»Ja, Egomo?«
Sie hatte einen lustigen Akzent, aber immerhin beherrschte sie seine Sprache, was nicht selbstverständlich war. Genau genommen ließen sich nur die Wenigsten so weit herab, die Pygmäensprache zu erlernen. Er deutete hinaus aufs Wasser und fragte sie, was die Männer vorhatten.
»Na, was denkst du?«, fragte sie zurück, und in ihrer Stimme lag tiefe Besorgnis. »Sie gehen hinunter zu Mo-kele. Das ist es, was sie vorhaben.«
Egomo keuchte und spürte, wie seine Schulter wieder zu schmerzen begann.
*
Das Wasser schimmerte leuchtend grün, während wir uns mit kräftigen Flossenschlägen in die Tiefe vorarbeiteten. Ein kurzer Blick auf den Geigerzähler bestätigte meine Vermutung. Das Strahlungsniveau stieg langsam an, ohne jedoch in Bereiche vorzudringen, die für uns gefährlich werden konnten. Wahrscheinlich würde es nach unten hin noch weiter zunehmen. Langsam machte sich der Druck unangenehm in meinen Ohren bemerkbar.
»Eine kurze Pause«, bat ich die anderen. »Ich muss kurz einen Druckausgleich machen.«
Ich versuchte einen Gegendruck im Kopf zu erzeugen, was gar nicht so einfach war, da ich meine Nase nicht zuhalten konnte, doch meine Bemühungen, sie gegen das Frontglas zu pressen, wurden nach einer Weile mit einem befreienden Knacken in meinen Ohren belohnt. Ich gab den beiden ein Zeichen, dass es weitergehen konnte.
Das Wasser war durchsetzt mit Pflanzenfasern, so dass die Sicht weniger als zehn Meter betrug. Mit der Zeit gewöhnte ich mich an das Gewicht auf meinem Rücken und an die seltsame Gummihaut. Sogar die Atemgeräusche traten nach einer Weile in den Hintergrund. Nur das Schweigen belastete mich. Nach einer Weile hielt ich es nicht mehr länger aus. »So viel zum Thema >zwei Meter<. Was glauben Sie, wie tief wir noch hinunter müssen?«
»So tief wie nötig«, antwortete Maloney. »Aber langsam. Wir werden von Zeit zu Zeit kurze Pausen einlegen, damit wir uns an den Druck gewöhnen. Halten Sie bloß die Augen auf, und vergessen Sie nicht, ab und zu mal ein Bild von uns zu schießen.« Ich hörte sein Lachen, und er hob die übergroße Armbrust in einer heroischen Geste über seinen Kopf. Ich visierte ihn durch den Sucher an, und als Sixpence sich auch noch dazu-gesellte, löste ich aus. Der Blitz durchbrach das Zwielicht und bannte die Szene auf den Mikrochip.
In diesem Moment gewahrte ich eine Bewegung, kaum zehn Meter unter uns.
Ich versuchte noch einen Warnruf auszustoßen, aber meine Kehle war wie zugeschnürt. Die Warnung wäre ohnehin zu spät gekommen. Eine Strömung, wie von einem gewaltigen Flossenschlag ausgelöst, packte uns und wirbelte uns durcheinander. Schreie ertönten in meinem Lautsprecher, während ich verzweifelt versuchte, mich zu orientieren. Für einen Moment sah ich nichts weiter als Luftblasen. Ich schleuderte herum, und um ein Haar wäre die Kamera meinen Händen entglitten.
»Sixpence, hast du ihn gesehen? Wo ist er?« Das war Maloneys Stimme.
»Keine Ahnung. Eben war er noch da. Muss unter uns weggetaucht sein.«
»Egal. Wir müssen uns wieder sammeln. Astbury, wo sind Sie?«
Das Ungeheuer hatte Algen und mikroskopisch kleine Pflanzenfasern hochgewirbelt, so dass sich die Sicht noch weiter verschlechterte.
»Wenn ich das wüsste. Wo sind Sie?«
»Lösen Sie mal die Kamera aus.«
Ich drückte auf den Auslöser.
»Alles klar. Wir sehen Sie. Bleiben Sie, wo Sie sind.«
Es dauerte einige Sekunden, dann sah ich, wie sich die Schemen der beiden Taucher von links näherten.
»Glück gehabt«, sagte der Jäger, als er und sein Gefährte bei mir eintrafen. »Das hätte auch ins Auge gehen können.«
»Ganz recht«, erwiderte ich. »Höchste Zeit, zu verschwinden.«
»Kommt überhaupt nicht infrage. Wir waren so dicht dran. Hätte ich ihn eher gesehen, hätte ich einen wunderbaren Schuss auf ihn abgeben können. Jetzt nur nicht den Kopf hängen lassen.«
»Aber ...«, protestierte ich vehement, »... er weiß jetzt, dass wir hier sind. Außerdem ist die Sicht gleich null. Es wäre Wahnsinn weiterzumachen.«
In diesem Augenblick verdunkelte sich das Wasser. Ein gewaltiger Leib glitt über uns hinweg und kappte das wenige Sonnenlicht, das durch die Wasserpflanzen zu uns herunterdrang. Ich sah einen langen, geschwungenen Hals, der in einen mächtigen Leib überging, aus dem vier kräftige Beine ragten. Zwischen den Zehen waren deutlich Schwimmhäute zu erkennen. Den Schwanz mit eingeschlossen, verfügte das Reptil über die Größe eines ausgewachsenen Buckelwals.
