»Ich wollte eigentlich nur wissen, warum du mir in letzter Zeit ständig ausweichst. Keinen meiner Anrufe hast du beantwortet, meine Mails schon gar nicht. An der Uni habe ich dich kaum noch gesehen. Als hätte dich der Erdboden verschluckt.«
Ich seufzte. Sarah hatte allen Grund, sauer auf mich zu sein. Ich empfand zwar immer noch viel für sie, aber irgendwie wollte ein innerer Mechanismus nicht, dass wir beide glücklich miteinander wurden. Kam sie mir zu nah, wich ich zurück. Rückte sie nach, ging ich noch weiter auf Distanz. Naiv wie ich war, hatte ich zwar gehofft, Sarah würde das nicht merken, hatte gehofft, wir könnten gute Freunde bleiben und so weiter. Ein Plan, der von Anfang an zum Scheitern verurteilt war. Dafür, dass wir seit beinahe drei Wochen das erste Mal wieder miteinander sprachen, hielten wir uns beachtlich gut.
»Ich weiß, dass ich mich wie ein Idiot benommen habe«, gab ich zu. »Wenn du möchtest, kannst du mir gern eine scheuern.«
»Das brauche ich gar nicht«, sagte sie. »Du bestrafst dich schon selbst genug.«
»Hm?«
»Siehst du, das ist unser Problem. Du hörst mir nie richtig zu. Ich liebe dich, David, aber du versteckst dich vor der Welt da draußen. Und vor mir. Jedes Mal, wenn ich versuche, dich aus deinem Eremitendasein herauszuholen, verkriechst du dich noch tiefer. Warum nur hast du so eine verdammte Angst vor dem Leben?«
»Ich bin nicht wie du«, sagte ich halbherzig. »Vielleicht hat es auch etwas damit zu tun, dass ich die Erwartungen meines Vaters nie erfüllen konnte. Keine Ahnung. Ich weiß selbst nicht, was mit mir los ist. In mir drin ist ein einziges Durcheinander. Ich habe keine Ahnung, wie ich mit diesen Gefühlen umgehen soll.«
»Liebst du mich?«
Ich hob den Kopf. »Ich empfinde viel für dich, wenn du das meinst.«
»Beantworte doch einfach meine Frage.«
Mir brach der Schweiß aus. Es hatte keinen Sinn. Ich musste ihr die Wahrheit sagen.
»Ja, ich liebe dich, und nein, ich kann nicht mit dir zusammen sein.« Ich lächelte gequält. »Es klingt paradox«, sagte ich, »und der Fehler liegt ganz allein bei mir, wenn dir das ein Trost ist. Wenn es überhaupt je eine Frau in meinem Leben gegeben hat, dann warst du das. Es ist nur so, dass ich mich noch nicht bereit fühle für eine längere Beziehung. Noch nicht, wohlgemerkt. Mehr kann ich im Moment nicht dazu sagen.« Ich zwang mir ein Lächeln aufs Gesicht. »Und jetzt habe ich mich auch noch verspätet.« Ich wollte ihre Hand nehmen, doch sie zog sie weg.
»Ich habe schon begonnen zu glauben, du würdest mich wieder versetzen«, antwortete sie mit einem traurigen Lächeln.
»Mr. Ambrose hat mich aufgehalten. Ich konnte ihm leider nicht entwischen.«
»Was du nicht sagst.« Sie schien mit ihren Gedanken noch ganz weit weg zu sein.
»Ehrlich. Er hat mir eine Professur angeboten.«
Sie sah mich an. Ihre Augen schienen noch einen Stich grüner geworden zu sein. »Wie bitte?«
»Du hast richtig gehört, eine Professur und einen Lehrstuhl. Und das in meinem Bereich.«
»In Protein-Kristallografie?«
Ich nickte. »Was sagst du dazu?«
Sie trank einen Schluck von ihrem Cappuccino, während sie überlegte. Dann sagte sie: »Erst verschwindest du spurlos, dann hört man Berichte über eine KongoExpedition und jetzt kommst du damit, dass man dir einen Lehrstuhl angeboten hat. Was zur Hölle läuft hier eigentlich?«
»Es hat sich viel ereignet«, gab ich zu. »Ich weiß auch nicht, was los ist, aber es kommt mir vor wie ein Traum. Ehrlich gesagt, rechne ich jede Minute damit, aufzuwachen.«
»Kannst du mich mal aufklären?«
»Deshalb wollte ich dich sehen. Du bist die Einzige, der ich vertrauen kann. Die Einzige, die überhaupt ein Wort von der ganzen Geschichte glauben wird.«
»Sei dir da nicht so sicher. Aber wie wäre es, wenn du einfach anfängst?«
In der nächsten halben Stunde erzählte ich haarklein, was ich in den letzten Tagen erlebt hatte, von meiner Ankunft in Palmbridge Manor bis zu meinem Gespräch mit Professor Ambrose. Sarah unterbrach mich nur gelegentlich, wenn ich etwas übersprungen oder unklar ausgedrückt hatte. Besonders zu interessieren schien sie meine Verbindung zum Hause Palmbridge und mein Verhältnis zu Emily. Ich musste ihr umfassend erläutern, dass wir fast ein halbes Jahr lang gemeinsamen Privatunterricht bekamen, weil Emilys Hauslehrer einen Schlaganfall erlitten hatte. Nicht ohne einen Anflug von Schuldgefühlen erzählte ich, wie wir uns in dieser Zeit näher gekommen waren, wie wir uns ewige Treue geschworen und uns zum ersten Mal geküsst hatten. Es irritierte mich, dass Sarah so viel Wert auf diesen Teil der Geschichte legte, aber ich fühlte mich verpflichtet, ihr die ganze Wahrheit zu sagen. Als ich fertig war, fühlte ich mich so ausgelaugt und erschöpft wie nach einem Marathonlauf. Mein Magen knurrte. Seit dem dünnen Toast vor vier Stunden im Flugzeug hatte ich noch nichts gegessen. »Ich hol mir schnell einen Kaffee und einen Schokoriegel. Möchtest du auch etwas?«, fragte ich.
