»So«, sagte Sarah, als sie händereibend zu mir ins Wohnzimmer kam, »noch ein paar Minuten, und es wird richtig kuschelig. Verdammt, ist das in den letzten paar Stunden kalt geworden. Hatte der Wetterbericht nicht eine milde Luftströmung vorhergesagt?«
»Hab ich auch gehört. Aber du weißt ja, wie das ist«, stimmte ich ihr zu. »Wir bekommen zwar immer mehr Satelliten, die die Erde umkreisen wie ein Hornissen-schwarm und dabei auch noch Millionen von Pfund verschlingen, aber das Wetter macht trotzdem, was es will ...« Ich zuckte mit den Schultern. »Hat doch auch etwas Beruhigendes, dass manche Dinge immer noch dem Willen der Natur gehorchen.« Sie lächelte, und ich vernahm etwas Hintergründiges in ihrer Stimme. »Was kann ich dir zum Aufwärmen anbieten, Glühwein, Port oder Absinth?«
»Absinth?«
»Yep. Es enthält das Nervengift Thujon. Das lässt einen schön weich in der Birne werden und darauf stehst du doch, oder?«
»Klingt gut«, sagte ich und ließ mich in einen Sessel fallen. »Wie kannst du dir nur immer all dieses Zeug merken? Ich habe schon Schwierigkeiten, mir eine einfache Einkaufsliste einzuprägen.«
»Ich lese ab und zu auch mal Dinge, die mit der Uni nichts zu tun haben.« Sarah stellte zwei bauchige Gläser auf den Tisch, über die sie speziell perforierte Löffel legte. Dann platzierte sie je einen Zuckerwürfel darauf und übergoss die Konstruktion mit einer ölig grünen Flüssigkeit. »Feuerzangenbowle?«, grinste ich.
»So ähnlich, ja.«
Der Geruch von Anis stieg mir in die Nase. Sarah verdünnte den Inhalt des Glases mit etwas Wasser, bis er hellgrün und milchig wurde und zündete die Zuckerwürfel an. Blaue Flammen züngelten empor. Das Feuer spiegelte sich in ihren Augen, die dieselbe Farbe wie der Absinth zu haben schienen. Nachdem der Würfel zur Hälfte geschmolzen und ins Glas getropft war, nahm sie die Löffel herunter und rührte so lange, bis sich der restliche Zucker gelöst hatte.
»Auf dein Wohl«, sagte sie. »Auf eine gute Reise und vor allem eine gesunde Heimkehr.«
Als sie das Glas absetzte, glänzten ihre Augen feucht. Ob das auf die Schärfe des Getränks oder auf ein plötzliches Gefühl von Traurigkeit zurückzuführen war, wusste ich nicht. Ich vermied es, danach zu fragen, denn mir stand der Sinn nicht nach einem schwermütigen Gedankenaustausch. Fest stand nur, dass der Absinth, so mild er auch schmeckte, im Bauch wie Lava brannte. Im Nu vertrieb er die Kälte aus meinen Gliedern.
»Ein Teufelszeug«, bestätigte ich anerkennend. »Er wärmt nicht nur, er macht auch noch munter. Aber zurück zum Thema. Du wolltest mir noch etwas über den Lac Tele erzählen.«
Sarah nickte, stand auf und schaltete ihren Computer an. »Du hast den Geduldstest bestanden«, grinste sie. »Auch wenn es schwer gefallen ist, oder? Aber ich will dir nicht nur etwas sagen, sondern vor allem etwas zeigen.«
Ich stand auf und gesellte mich zu ihr. Kaum war der Bildschirm hochgefahren und der Browser aktiv, hämmerte Sarah die Internetadresse derWildlife Conserva-tion Society ein. Danach klickte sie auf den Unterpunkt Kongo. Es dauerte nicht lange, bis sich die Seite aufgebaut hatte.
»Eine kongolesische Naturschutz-Organisation?«
Sarah schüttelte den Kopf. »Die WCS ist eine der größten Umweltschutzorganisationen der Welt, gegründet 1895, mit Sitz in New York. Die Abteilung Kongo ist nur eine Unterorganisation, aber eine sehr aktive. Ihr solltet euch vorsehen, dass die euch während eurer Jagd nicht in die Parade fahren. Es gibt an die zehn Reservate in der Republik Kongo, die von der WCS betreut werden, wobei der Ndoki-Nationalpark wohl der bekannteste ist. Doch auch das Lac-Tele-Reservat ist geschützt, und es gibt mit Sicherheit Ärger, wenn ihr dort ohne Erlaubnis auf Raubzug geht.«
»Ich kann nur hoffen, dass Lady Palmbridge entsprechende Vorsorge getroffen hat, sonst wird es ein kurzer Ausflug«, teilte ich Sarahs Bedenken. »War es das, was du mir zeigen wolltest?«
»Nein, das Beste kommt noch. Sieh mal, hier.« Damit klickte sie in der Kopfzeile auf den Menüpunkt Lac Tele, und in kürzester Zeit baute sich ein Artikel über den sagenumwobenen See auf. Ich konnte meine Erregung nicht verbergen, als ich die Aufnahme betrachtete.
