»Nun Sir, . ja . im Großen und Ganzen«, fügte ich nach einer kurzen Pause hinzu. »Warum?«
Ambrose blickte erst auf seinen Ehering, dann auf meine Reisetasche in der Ecke. »Sie arbeiten nun schon seit drei Jahren als mein Assistent und haben in dieser Zeit hervorragende Arbeit geleistet. Ich wüsste nicht, was ich ohne Sie täte. Ablage, Archivierung, Korrespondenz, alles tadellos. Wirklich.« Er geriet ins Stocken und räusperte sich ausgiebig. Ich fragte mich, worauf er hinauswollte. Es war normalerweise nicht seine Art, um den heißen Brei herumzureden. »Ihre Arbeiten im Bereich der Protein-Kristallografie haben mich ebenfalls beeindruckt«, fuhr er fort. »Sehr modern.«
Lügner, dachte ich. Alles, was er bisher zu diesem Thema zu sagen hatte, beschränkte sich auf Kommentare wie unnützes Zeug und vergeudete Zeit. Doch da ich die Forschung außerhalb meiner regulären Arbeitszeit betrieb, konnte er dagegen nichts einwenden.
Ambrose wischte sich die Stirn. »Ein neuartiger An-satz, das muss ich sagen. Sehr unkonventionell, aber man weiß ja nie, was dabei herauskommt, nicht wahr? Auf jeden Fall ein Bereich, der unsere Studenten sehr interessieren wird. Was würden Sie dazu sagen, wenn ich mich dafür einsetze, dass dieser Forschungszweig offiziell in unser Studienprogramm aufgenommen wird? Unter Ihrer Leitung natürlich. Würde Ihnen das gefallen? Oh ja, ich glaube, das würde es.« Er zwang sich zu einem Lachen, doch es klang eher verzweifelt als lustig. Das Ticken der Uhr drang unangenehm in mein Ohr, und noch immer war Ambrose nicht mit der Sprache rausgerückt.
Endlich klatschte er sich mit den Händen auf die Schenkel und sagte: »Es hat keinen Sinn, es Ihnen noch länger zu verschweigen, David. Ich stecke in der Klemme. Vorgestern erhielt ich einen Anruf aus Kalifornien.«
Daher wehte also der Wind. Jetzt war mir alles klar.
»Lady Palmbridge, die Vorstandsvorsitzende von Palmbridge Enterprises rief mich an. Wir hatten ein sehr langes und intensives Gespräch, in dessen Verlauf sie mir zusicherte, zugunsten unserer Fakultät eine Stiftung von jährlich zwei Millionen Dollar im Gedenken an ihren verstorbenen Mann einzurichten. Die Stiftung soll sowohl der finanziellen Unterstützung des Institutes als auch der Nachwuchsförderung dienen.«
»Das ist ja großartig.«
»Nicht wahr? Aber leider ist dieses großzügige Angebot an zwei Bedingungen gekoppelt. Und beide Bedingungen betreffen Sie.« Er sah mich mit großen Augen an.
»Mich? Was für Bedingungen?«
»Die erste habe ich Ihnen ja schon genannt, nämlich, dass ich einen Lehrstuhl für Protein-Kristallografie einrichte, dessen Leitung Ihnen übertragen wird. Im Grunde geht es nur darum, die Forschungen, die Sie ohnehin schon betreiben, über die zentrale Rechnungsstelle laufen zu lassen und einige Vorlesungen in den allgemeinen Stundenplan zu integrieren. Nichts Aufregendes also.«
»Und die andere?«
»Nun, ... ich müsste Sie aus meinem Dienst entlassen und Ihnen eine Professur anbieten. Wenn Sie das überhaupt wollen«, fügte er hastig hinzu.
»Ob ich das will?« Ich konnte mich kaum noch auf dem Sitz halten. Der Stuhl fühlte sich plötzlich an, als verfüge er über Sprungfedern, die mich in die Luft katapultieren wollten. Eine Professur. An einem Lehrstuhl für Protein-Kristallografie. Das war mehr, als ich mir jemals erträumt hatte.
Ambrose wischte sich erneut über die Stirn und lächelte gequält. »Ja, das habe ich mir gedacht. Ich habe sogar schon angefangen, mich nach einem geeigneten neuen Assistenten umzusehen, aber es ist schwierig. Sehr schwierig. So wenig Kompetenz da draußen. Na ja, aber das ist nicht Ihr Problem .«
Seine Worte schwirrten in meinem Kopf. Stiftung -Lehrstuhl - Professur. Es war zu schön, um wahr zu sein. Irgendwo im hinteren Teil meines Kopfes klingelte eine Alarmglocke. Warum betrieb Lady Palmbridge so einen Aufwand? War sie sich meiner nicht sicher? Ich be-schloss, diesem Gedanken zu einem geeigneteren Zeitpunkt intensiver nachzugehen.
