»Ihnen scheint das Schicksal dieser Menschen wirklich nahe zu gehen. Das wundert mich. Ihr Weißen interessiert euch doch im Allgemeinen nicht besonders für die Belange meines Volkes.«
»Niemand hätte sterben müssen, wenn man von Anfang an mit offenen Karten gespielt hätte. Was mich so ärgert, ist . « Weiter kam ich nicht, denn in diesem Moment stand Maloney wieder neben uns. Irgendetwas an seiner Haltung verriet mir, dass wir uns in höchster Gefahr befanden.
*
Schweißgebadet fuhr Egomo auf. Er zitterte am ganzen Leib. Immer noch glaubte er den Schmerz von messerscharfen Zähnen zu spüren, die sich in sein Fleisch gebohrt hatten. Er blickte auf seinen Körper und tastete sich ab. Unter den Verbänden spürte er, dass alles noch an Ort und Stelle war. Den Göttern sei Dank war es nur ein Traum gewesen. Geblieben waren jedoch die Angst und das Gefühl unmittelbarer Bedrohung. Seine Sinne waren auf das Äußerste gespannt. Er richtete sich auf und suchte nach einem Halt. Seine Schulter meldete sich mit einem Stechen, das ihm die Tränen in die Augen trieb. Um ein Haar wäre er gefallen, als die Woge von Schmerz über ihn hinwegbrandete. Er klammerte sich an einer der Vorratskisten fest, schloss die Augen und wartete, bis der Schwächeanfall vorüber war. Nach drei Atemzügen hatte er sich wieder unter Kontrolle. Und dann spürte er es wieder. Da draußen war etwas.
Etwas Großes.
Er blickte sich um. Hätte er doch nur seine Waffe nicht verloren. Alles, was ihm geblieben war, war das stumpfe Buschmesser, dass er vor ewigen Zeiten gegen zwei erlegte Duickerantilopen getauscht hatte. Eine lächerliche Waffe, kaum fünf Finger breit. Er musste an die Augen denken, die im Traum auf ihn heruntergestarrt hatten, diese handtellergroßen grasgrünen Augen, und er spürte, dass er mit dieser Waffe keine Chance hatte.
Dann sah er eine offene Kiste, in der sich allerlei Werkzeug befand. Sein Blick fiel auf ein Messer von der Länge seines Unterarms. Ob er sich das wohl ausborgen durfte? Er tastete danach und ließ seinen Daumen vorsichtig über die Schneide gleiten. Scharf, stellte er mit Befriedigung fest, eine gute Klinge. Er musste sie einfach nehmen, mochten die anderen es auch nicht gutheißen. Die Situation erforderte es. Mit zusammengebissenen Zähnen verließ er das Zelt.
*
»Löscht das Feuer, sofort!«
Noch ehe ich begriffen hatte, was hier vor sich ging, hatte Sixpence einen Eimer Wasser in das Feuer geschüttet. Von einer Sekunde zur anderen umgab uns pechschwarze Dunkelheit.
Ich saß wie versteinert auf meinem Hocker, unfähig, etwas zu sagen oder mich zu bewegen. Nach und nach erkannte ich Einzelheiten in unserer Umgebung, und ein Detail alarmierte mich besonders. Der Pygmäenkrieger war erwacht. Etwa zehn Meter von uns entfernt stand er am Saum des Wassers, unser Brotmesser in der Hand, und starrte auf den See hinaus.
Niemand hatte ihn kommen hören oder gesehen, wie er das Zelt verließ. Er kam und ging wie ein Schatten, und genau wie bei Maloney wurde seine Aufmerksamkeit von etwas angezogen, das sich draußen auf dem See be-fand. Ich reckte meinen Hals, um mehr zu sehen, doch es waren nur undeutliche Schemen zu erkennen. Sie hätten alles Mögliche bedeuten können. Bäume, Sträucher oder Nebelschwaden. In dieser Finsternis wirkte jede Form bedrohlich, doch mein Verstand bewahrte mich vor panischen Reaktionen. Zwölf Jahre intensiver akademischer Schulung hatten einen Mechanismus des Denkens geprägt, der selbst unter solch bizarren Umständen tadellos funktionierte und versuchte, die Dinge mithilfe des Verstandes zu erklären. In diesem Moment riss der Himmel auf und sandte einen silbrigen Mondstrahl auf die Wasseroberfläche. Mein Puls beschleunigte sich, und ich hielt den Atem an. Das Licht war von einer solch überirdischen Helligkeit, dass es den gesamten See zu beleuchten schien. Nichts hätte diesem kalten Schein entkommen können. Aber sosehr ich mich auch bemühte, etwas zu erkennen, da draußen war nichts. Nur ein paar Luftblasen, die aus der Mitte des Sees aufstiegen und konzentrische Wellenringe über die Wasserfläche schickten. Ich atmete durch. Fehlalarm. Was auch immer die zwei Jäger gesehen haben mochten, sie mussten sich geirrt haben. Ich wollte mich wieder entspannt zurücklehnen, da fiel mein Blick auf Maloney, und mir wurde klar, dass die Gefahr noch nicht gebannt war. Er hatte sein Fernglas an die Augen gesetzt und spähte hinaus in die Nacht.
