»Hören Sie auf!«, brüllte Sally und presste die Hände auf ihre Ohren. »Mir reicht's! Don Alfonso, ich habe genug von Ihren Kommentaren über Sex!«
Der Greis zuckte die Achseln. »Ich bin ein alter Mann, Curandera, und das bedeutet, dass ich reden und Witze machen darf, wie es mir gefällt. Gibt es diese Tradition in Amerika nicht?«
»In Amerika reden alte Menschen nicht ständig über Sex.«
»Über was reden sie denn?«
»Sie reden über ihre Enkel, das Wetter, Florida und solche Sachen.«
Don Alfonso schüttelte den Kopf. »Wie langweilig es doch sein muss, in Amerika alt zu werden.«
Sally marschierte von hinnen und zog die Hüttentür hinter sich zu. Bevor sie verschwand, warf sie Tom einen gifti-gen Blick zu. Tom schaute verdutzt hinter ihr her. Was hatte er denn getan oder gesagt? Es war einfach ungerecht, dass sie ihn des Sexismus verdächtigte.
Don Alfonso zuckte die Achseln, steckte seine Pfeife wieder an und sagte lauthals: »Ich verstehe das nicht. Sie ist neunundzwanzig und unverheiratet. Ihr Vater wird eine enorme Mitgift bezahlen müssen, um sie loszuwerden. Und Sie sind fast auch schon ein alter Mann und haben keine Ehefrau. Warum heiratet ihr beide nicht? Sind Sie vielleicht homosexuell?«
»Nein, Don Alfonso.«
»Es ist ganz in Ordnung, wenn Sie es sind, Tomas. Chori kann Ihnen gefällig sein. Er ist nicht festgelegt.«
»Nein, danke.«
Don Alfonso schüttelte verwundert den Kopf. »Jetzt verstehe ich überhaupt nichts mehr. Sie müssen Ihre Chancen nutzen, Tomas.«
»Sally«, sagte Tom, »ist mit einem anderen Mann verlobt.«
Don Alfonsos Brauen zuckten hoch. »Ach. Und wo ist dieser Mann jetzt?«
»In Amerika.«
»Dann kann er sie nicht lieben!«
Tom zuckte zusammen und warf einen Blick auf ihr Quartier. Don Alfonsos Stimme trug nämlich besonders weit.
Da tönte Sallys Stimme aus der Hütte: »Er liebt mich. Und ich liebe ihn. Und vielen Dank euch beiden, dass ihr jetzt die Klappe haltet!«
Im Wald schallte ein Gewehrschuss, und Don Alfonso stand auf. »Das ist unser zweiter Gang.« Er nahm seine Machete und ging in die Richtung, aus der der Knall gekommen war.
Tom stand ebenfalls auf und brachte seine Hängematte in den Unterstand, um sie aufzuspannen. Als er eintrat, häng-
te Sally gerade einige Kräuter an den Pfählen auf.
»Dieser Don Alfonso ist ein alter Lüstling und ein Sexistenschwein«, sagte sie erzürnt. »Und Sie sind genauso schlimm.«
»Er bringt uns immerhin durch den Sumpf.«
»Ich kann seine kleinen Bemerkungen ganz und gar nicht leiden. Und Ihre grinsende Zustimmung genauso wenig.«
»Sie können doch nicht erwarten, dass er sich mit den neuesten Entwicklungen feministischer und politischer Korrektheit auskennt.«
»Darüber, dass Sie zu alt zum Heiraten sind, hat er jedenfalls nicht gesprochen. Und dabei sind Sie gute zwei Jahre älter als ich. Es ist immer nur die Frau, die zu alt zum Heiraten ist.«
»Nun machen Sie mal halblang, Sally.«
»Ich mache nicht halblang!«
Don Alfonsos Stimme verhinderte Toms Antwort. »Der erste Gang ist zum Verzehren bereit! Gekochter Papagei und Maniokeintopf. Danach gibt's Tapir-Steak. Alles ist gesund und köstlich. Hört jetzt auf zu streiten und kommt zum Essen raus!«
»Buenas tardes«, murmelte Ocotal und nahm neben Philip am Feuer Platz.
»Buenas tardes.« Philip nahm überrascht die Pfeife aus dem Mund. Es war das erste Mal, dass Ocotal auf dieser Reise zu ihm sprach.
Sie hatten einen großen See am Rand des Sumpfes erreicht und lagerten auf einer sandigen Insel mit einem richtigen Strand. Die Insekten waren weg, die Luft war frisch, und zum ersten Mal seit einer Woche konnte Philip in jeder Richtung weiter als sieben Meter sehen. Das Einzige, was ihm missfiel, war das an den Strand klatschende Wasser, denn es war so schwarz wie Kaffee. Hauser war wie üblich mit einigen Soldaten auf der Jagd. Die anderen Männer sa-
ßen an ihrem eigenen Feuer und spielten Karten. Die Luft hatte wegen der Hitze und dem grüngoldenen Licht des späten Nachmittags etwas Einschläferndes. Insgesamt gesehen befanden sie sich jedoch Philips Ansicht nach an einem schönen Fleckchen Erde.
