheuer erwischen würde, ehe wir das Ufer erreicht hatten.
In diesem Moment traf ich eine Entscheidung, von der ich wusste, dass sie mich das Leben kosten konnte.
Ich holte tief Luft und ließ mich über Bord fallen.
»Nein«, hörte ich Sixpence noch schreien, dann schlugen die Wellen über mir zusammen. Der Taucheranzug füllte sich mit Wasser und zog mich wie ein Stein in die Tiefe. Während ich tiefer und tiefer sank, sah ich, wie das Motorboot mit erhöhter Geschwindigkeit davonglitt. Mein Plan schien zu funktionieren.
Nur wenige Sekunden später schwamm der Kongo-saurier über mich hinweg. Seine gewaltige Silhouette warf einen großen Schatten auf den Untergrund. Für einen atemlosen Moment verlangsamte er seine Fahrt und hielt nach mir Ausschau. Panik erfüllte mich, als ich sah, wie er seinen Kopf ins Wasser streckte und mit seinen scharfen Augen den Grund absuchte. Doch dann schwamm er weiter. Entweder hatte er mich nicht bemerkt oder ich war ihm schlichtweg egal.
Die Luft begann mir auszugehen. Ich wartete gerade lang genug, bis das Ungetüm außer Sichtweite war, dann tauchte ich auf. Keuchend füllte ich meine Lungen mit Luft und blickte mich um. Von Elieshi und Egomo fehlte jede Spur.
Mokele hatte die Verfolgung des Bootes fortgesetzt, doch meine Aktion schien den beiden Männern einen kleinen Vorsprung eingebracht zu haben. Sie hatten bereits den Gürtel aus Wasserpflanzen erreicht und sprangen ins hüfttiefe Wasser. Doch Mokele war ihnen dicht auf den Fersen.
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