Sie schüttelte den Kopf und starrte geistesabwesend auf den Resopaltisch. Ich zuckte mit den Schultern und machte mich auf den Weg zum Süßigkeitenregal.
Als ich zurückkehrte, wirkte sie verändert. Auf ihrer Stirn zeichneten sich tiefe Sorgenfalten ab.
»Schieß los. Was denkst du?«, fragte ich, während ich das Papier aufriss und auf dem zähen Riegel herumzu-kauen begann.
»Dass du vorsichtig sein solltest.«
»Wie meinst du das?«
Sie hob ihren Blick und sah mir fest in die Augen. »Das mit der Kreatur in dem Film ist fast zu schön, um wahr zu sein. Sollte sich herausstellen, dass die Aufnahme echt ist und es sich wirklich um einen lebenden Mokele m'Bembe handelt, wäre das die größte Sensation seit der Entdeckung des Quastenflossers. Aber die andere Sache, die da im Hintergrund läuft, klingt, als hätte die Palmbridge Dreck am Stecken.«
»Wie kommst du darauf?«
»Du solltest versuchen, deinen Blick auf die scheinbaren Nebensächlichkeiten zu lenken. Zuerst die Geschichte mit der guten, edlen Emily, die sich so für das Wohl der Menschheit einsetzt. Das passt meiner Meinung nach überhaupt nicht zu ihren Umgangsformen und zu der Stimme, die du gehört hast. Dann dieser Einsatztrupp, den die Lady auf Emilys Spuren gehetzt hat. Meinst du, die Eingeborenen in Kinami haben die Videokamera freiwillig rausgerückt?«
»Vielleicht hat man ihnen Geld angeboten ...«
»Sei bitte nicht so naiv. Derlei Dinge werden in diesem Teil der Welt anders geregelt. Ich sage dir, da ist etwas nicht koscher, und du sollst jetzt die Kastanien aus dem Feuer holen. Um das zu erreichen, pflanzt man dir diese dusseligen Schuldgefühle gegenüber deinem Vater ein. Gleichzeitig macht man dir Hoffnung auf Emily. Und zur Krönung will man dich auch noch mit dieser Professur ködern, ich könnte auch sagen: kaufen. Ich sage dir, das ist so dick aufgetragen, das stinkt zum Himmel.«
»Ich liebe deinen analytischen Verstand.«
Sie lächelte. »Das kommt ein bisschen spät, findest du nicht?«
»Nein, im Ernst. Du hast Recht. Ich hätte es nur nicht so auf den Punkt bringen können.«
»Und was soll jetzt werden? Du willst dich doch nicht im Ernst auf diese Sache einlassen, oder?«
»Doch, ich muss. Zum einen habe ich mein Wort gegeben ...«, Sarah verdrehte die Augen, »... zum anderen habe ich das Gefühl, es meinem Vater schuldig zu sein.«
»Großer Gott, David, er ist tot. Dass du dein Leben aufs Spiel setzt, macht ihn auch nicht wieder lebendig.«
»Das weiß ich. Aber irgendwie möchte ich mir selbst beweisen, dass seine Erwartungen in mich nicht unbegründet waren.«
Sie seufzte. »Und Emily hat nichts damit zu tun?«
Ich blickte betreten auf das Schokoladenpapier in meinen Fingern. »Doch, natürlich. Ich weiß, es klingt seltsam, aber ich empfinde noch etwas für sie. Ich muss herausfinden, was mit ihr geschehen ist und diese Sache endlich zu Ende bringen.«
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