»Was hat er denn?«, hörte ich Elieshi flüstern.
»Keine Ahnung«, entgegnete ich. »Aber wenn dort etwas gewesen ist, scheint es sich verzogen zu haben.«
»Seid ruhig«, zischte uns Sixpence zu. »Es ist noch immer da. Stewart irrt sich in solchen Dingen nie.«
»Aber da ist doch nichts«, raunte ich zurück. »Nur ein paar Blasen. Das könnte sonst was bedeuten.«
»Nicht bei ihm.«
In diesem Moment senkte Maloney das Fernglas. »Six', hör auf zu schnattern, und geh an die Kamera.«
»Natürlich, die Kamera. Ich Idiot!« Der Aborigine sprang auf die Beine und eilte zu dem Überwachungsgerät. Ich hörte, wie der Elektromotor surrte, als die bespielbare DVD auf eine frühere Position zurücksprang. Nach einigem Suchen schien er gefunden zu haben, wonach er suchte. Ein Klicken signalisierte mir, dass er den Schalter für die Abspielfunktion gedrückt hatte. Dann hörte ich lange Zeit nichts mehr.
»Six', wo bleibt die Meldung?«
»Du meine Güte«, hörte ich den Aborigine murmeln. »Das gibt es doch nicht. Kommt alle her, das müsst ihr euch ansehen.«
Im Nu waren wir bei ihm und spähten der Reihe nach durch das Okular. Maloney zuerst, dann Elieshi und zuletzt ich. Die Zeit schien sich endlos hinzuziehen, bis ich endlich mein Auge an den Gummiring des Okulars pressen durfte. Anfänglich sah ich nur ein grünes Rauschen, hervorgerufen durch die lichtverstärkende Optik des Nachtsichtgerätes. Doch dann schälte sich eine Form aus dem elektronischen Gegriesel. Eine Form, die mir auf beängstigende Weise vertraut vorkam. Es war ein gewaltiger, glänzender Rücken, der über und über mit sternförmigen Flecken überzogen war. Ebenso schnell wie er aufgetaucht war, verschwand er auch wieder in der Tiefe des Sees. »Heiliges Kanonenrohr«, entfuhr es mir. Ich musste die Aufnahme noch einige Male zurückspulen und erneut betrachten, ehe ich davon überzeugt war, keinem Trugbild aufzusitzen. Nein, da war jeder Irrtum ausgeschlossen. Das Wesen war da, direkt vor meinen Augen, und es war verdammt nah. Das Schlimmste war, dass Maloney und Egomo, die mit beinahe übersinnlichen Fähigkeiten ausgestattet zu sein schienen, es erst bemerkt hatten, als es schon wieder verschwunden war. Wie hatte es das Biest geschafft, sich so unbemerkt zu nähern?
Ich hob den Kopf und blickte in die angsterfüllten Gesichter meiner Kollegen. »Was in Gottes Namen sollen wir jetzt tun?«, murmelte ich.
Es war Maloney, der als Einziger die Fassung bewahrte. Seine Stimme klang ruhig und beherrscht.
»Wir werden ab jetzt die ganze Nacht hindurch eine Wache aufstellen«, entschied er. »Zweiergruppen, und zwar im Dreistundenrhythmus. Doch ehe wir damit beginnen, werden wir unsere Lichtschranken und die Selbstschussanlagen aufbauen. Zu dumm, dass wir das nicht gleich getan haben. Himmel noch mal, es hat beinahe in unserem Wohnzimmer gestanden. Wie kann etwas so Großes so leise sein? David, Sie helfen Sixpen-ce auf der rechten Seite, ich und Elieshi gehen nach links. Bodenhöhe einen Meter fünfzig, Perimetrie mindestens hundert Meter. Ich will rechtzeitig gewarnt werden, sollte sich etwas nähern.« Er ballte seine Fäuste, dass es knackte. »Verdammt! Wir waren viel zu leichtsinnig. Noch so ein Fehler, und wir sind alle tot.«
Sonntag, 14. Februar
D er Morgen stahl sich mit einem fahlen, grauen Schimmer in mein Zelt. Die wenigen Stunden, in denen ich nach meiner Wache noch Zeit zum Schlafen gefunden hatte, waren erfüllt gewesen mit Träumen von riesenhaften Schlangen und Echsen, unzweifelhaft ein Echo unserer nächtlichen Erscheinung. Mittlerweile kam mir unser Erlebnis seltsam unwirklich vor. Hatte ich wirklich jenes sagenhafte Lebewesen erblickt, von dem die Legende berichtete, es könne ganze Flüsse stauen? Oder war ich einer Sinnestäuschung erlegen? Vielleicht ein verirrter Mondstrahl, der sich auf einem vor Nässe triefenden Blatt gebrochen hatte, oder der Rücken eines Flusspferdes? Was auch immer es gewesen war, es hatte unser Team gehörig wachgerüttelt.
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