»Sergeant Gerard Matubo«, entzifferte ich den blutbespritzten Aufnäher. »Drittes Infanterieregiment Djamba-la. Nun, jetzt haben wir wenigstens einen Namen. Ein Vergleich mit der Liste der verschwundenen Soldaten wird uns Gewissheit bringen.«
»Die brauchen wir gar nicht. Ich habe die Ordonnanzpapiere und die Tagesberichte gefunden«, rief Ma-loney und winkte uns zu sich heran. Er beugte sich über eine Metallkiste, die aussah, als wäre ein Lkw darübergefahren. »Hier ist alles beisammen. Von dem Augenblick an, als sie die Videokamera nebst sämtlichen Bändern im Dorf Kinami geborgen und mit einem Kurier nach Brazzaville zurückgeschickt haben, bis ...«, er blickte auf, »... bis zur Entdeckung von Emily Palmbrid-ges verlassenem Lager am See. Hier steht es schwarz auf weiß: Emily Palmbridge. Das ist der erste wirklich konkrete Anhaltspunkt. Jetzt haben wir endlich eine Spur. Moment mal, hat Egomo nicht auch ein zweites Lager erwähnt?«
»Ja, er hat davon gesprochen«, sagte Elieshi. »Es soll direkt am See liegen, nur etwa vier Kilometer von unserem Camp entfernt.«
»Wir sollten es so schnell wie möglich aufsuchen.« Maloney studierte intensiv die Papiere. »Wie es aussieht, haben die Soldaten bei der Untersuchung dieses zweiten Lagers Kontakt mit dem Biest gehabt. Bei der darauf folgenden Flucht ins Hinterland haben sie wohl ihr Funkgerät demoliert. Vielleicht wurde es aber auch von Mokele zerstört, so genau kann ich diese verkohlten Seiten nicht mehr entziffern. Hier ist immer wieder von einemombre menaqante die Rede ...«
»Einem bedrohlichen Schatten«, flüsterte Elieshi.
». der sie vom See bis hierher verfolgt hat. Was das zu bedeuten hat, ist uns ja wohl allen klar. Sergeant Matubo hat darauf hin angeordnet, dass sich der größte Teil der Mannschaft hier verschanzt, während zwei seiner besten Leute zu Fuß versuchen sollten, sich durch das Grasland zum Dorf Ozeke durchzuschlagen, um Hilfe zu holen. Das war vor ...«, er blickte auf die Datumsanzeige seiner Uhr, ». annähernd drei Wochen.«
Maloney schüttelte den Kopf, während er das Buch sowie einige der Papiere, die nicht zu sehr in Mitleidenschaft gezogen worden waren, in seiner Umhängetasche verstaute. »Wir können wohl davon ausgehen, dass der Versuch gescheitert und von den beiden keiner durchgekommen ist. Wahrscheinlich liegen ihre Gerippe jetzt irgendwo da draußen und werden von den Raubtieren abgenagt. Währenddessen hat sich der Rest hier eingegraben und über zwei Wochen auf Hilfe gewartet.«
»Die niemals gekommen ist. Stattdessen kam der Tod«, ergänzte ich seine Gedanken. Mit einem flauen Gefühl im Magen schritt ich die Unglücksstelle nochmals ab. Die ehemalige Begrenzung des Lagers war noch gut zu erkennen. Die Soldaten hatten einen etwa eineinhalb Meter hohen Wall aufgeschüttet, der einen Durchmesser von zehn Metern aufwies. Von dem Wall war kaum noch etwas übrig geblieben. Bis auf eine einzige Stelle an der Nordseite war er komplett niedergerissen worden. Überraschenderweise lagen die meisten Leichen außerhalb dieses Kreises, was vielleicht darauf zurückzuführen war, dass sie von Raubtieren ins schützende Gras gezogen worden waren.
»Was sollen wir mit den Leichen machen?«, hörte ich Elieshi fragen.
»Ich schlage vor, sie mit Benzin zu übergießen und zu verbrennen«, sagte Sixpence. »Das ist zwar nicht besonders pietätvoll, aber immer noch besser, als sie den Leoparden zum Fraß zu überlassen.«
»Die mit Sicherheit bald hier aufkreuzen werden«, sagte Maloney. »Es ist ein Wunder, dass sie sich nicht jetzt schon hier eingefunden haben, bei diesem appetitlichen Geruch. Wahrscheinlich hält nur unsere Anwesenheit sie davon ab, sich um die Beute zu streiten. Aber wie lange noch? Wir sollten zusehen, dass wir schnell von hier verschwinden.«
Ich lauschte dem Gespräch nur mit halbem Ohr, denn ich war viel zu beschäftigt mit einer Frage, die seit einigen Sekunden in meinem Kopf herumschwirrte. Irgendetwas war merkwürdig an dem Lager. Es gab da einige Dinge, die nicht so recht ins Bild passen wollten.
»Ich werde mich um das Benzin kümmern. Mr. Astbury, helfen Sie Sixpence mit den Leichen?«
»Hm?«
Maloney scharrte ungeduldig mit seinem Fuß in der Erde. »Die Toten. Sie müssen sie aufeinander stapeln.«
»Einen Augenblick noch.« Ich spürte, dass mein Verdacht sich zu erhärten begann. Ich ging in die Mitte des Lagers und berührte den Boden. Diese Stelle war gegenüber seiner Umgebung eindeutig tiefer. Ich glaubte radiale Spuren zu entdecken, die hier begannen und nach außen wiesen. Der ganze Kreis sah irgendwie aus . wie ein Krater.