Dr. Ambrose wirkte geknickt, weil ich noch kein Wort des Bedauerns gesprochen hatte, und so sagte ich, um ihn irgendwie aufzumuntern: »Cheng.«
»Wie bitte?«
»Michael Cheng. Haben Sie schon mit ihm über den frei werdenden Posten gesprochen? Er ist pünktlich, zuverlässig und ein guter Student. Ich könnte mir vorstellen, dass er an dem Job interessiert wäre.«
»Cheng.« Ambrose ließ den Namen wie ein Bonbon auf seiner Zunge rollen. »Die Idee ist nicht schlecht.«
»Außerdem hätten Sie ein gutes Druckmittel gegen ihn in der Hand.«
»Und das wäre?«
»Wenn er gut arbeitet, darf er länger ans Elektronenmikroskop, und wenn er schlampt, wird die Zeit eingeschränkt. Zuckerbrot und Peitsche. Sie werden sehen, es funktioniert.«
Professor Ambrose verzog den Mund zu einem respektvollen Grinsen. »Wie haben Sie es nur so lange an meiner Seite ausgehalten? Ich fange an zu glauben, dass Sie einen verdammt guten Professor abgeben werden.«
Ich blickte auf die Uhr und sah entsetzt, dass die verabredete Zeit schon überschritten war. Ich sprang auf, griff nach meinem Mantel und zog ihn an. Dann drückte ich Ambroses Hände und sagte: »Danke. Danke für alles. Leider muss ich jetzt weg.«
»Sie müssen . weg?« Die Enttäuschung stand ihm ins
Gesicht geschrieben. »Ich hatte gehofft, die frohe Nachricht mit einem ausgedehnten Frühstück bei meinem Lieblingsitaliener feiern zu können.«
»Leider nicht. Aber ich möchte mich nicht verabschieden, ohne Ihnen vorher gesagt zu haben, wie dankbar ich bin, dass Sie sich so für mich eingesetzt haben. Das werde ich Ihnen nie vergessen.« Ein letzter Händedruck, dann eilte ich an ihm vorbei zur Tür hinaus.
»Dann kann ich das Angebot von Lady Palmbridge also annehmen?«, rief er mir nach, ohne auf den ironischen Unterton in meiner Stimme einzugehen.
»Unbedingt!«
»Gut. Und, David ...«
»Ja, Sir?«
»Bereiten Sie uns keine Schande im Kongo. Zeigen Sie sich von Ihrer besten Seite, und kommen Sie vor allem heil zurück!«
D er Regen schien an Heftigkeit noch zugenommen zu haben, so dass ich völlig durchnässt war. als ich die Bibliotheks-Cafeteria betrat. Um diese Uhrzeit war hier noch nicht viel los. Außer einer Gruppe japanisch schnatternder Gaststudenten sowie drei Kommilitonen, die in Bücher vertieft auf ihre nächste Vorlesung warteten, war der Raum leer. Am letzten Tisch direkt neben der großen Fensterfront saß Sarah und schickte mir einen vorwurfsvollen Blick entgegen. Mein Herz machte einen Sprung, als ich sie sah. Sarah war nicht unbedingt eine Schönheit, jedenfalls nicht im klassischen Sinne. Manchem mochte ihre Nase zu stupsig und ihr Mund zu groß sein. Doch ihre wundervollen grünen Augen, die alles und jeden zu durchschauen schienen, ihre helle Haut und die Sommersprossen, die ihre irische Herkunft verrieten, machten das mehr als wett. Am stärksten aber beeindruckte mich ihr unerschütterlicher Optimismus. Sie schien in tiefem Einklang mit sich und der Welt zu leben, eine Eigenschaft, die mir völlig fehlte. Die Natur war für sie voller ungelöster Fragen. Sie glaubte fest daran, dass es mehr Dinge zwischen Himmel und Erde gab, als wir uns in unseren Studierstuben träumen ließen.
Merkwürdigerweise erfüllte sie das mit großer Freude und Zuversicht.
Sie hatte die Haare hochgesteckt und trug einen engen weißen Rollkragenpullover, der ihre weibliche Figur betonte. Wie sie so dasaß, hätte man auf die Idee kommen können, dass sie ein romantisches Tete-a-Tete erwartete. Doch weder war ich der geeignete Kandidat dafür, noch bot die Cafeteria das passende Ambiente. Vielleicht wollte sie mir einfach zu verstehen geben, was ich verpasste, wenn ich sie verließ.
»Hallo, Sarah«, sagte ich, während ich den tropfnassen Mantel auszog. »Vielen Dank, dass du so schnell gekommen bist. Ich habe, ehrlich gesagt, nicht damit gerechnet.«
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