»Lass dir was einfallen«, sagte er. »Nimm eine Hypothek auf das Haus auf, wenn’s sein muss. 75 Dollar sind dein Anteil, und wenn dein Junge dafür nicht mit fünfzehn Windeln wechseln muss, kommst du billig davon, finde ich.«
Er stand auf. Ich ebenfalls. »Und wenn mir nichts einfällt? Was dann, Harl? Schickst du dann den Sheriff her?«
Er verzog die Lippen zu einem verächtlichen Ausdruck, der meinen Widerwillen gegen ihn in Hass verwandelte. Das Ganze geschah sekundenschnell, und ich spüre diesen Hass noch heute, wo so viele andere Gefühle aus meinem Herzen ausgebrannt worden sind. »Wegen einer Sache wie dieser würde ich nie zur Justiz gehen. Aber wenn du dich davor drückst, deinen Teil der Verantwortung zu übernehmen, sind wir geschiedene Leute.« Er blinzelte ins abnehmende Tageslicht. »Ich fahre jetzt. Das sollte ich auch, wenn ich noch vor Einbruch der Dunkelheit zu Hause sein
In Gedanken stieß ich ihn von der Veranda und sprang mit beiden Beinen auf seinen harten gewölbten Bauch, während er sich aufzurappeln versuchte. Dann holte ich meine Sichel aus der Scheune und stach ihm damit ein Auge aus. In Wirklichkeit blieb ich mit einer Hand auf dem Geländer stehen und sah zu, wie er die Stufen hinunterstapfte.
»Willst du nicht mit Henry reden?«, fragte ich. »Ich kann ihn rufen. Ihm tut das Ganze so leid wie mir.«
Harlan kam nicht aus dem Tritt. »Sie war rein, und dein Junge hat sie beschmutzt. Würdest du ihn herholen, würde ich ihn vielleicht niederschlagen. Ich könnte mich vielleicht nicht beherrschen.«
Da hatte ich so meine Zweifel. Henry war fast ausgewachsen, er war stark, und vor allem wusste er, wie man mordet. Und davon hatte Harl Cotterie nicht die geringste Ahnung.
Er brauchte den Nash nicht anzukurbeln, sondern musste nur auf einen Knopf drücken. Wohlhabend zu sein war auf alle mögliche Arten angenehm. »75 brauche ich, um diese Sache zum Abschluss zu bringen!«, rief er laut, um das Hämmern und Knattern des Motors zu übertönen. Dann beschrieb er einen engen Kreis um den Hackklotz, trieb George und seinen Harem in die Flucht und fuhr auf seine Farm mit dem großen Stromgenerator und dem fließenden Wasser zurück.
Als ich mich umdrehte, stand Henry blass und zornig neben mir. »Sie dürfen sie nicht einfach so wegschicken!«
Er hatte also gelauscht. Ich kann nicht behaupten, dass mich das überraschte.
»Sie können und werden es tun«, sagte ich. »Und wenn du jetzt unbesonnen etwas Dummes tust, machst du eine schlimme Situation nur noch schlimmer.«
»Wir könnten durchbrennen. Uns würde niemand erwischen. Wenn wir mit … mit dem davongekommen sind, was wir getan haben … dann traue ich mir auch zu, mit meinem Mädchen nach Colorado durchzubrennen, ohne geschnappt zu werden.«
»Das würdest du nicht schaffen«, sagte ich, »so ganz ohne Geld. Mit Geld lässt sich alles richten, sagt er. Und ich sage dir: Kein Geld verdirbt alles. Das weiß ich genau, und Shannon wüsste es auch. Sie muss jetzt auf ihr Baby aufpassen …«
»Nicht wenn sie gezwungen wird, es herzugeben!«
»Das ändert nichts daran, was eine Frau empfindet, wenn sie einen kleinen Kerl im Bauch hat. Das macht sie auf eine Weise lebensklug, die Männer nicht verstehen. Weder bist du noch ist sie in meiner Achtung gesunken, nur weil sie ein Kind bekommt - ihr seid nicht die Ersten, und ihr werdet nicht die Letzten sein, auch wenn Mr. Großmächtig glaubt, sie würde das, was sie zwischen den Beinen hat, nur auf dem Wasserklosett benutzen. Aber wenn du ein im fünften Monat schwangeres Mädchen bedrängen würdest, mit dir durchzubrennen … und wenn sie dazu bereit wäre … würde ich die Achtung vor euch beiden verlieren.«
»Was weißt du denn schon?«, sagte er mit unendlicher Verachtung. »Du konntest nicht mal eine Kehle durchschneiden, ohne Pfusch zu machen.«
Ich war sprachlos. Er sah meine Verwirrung und ließ mich so stehen.