Ocotal beugte sich abrupt vor. »Ich habe die Soldaten gestern Nacht reden hören.«
Philip hob die Augenbrauen. »Und?«
»Sie wollen Sie töten. Zeigen Sie jetzt keine Reaktion auf meine Worte.« Er sprach so leise und schnell, dass Philip irgendwie glaubte, sich verhört zu haben. Er saß wie vom Donner gerührt da und verarbeitete Ocotals Worte.
»Sie werden auch mich umbringen«, fuhr Ocotal fort.
»Wissen Sie das genau?«
Ocotal nickte.
Philip dachte panisch über das Gehörte nach. War Ocotal vertrauenswürdig? Konnte er ihn missverstanden haben?
Warum sollte Hauser ihn umbringen? Um das Erbe zu stehlen? Es war nicht auszuschließen. Hauser war kein Ehren-mann. Philip sah aus den Augenwinkeln, dass die Soldaten noch immer Karten spielten. Ihre Gewehre waren an einen Baum gelehnt. Andererseits kam es ihm unfassbar vor. Er spielte doch nicht in einem Film mit. Hauser würde doch eine Million Dollar verdienen. Man brachte doch nicht so einfach Menschen um - oder? »Was haben Sie vor?«
»Ein Boot zu stehlen und abzuhauen. Mich im Sumpf zu verstecken.«
»Meinen Sie jetzt?«
»Wollen Sie warten?«
»Aber die Soldaten sind doch gleich da drüben. Wir kommen hier nie weg. Was haben die Soldaten gesagt, dass Sie das glauben? Vielleicht war es ja nur ein Missverständnis.«
»Hören Sie mal, Sie Pfeife«, zischte Ocotal. »Wir haben keine Zeit. Ich haue jetzt ab. Wenn Sie mitkommen wollen, kommen Sie mit. Wenn nicht: Adiós.«
Er stand lässig auf und schlenderte zum Strand, wo die Einbäume an Land lagen. Philip riss den Blick panisch von ihm los und musterte die Soldaten. Sie spielten noch immer Karten, ahnten nichts. Von dort aus, wo sie saßen, unter einem Baum, konnten sie die Boote nicht sehen.
Was sollte er tun? Er war wie gelähmt. Man hatte ihm oh-
ne Warnung oder Vorbereitung eine monumentale Entscheidung aufgehalst. Es war verrückt. Konnte Hauser so kaltblütig sein? Oder plante Ocotal hier irgendein schräges Ding?
Ocotal ging nun am Strand entlang, wobei er einen beiläu-figen Blick auf die Bäume warf. Er stand an einem Boot, und es sah ganz so aus, als sei er im Begriff, es ganz lässig mit dem Knie ins Wasser zu schieben.
Es ging alles viel zu schnell. Im Grunde hing es davon ab, was für ein Mensch Hauser war. War er wirklich zu einem Mord fähig? Na schön, besonders nett war er nicht. Irgendwas stimmte nicht mit ihm. Philip fiel plötzlich ein, mit welchem Vergnügen Hauser den Agouti geköpft hatte; das Lächeln auf seinem Gesicht beim Anblick des Blutflecks auf seinem Hemd. Wie er gesagt hatte: Das kriegen Sie noch früh genug raus.
Ocotal hatte das Boot nun ins Wasser geschoben. Er ging mit einer geschmeidigen Bewegung an Bord, griff gleichzeitig nach der Stake und bereitete sich aufs Abstoßen vor.
Philip stand auf ging schnell zum Strand hinunter. Ocotal hatte sich schon vom Ufer gelöst, die Stake stand im Wasser; er war bereit, das Boot in den Seitenarm zu stoßen. Er hielt gerade so lange inne, dass Philip ins Wasser waten und an Bord klettern konnte. Dann stieß er die Stake mit einer kräftigen Anspannung seiner Muskeln in den sandigen Boden und schob sie lautlos in den Sumpf hinein.
Am nächsten Morgen war es mit dem schönen Wetter vorbei. Wolken sammelten sich. Ein Gewitter rüttelte die Baumwipfel. Es goss wie aus Eimern. Als Tom und die anderen aufbrachen, war die Oberfläche des Flusses grau und schäumte unter der Wucht des Wolkenbruchs. Das Rauschen des auf die Vegetation fallenden Regens war ohrenbetäubend. Das Labyrinth aus Seitenarmen, dem sie folgten, schien immer schmaler und gewundener zu werden.
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