Da lag er. Er sah aus wie eine riesige silberne Schale inmitten eines endlos scheinenden Gewirrs aus Bäumen, Sträuchern und Wasserpflanzen. Erst jetzt, im Angesicht dieser grünen Hölle, wurde mir bewusst, auf was für ein verrücktes Unternehmen ich mich da eingelassen hatte. Kein Mensch konnte diese Wildnis durchqueren, am wenigsten ich.
Sarah schien meine Gedanken erraten zu haben. »Ganz schön abgefahren, sich vorzustellen, dass du bald da unten auf einem der unzähligen Wasserkanäle he-rumschippern wirst. Erinnert ein wenig anHerz der
Finsternis von Joseph Conrad, nicht wahr? Ich habe übrigens noch ein Exemplar dieses Buches in meinem Regal gefunden. Das solltest du mal lesen. Aber ich warne dich: Es ist nichts für schwache Nerven. Wenn du möchtest, kannst du es mitnehmen. Es liegt da drüben. Ich will es aber wiederhaben, versprochen?« Sie schenkte mir ein warmes Lächeln.
»Danke«, murmelte ich, obwohl ich nur mit halbem Ohr zugehört hatte. Das Foto auf dem Bildschirm nahm mich immer mehr gefangen. Irgendetwas war seltsam, doch ich kam nicht drauf, was es war. Der See hatte etwas von einem gigantischen Auge, das in den Himmel starrte und in dessen Iris sich das gesamte Universum spiegelte. Seine Ränder waren merkwürdig scharf umgrenzt und wirkten wie mit der Schere ausgeschnitten.
Ich spürte, wie Sarah mich beobachtete. Das Gefühl war mir unangenehm. »Also, ich passe«, gab ich zu. »Da ist etwas seltsam an diesem See, aber ich kann es nicht erklären.«
Sarahs Finger glitt über den Monitor. »Es ist die Form. Er ist kreisrund.«
Natürlich! Das war es. Der See sah aus wie mit dem Zirkel gezogen.
Ich beugte mich vor. »Gibt es eine Karte von diesem Gebiet? Ich würde mir das gern mal von oben ansehen.«
Sarah ließ ihre flinken Finger über die Tastatur gleiten und zauberte eine topografische Übersichtskarte der betreffenden Gegend auf den Bildschirm. Es war eindeutig ein Kreis.
»Wie ist das nur möglich?«, murmelte ich. »Sieht fast aus wie ein erloschener Vulkan. Wie ein Maar, in dessen Krater sich Wasser gesammelt hat. Aber es kann kein Vulkan sein. Die Gegend ist flach wie ein Handschuh.«
Sarah schüttelte den Kopf. »Kein Vulkan, stimmt. Es ist ein Impakt.«
»Ein was?«
»Ein Meteoritenkrater.«
Ein merkwürdiges Kribbeln breitete sich über meinem Rücken aus. »Bist du sicher?«
»Das berichten jedenfalls die Fachzeitschriften. Grobe Schätzungen gehen davon aus, dass der Einschlag vor ungefähr achtzig Millionen Jahren stattfand.«
»Das hieße: in der oberen Kreidezeit.«
Tief in Gedanken versunken murmelte ich vor mich hin: »Kreidezeit, Saurierzeit.«
»Was hast du gesagt?«
Ich schüttelte den Kopf. »Nichts Wichtiges. Nur so ein Gedanke. Die obere Kreidezeit war die Blütezeit der Dinosaurier, ehe sie vor fünfundsechzig Millionen Jahren, am Ende der Kreidezeit, ausstarben. Neueste Forschungen gehen davon aus, dass sie durch eine kosmische Katastrophe ums Leben kamen. Durch den Einschlag eines Asteroiden von den Ausmaßen einer Großstadt. Er schlug auf der Yukatan-Halbinsel in Mexiko ein, mit einer solchen Wucht, dass sich ein Krater von zweihundert Kilometern Durchmesser bildete. Die Ränder sind noch heute zu erkennen. Der Einschlag blies so viel Staub in die Atmosphäre, dass die Sonneneinstrahlung getrübt wurde und sich die globale Temperatur um ei-nige Grad abkühlte. Für die Saurier und andere hoch spezialisierte Tiergattungen bedeutete es das Aus. Sie konnten sich nicht schnell genug anpassen. Die Zeit der Säugetiere war angebrochen.«
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