»Mr. Astbury, wir warten!«
»Ich könnte mir vorstellen, dass Mokele m'Bembe an diesem Unglück keine Schuld trägt.«
»Wie bitte?«
Auf einmal richteten sich alle Augen auf mich.
Ich stand auf und ging zum Rand des Walls. Die Hinweise waren eindeutig.
»Wenn ich die Spuren richtig lese, hat sich hier etwas ganz anderes zugetragen«, begann ich langsam. »Sehen Sie sich mal die Stellung genau an. Der Erdwall, den die Soldaten aufgeschüttet haben, ist nach außen gedrückt worden und nicht nach innen, wie bei einem Angriff von außen zu vermuten wäre. Überzeugen Sie sich selbst.«
Sixpence folgte mir und schüttelte den Kopf. »Das könnte sonst was bedeuten. Vielleicht ist das Ungeheuer in ihre Mitte gesprungen und hat die Erde bei dem darauf folgenden Kampf nach außen gedrückt.«
»Ohne dabei Fußabdrücke zu hinterlassen? Das würde selbst eine Legende wie Mokele nicht schaffen.« Ich ging zu einem der Toten. »Sehen Sie sich doch nur mal an, wo die Leichen liegen. Alle außerhalb des Kreises, als wären sie nach außen geschleudert worden. Meiner Meinung nach hat hier eine Explosion stattgefunden, und zwar eine ziemlich gewaltige. Womöglich ist ihnen ihr Vorrat an TNT um die Ohren geflogen. Vielleicht hat einer von den Soldaten zu nah an der Sprengstoffkiste eine Zigarette geraucht, wer weiß? Sehen Sie sich die Leichen doch genau an. Die meisten tragen Verbrennungen am Rücken und am Hinterkopf. Leider haben wir nicht die Zeit und die Mittel, um sie nach Rück-ständen von Sprengstoff zu untersuchen, aber ich wette, wir würden etwas finden.«
Maloney winkte mich zu dem umgestürzten Toyota. »Und wie passt das in Ihr Bild?« Er deutete auf die eingedrückte Tür, auf der sich ganz klar die Spur einer gewaltigen Pranke abzeichnete. »Wenn Ihr Freund nicht hier gewesen ist, wer hat dann diesen Abdruck hinterlassen?«
Ich musste gestehen, dass ich das auch nicht erklären konnte. Alles, was ich hatte, waren ein paar Indizien und meine Intuition. »Ich weiß es nicht«, gab ich unumwunden zu. »Aber eines weiß ich genau: Wir sollten uns kein vorschnelles Urteil erlauben, ehe wir nicht mehr Fakten haben.«
Maloney schnaubte. »Das sehe ich anders. Für mich ist die Sache klar. Jetzt sorgen wir noch für eine ordentliche Feuerbestattung, dann kehren wir zurück und sehen uns das zweite Lager an.«
*
Es ging auf die Mittagszeit zu, als wir die kümmerlichen Überreste des Lagers am See erreichten. Meine anfängliche Euphorie, endlich einen Anhaltspunkt über den Verbleib meiner Jugendliebe gefunden zu haben, wich rasch einer deprimierenden Erkenntnis. Nach nur wenigen Minuten war mir klar, dass hier nichts mehr zu finden war. Die Spur war kalt. Die Soldaten hatten die Gegend gründlich abgegrast und alles mitgenommen, was ihnen wichtig erschienen war.
Enttäuschung machte sich in mir breit. Lustlos stocherte ich im Erdreich herum, ohne große Hoffnung, etwas zu finden. Meine Gedanken begannen abzuschweifen und um das Gespräch mit Maloney zu kreisen.
Wie konnte er nur so borniert sein? Er war felsenfest davon überzeugt, dass Mokele die Schuld an der Katastrophe trug. Es war immer dasselbe: Die Menschen sahen nur das, was sie sehen wollten. Selbst erfahrene Männer wie er bildeten da keine Ausnahme. Warum begriff er denn nicht, dass meine Entdeckung wichtig sein könnte? Sie warf ein ganz neues Licht auf das Tier, nach dem wir suchten, und auf das, was sich hier wirklich abgespielt hatte. Ich versuchte, der angespannten Stimmung zu entfliehen, um einen klaren Kopf zu bekommen, und entfernte mich von den anderen. Ganz wohl war mir zwar nicht, während ich durch die Ufervegetation ging und dabei versuchte, möglichst kein Tier aufzuscheuchen. Aber die Stille war es mir wert. Während ich über all das nachdachte, was bisher geschehen war, drangen plötzlich Wortfetzen an mein Ohr. Ich ging ihnen nach und stellte fest, dass es Malo-ney und Sixpence waren, die sich wohl ebenfalls abgesetzt hatten. Sie unterhielten sich, und ihr Gespräch trug eindeutig ernste Züge. Von Neugier getrieben, schlich ich näher, bis ich die Stimme von Sixpence deutlich vernahm: ». finde, du solltest die Finger von ihr lassen.«
Читать дальше