Nackte Panik überfiel mich. Ich rang nach Luft und spürte, wie ich nur noch von einem einzigen Gedanken beherrscht wurde: Nichts wie weg hier.
Ich strampelte wie verrückt mit den Beinen. So schnell wie möglich wollte ich Abstand zwischen mich und die monströse Erscheinung bringen, die wie ein fliegendes Raubtier über uns kreiste. Ich wollte einfach nur weg. Aber der einzige Weg führte nach unten, hinab in die Tiefe.
»Astbury, bleiben Sie, wo Sie sind!«, rief Maloney, als er sah, was ich vorhatte. »Wir müssen zusammenbleiben, sonst haben wir keine Chance.« Er brüllte sich die Lunge aus dem Leib.
»Astbury!«
Doch seine Worte verpufften wirkungslos angesichts meines grenzenlosen Entsetzens.
»Warten Sie doch, Sie Idiot .«
Das waren die letzten klaren Worte, die ich vernahm, dann brach die Funkverbindung ab. Hin und wieder drangen einzelne, undeutliche Sprachfetzen an mein Ohr, doch wurden sie von einer bedrohlich rauschenden Funkstille überschattet. Tiefer und tiefer paddelte ich hinab.
Dorthin, wo nur noch Dunkelheit regierte.
I rgendwann spürte ich festen Boden unter den Füßen.
Ich hatte den Grund des Sees erreicht.
Schwärze umgab mich. Absolute, undurchdringliche Schwärze. Die Last des über mir liegenden Wassers drohte mich zu zerquetschen, und in meinen Ohren erklang ein durchdringendes Pfeifen. Plötzlich erinnerte ich mich an das Buch, das Sarah mir mitgegeben hatte,Herz der Finsternis. Genau dort befand ich mich jetzt, auch wenn es eine andere Finsternis war, als die von Joseph Conrad beschriebene. In was für eine Situation war ich nur geraten? Auf dem Grund eines Sees, im Zentrum des schwarzen Kontinents. Verloren und allein.
Nein, allein war ich nicht. Irgendwo über mir befand sich ein Jäger aus grauer Vorzeit, der mich mit Sicherheit irgendwann aufspüren würde. Er konnte nämlich etwas, was mir verwehrt war. Er konnte mithilfe von Schallwellen im Dunkeln sehen. Im Dunkeln sehen. Mir fiel ein, dass ich dazu auch in der Lage war, zumindest eingeschränkt. Ich schaltete die Helmlampe an. Ein Lichtkegel wies in die Schwärze. Das Wasser war trüb, verunreinigt durch Millionen kleiner Schwebeteilchen, die ich aufgewirbelt hatte. Abgestorbene Pflanzenfasern, Schlamm und mikroskopische Kleinstlebewesen hüllten mich ein. Blasse, leblos wirkende Krebse bevölkerten den Grund. Meine Füße versanken in einem Teppich aus Schlick, der in kleinen Wolken emporwirbelte, sobald ich nur einen Schritt machte. Unwillkürlich glitt mein Blick auf die Anzeige des Geigerzählers, und mir stockte der Atem. Hier unten lag das Strahlungsniveau weitaus höher als oben. Es war zwar noch nicht lebensgefährlich, doch ein längerer Aufenthalt in dieser Tiefe war nicht ratsam.
Also doch. Ich hatte es geahnt. Ein absurder Gedanke ging mir durch den Kopf. Sollte ich je Gelegenheit haben, einen Bericht über mein Abenteuer zu schreiben, würde ich auf den Zusammenhang zwischen der Strahlung und dem Meteoriteneinschlag hinweisen können. Das würde sicher das Interesse der Fachleute wecken.
Doch erst einmal musste es mir gelingen, wohlbehalten zur Oberfläche zurückzukehren. Der Jäger schwamm noch irgendwo über meinem Kopf herum. Ich musste also versuchen, an einer anderen Stelle zur Wasseroberfläche zu kommen. Mit kräftigen Flossenschlägen glitt ich über den Grund, ohne eine Vorstellung davon zu haben, in welche Richtung ich mich bewegte. Nach vielleicht hundert Metern begann sich der Untergrund zu verändern. Der Schlamm war von gezackten Gesteinstrümmern durchsetzt, die immer größer wurden, je weiter ich vordrang.
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