Am nächsten Tag fuhr er zwar in die Schule, aber ich ahnte, dass er nicht mehr lange hingehen würde, seit sein Schatz nicht mehr dort war. Vermutlich lag das an dem Lastwagen. Einem Jungen ist jede Ausrede recht, wenn er einen Wagen fahren darf.
Sobald er fort war, ging ich in die Küche. Ich kippte Zucker, Mehl und Salz aus ihren Blechdosen und rührte darin herum. In den Häufchen war nichts zu finden. Ich ging ins Schlafzimmer und durchsuchte ihre Kleidung. Wieder nichts. Ich sah in ihren Schuhen nach, ohne fündig zu werden. Aber jeder Misserfolg verstärkte meine Gewissheit, irgendwo gebe es etwas .
Ich hatte Arbeit im Garten, aber statt sie zu tun, ging ich nach draußen hinter den Stall, wo der alte Brunnen gewesen war. Auf ihm wuchs jetzt Unkraut: Quecken, dazwischen vereinzelt Goldruten. Elpis war dort unten, Arlette auch. Arlette mit ihrem verschobenen Unterkiefer. Arlette mit ihrem Clownsgrinsen. Arlette mit ihrem Haarnetz .
»Wo ist es, du widerborstige Schlampe?«, fragte ich sie. »Wo hast du es versteckt?«
Ich bemühte mich, möglichst an gar nichts zu denken, so wie es mir mein Vater immer geraten hatte, wenn ich ein Werkzeug oder eines meiner wenigen kostbaren Bücher verlegt hatte. Kurze Zeit später ging ich zurück ins Haus, zurück ins Schlafzimmer, zurück an den Kleiderschrank. Im oberen Fach standen zwei Hutschachteln. In der ersten fand ich nur einen Hut - den weißen, den sie in der Kirche getragen hatte (wenn sie sich die Mühe machte, zum Gottesdienst zu gehen, was ungefähr einmal im Monat vorkam). Der Hut in der zweiten Schachtel war rot, und ich hatte sie nie damit gesehen. Mir kam er wie ein Nuttenhut vor. Unter dem Innenband aus Satin steckten zwei zu winzigen Quadraten in Pillengröße zusammengefaltete 20-Dollar-Scheine. Während ich hier in diesem schäbigen Hotelzimmer
Weil sie nicht reichten. Das begreifen Sie doch wohl. Natürlich tun Sie das. Man braucht nichts von Triggerometrie zu verstehen, um zu wissen, dass man auf 40 noch 35 drauflegen muss, um 75 zu haben. Das klingt nicht nach viel, stimmt’s? Aber damals bekam man für 35 Dollar Lebensmittel für 2 Monate oder in Lars Olsens Schmiede ein gutes gebrauchtes Halfter. Oder man konnte eine Fahrkarte bis nach Sacramento hinaus lösen … was ich mir oft wünsche, dass ich es getan hätte.
35.
Und wenn ich nachts im Bett liege, kann ich diese Zahl manchmal wirklich sehen . Sie blinkt so rot wie eine Warnleuchte, die einen Bahnübergang sperrt, weil ein Zug kommt. Ich wollte die Gleise trotzdem überqueren und bin vom Zug überfahren worden. Wenn jeder von uns einen Hinterhältigen in sich hat, steckt in jedem von uns auch ein Verrückter. Und in diesen Nächten, in denen ich nicht schlafen kann, weil die blinkende Zahl mich nicht schlafen lässt , behauptet mein Verrückter, alles sei eine Verschwörung gewesen: Cotterie, Stoppenhauser und der Rechtsverdreher von Farrington hätten sich gegen mich zusammengetan. Ich weiß es natürlich besser (wenigstens bei Tageslicht). Cotterie und Mr. Anwalt Lester können später mit Stoppenhauser gesprochen haben - nachdem ich getan hatte, was ich getan habe -, aber anfangs war die Sache bestimmt harmlos; Stoppenhauser wollte mir wohl wirklich helfen … und für die Home Bank & Trust einen kleinen Gewinn herausschlagen, versteht sich. Aber als Harlan oder Lester - oder beide zusammen - eine Möglichkeit sahen, ergriffen sie sie.
Der Hinterhältige ausgetrickst … wie gefällt Ihnen das? Inzwischen war mir das fast egal, weil ich damals schon meinen Sohn verloren hatte, aber wissen Sie, wem ich wirklich die Schuld gebe?
Arlette.
Ja.
Weil sie es war, die diese beiden Scheine in ihrem roten Nuttenhut versteckt hatte, wo ich sie finden musste. Und begreifen Sie auch, wie diabolisch clever sie war? Es waren nämlich nicht die 40, die mein Verderben waren; es war der Betrag, der noch zu der Summe fehlte, die Cotterie für die Privatlehrerin seiner schwangeren Tochter verlangte; das Geld, das er wollte, damit sie Latein lernen und weiter Triggerometrie üben konnte.
Читать дальше