»Für den Fall, dass Sie Überlegungen anstellen ... Ich habe Ihren Befehl nicht ausgeführt. Broadbents drei Söhne leben noch. Es sind zähe Knochen. Aber ich habe es nicht vergessen. Ich verspreche Ihnen, ich werd's noch tun.«
Meinen Befehl. In Skibas Kehle bildete sich ein Kloß. Er schluckte und erstickte fast daran. Sie lebten noch. »Ich habe es mir anders überlegt«, sagte er.
»Was soll das heißen?«
»Tun Sie es nicht.«
»Was soll ich nicht tun?«
»Bringen Sie sie nicht um.«
Ein leises Kichern. »Dafür ist es viel zu spät.«
»Um Gottes willen, Hauser, tun Sie es nicht. Ich befehle Ihnen, sie nicht zu töten. Wir finden schon irgendeine andere Lösung ...«
Aber die Leitung war schon tot. Skiba hörte ein Geräusch und drehte sich um. Sein Gesicht war schweißnass. Sein Sohn stand im Türrahmen. Er trug einen ausgebeulten Schlafanzug, sein blondes Haar stand ab, und er hielt seine Trompete in der Hand. »Wer soll nicht getötet werden, Vati?«
An diesem Abend servierte Borabay ihnen ein Drei-Gänge-Menü. Es begann mit Fischsuppe und Gemüse, dann kamen gebratene Steaks und ein Gericht aus winzigen ge-kochten Eiern, in denen sich Jungvögel befanden. Zum Abschluss als Dessert eine schleimige Suppe aus gekochtem Obst. Borabay zwang sie, eine zweite und dritte Portion zu vertilgen, bis ihnen fast übel wurde. Als der letzte Bissen verzehrt war, wurden in der Abenddämmerung die Pfeifen gegen die Urwaldinsekten gezückt. Der Abend war klar, ein gewölbter Mond stieg hinter den dunklen Umrissen der Sierra Azul auf. Die drei Brüder und Sally saßen im Halbkreis um das Feuer, alle rauchten schweigend und warteten darauf, dass Borabay etwas sagte. Der Indianer paffte eine Weile vor sich hin, dann legte er seine Pfeife nieder und schaute sich um. Seine Augen funkelten im Schein der Flammen. Er schien alle Anwesenden genau zu mustern.
Die Frösche hatten schon mit ihrem abendlichen Gequake angefangen; ihre Laute mischten sich mit rätselhafteren Klängen - Schreien, Blöken, Klopfen und Gekreisch.
»Jetzt sind wir hier, Brüder«, setzte Borabay an.
Das Feuer qualmte und knisterte und vertrieb die abendliche Dunkelheit. Borabay sagte leise: »Auf Berg passieren böse Dinge. Mein Englisch nicht gut, aber ich euch jetzt erzählen, was passieren und was wir müssen tun.« Er legte eine Pause ein. »Aber ich fange Geschichte an Anfang an, vor vierzig Jahre, bevor ich wurde geboren. In das Jahr weißer Mann kommt ganz allein flussaufwärts und über Berge. Kommt in Tara-Dorf halb tot an. Er erster weißer Mann jemand gesehen. Sie ihn schaffen in Hütte, geben zu essen, bringen zurück in Leben. Dieser Mann leben mit Tara-Volk. Er lernen zu sprechen unsere Sprache. Die Leute fragen, warum er kommen. Er sagen, er suchen Weiße Stadt, die wir nennen Sukia Tara. Ist die Stadt von unsere Ahnen. Jetzt wir gehen nur hin, um zu bestatten Tote. Sie bringen ihn nach Sukia Tara. Sie nicht wissen, dass er wollen stehlen in Sukia Tara. Und dann Mann nehmen Tara-Frau als Gattin.«
»Passt zusammen«, sagte Philip mit einem ironischen Lachen. »Vater war immer einer von denen, die sich nebenher ein bisschen was geleistet haben.«
Borabay schaute ihn an. »Wer erzählen Geschichte? Bruder oder ich?«
»Schon gut, mach weiter.« Philip gab Borabay einen Wink.
»Dieser Mann, wie ich sagen, nehmen Tara-Frau zur Gattin. Diese Frau meine Mutter sein.«
»Er hat deine Mutter geheiratet?«, sagte Tom.
»Natürlich er heiraten meine Mutter«, antwortete Borabay. »Wie sonst wir können sein Brüder, Brüder?«
Als Tom begriff, was Borabay sagte, war er sprachlos. Er schaute den Indianer an, als sähe er ihn zum ersten Mal.
Sein Blick wanderte über das bemalte Gesicht, die Tätowierungen, die angespitzten Zähne, die Stöpsel in seinen Ohrläppchen -und ebenso über die grünen Augen, die hohe Stirn, die markigen Lippen, die fein geschnittenen Wan-
genknochen. »Ach du meine Güte!«, keuchte er.
»Was?«, fragte Vernon. »Ja, was ist denn, Tom?«
Tom warf Philip einen Blick zu und merkte, dass auch sein älterer Bruder wie vom Donner gerührt war. Philip stand langsam auf und starrte Borabay an.
»Dann, nachdem Vater heiraten Mutter, Mutter mich geboren. Ich genannt Borabay, nach Vater.«
»Borabay«, murmelte Philip, und dann: »Broadbent.«
Ein langes Schweigen trat ein.
»Versteht ihr denn nicht? Borabay - Broadbent. Es ist der gleiche Name.«
»Du meinst, er ist unser Bruder?«, fragte Vernon ungestüm, als es ihm endlich dämmerte.
Niemand antwortete. Philip, nun auf den Beinen, trat einen Schritt auf Borabay zu und beugte sich vor, um sein Gesicht aus der Nähe zu betrachten, als wäre er eine Art Abnormität. Borabay rührte sich, nahm die Pfeife aus dem Mund und lachte nervös. »Was du sehen, Bruder? Gespenst?«
»Irgendwie schon.« Philip streckte die Hand aus und berührte Borabays Gesicht.
Borabay blieb ruhig sitzen, reglos.
»Mein Gott«, sagte Philip leise. »Du bist wirklich unser Bruder. Außerdem bist du der älteste von uns. Gütiger Gott, ich bin gar nicht der Erstgeborene. Ich bin der zweite und habe es nie gewusst.«
»Das ich doch sagen! Wir alle Brüder. Was du denken, wenn ich sagen >Bruder